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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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gebracht. Sie geben keine der vier Verbindungen des Caqueta
oder Japura mit dem Guainia (Rio Negro), dem Inirida,
dem Uaupes (Guapue) und dem Putumayo an; sie stellen
jeden dieser Nebenflüsse als einen unabhängigen Strom dar;
sie lassen den Rio Patavita weg und setzen die Quellen des
Guainia nur 2° 15' westwärts vom Meridian von Javita.
Der Rio Uaupes, ein Nebenfluß des Guainia, scheint viel
weiter aus Westen herzukommen als der Guainia selbst; und
seine Richtung ist so, daß kein Arm des Caqueta in den oberen
Guainia kommen könnte, ohne ihn zu schneiden. Ich bringe
zum Schluß dieser Erörterung einen Beweis bei, der direkt
gegen die Annahme spricht, nach welcher der Guainia, wie
der Guaviare und der Caqueta, am Ostabhange der Kordilleren
der Anden entspringen soll.

Während meines Aufenthaltes in Popayan machte mir
der Guardian des Franziskanerklosters, Fray Francisco Pugnet,
ein liebenswürdiger, verständiger Mann, zuverlässige Mittei-
lungen über die Missionen der Adaquies, in denen er lange
gelebt hat. Der Pater hatte eine beschwerliche Reise vom
Caqueta zum Guaviare unternommen. Seit Philipp von
Hutten (Urre) und den ersten Zeiten der Eroberung war kein
Europäer durch dieses unbekannte Land gekommen. Pater
Pugnet kam von der Mission Caguan am Flusse dieses Namens,
der in den Caqueta fällt, über eine unermeßliche, völlig baum-
lose Savanne, in deren östlichem Striche die Tamas- und Co-
reguajesindianer hausen. Nach sechstägigem Marsche nord-
wärts kam er in einen kleinen Ort Namens Aramo am
Guayavero, etwa 67 km westlich vom Punkte, wo der Guaya-
vero und der Ariari den großen Guaviarestrom bilden. Aramo
ist das am weitesten nach West gelegene Dorf der Missionen
von San Juan de los Llanos. Pater Pugnet hörte dort
von den großen Katarakten des Rio Guaviare (ohne Zweifel
denselben, die der Präsident der Missionen am Orinoko auf
seiner Fahrt von San Fernando de Apure den Guaviare
hinauf gesehen); aber er kam zwischen Caguan und Aramo
über keinen Fluß. Es ist also erwiesen, daß unter dem
75. Grad der Länge, auf 180 km vom Abhange der Kordil-
leren, mitten in den Lanos weder Rio Negro (Patavita,
Guainia), noch Guapue (Uaupe), noch Inirida zu finden sind
und daß diese drei Flüsse ostwärts von diesem Meridian ent-
springen. Diese Angaben sind von großem Wert; denn im
inneren Afrika ist die Geographie kaum so verworren als hier

gebracht. Sie geben keine der vier Verbindungen des Caqueta
oder Japura mit dem Guainia (Rio Negro), dem Inirida,
dem Uaupes (Guapue) und dem Putumayo an; ſie ſtellen
jeden dieſer Nebenflüſſe als einen unabhängigen Strom dar;
ſie laſſen den Rio Patavita weg und ſetzen die Quellen des
Guainia nur 2° 15′ weſtwärts vom Meridian von Javita.
Der Rio Uaupes, ein Nebenfluß des Guainia, ſcheint viel
weiter aus Weſten herzukommen als der Guainia ſelbſt; und
ſeine Richtung iſt ſo, daß kein Arm des Caqueta in den oberen
Guainia kommen könnte, ohne ihn zu ſchneiden. Ich bringe
zum Schluß dieſer Erörterung einen Beweis bei, der direkt
gegen die Annahme ſpricht, nach welcher der Guainia, wie
der Guaviare und der Caqueta, am Oſtabhange der Kordilleren
der Anden entſpringen ſoll.

Während meines Aufenthaltes in Popayan machte mir
der Guardian des Franziskanerkloſters, Fray Francisco Pugnet,
ein liebenswürdiger, verſtändiger Mann, zuverläſſige Mittei-
lungen über die Miſſionen der Adaquies, in denen er lange
gelebt hat. Der Pater hatte eine beſchwerliche Reiſe vom
Caqueta zum Guaviare unternommen. Seit Philipp von
Hutten (Urre) und den erſten Zeiten der Eroberung war kein
Europäer durch dieſes unbekannte Land gekommen. Pater
Pugnet kam von der Miſſion Caguan am Fluſſe dieſes Namens,
der in den Caqueta fällt, über eine unermeßliche, völlig baum-
loſe Savanne, in deren öſtlichem Striche die Tamas- und Co-
reguajesindianer hauſen. Nach ſechstägigem Marſche nord-
wärts kam er in einen kleinen Ort Namens Aramo am
Guayavero, etwa 67 km weſtlich vom Punkte, wo der Guaya-
vero und der Ariari den großen Guaviareſtrom bilden. Aramo
iſt das am weiteſten nach Weſt gelegene Dorf der Miſſionen
von San Juan de los Llanos. Pater Pugnet hörte dort
von den großen Katarakten des Rio Guaviare (ohne Zweifel
denſelben, die der Präſident der Miſſionen am Orinoko auf
ſeiner Fahrt von San Fernando de Apure den Guaviare
hinauf geſehen); aber er kam zwiſchen Caguan und Aramo
über keinen Fluß. Es iſt alſo erwieſen, daß unter dem
75. Grad der Länge, auf 180 km vom Abhange der Kordil-
leren, mitten in den Lanos weder Rio Negro (Patavita,
Guainia), noch Guapue (Uaupe), noch Inirida zu finden ſind
und daß dieſe drei Flüſſe oſtwärts von dieſem Meridian ent-
ſpringen. Dieſe Angaben ſind von großem Wert; denn im
inneren Afrika iſt die Geographie kaum ſo verworren als hier

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[265/0273] gebracht. Sie geben keine der vier Verbindungen des Caqueta oder Japura mit dem Guainia (Rio Negro), dem Inirida, dem Uaupes (Guapue) und dem Putumayo an; ſie ſtellen jeden dieſer Nebenflüſſe als einen unabhängigen Strom dar; ſie laſſen den Rio Patavita weg und ſetzen die Quellen des Guainia nur 2° 15′ weſtwärts vom Meridian von Javita. Der Rio Uaupes, ein Nebenfluß des Guainia, ſcheint viel weiter aus Weſten herzukommen als der Guainia ſelbſt; und ſeine Richtung iſt ſo, daß kein Arm des Caqueta in den oberen Guainia kommen könnte, ohne ihn zu ſchneiden. Ich bringe zum Schluß dieſer Erörterung einen Beweis bei, der direkt gegen die Annahme ſpricht, nach welcher der Guainia, wie der Guaviare und der Caqueta, am Oſtabhange der Kordilleren der Anden entſpringen ſoll. Während meines Aufenthaltes in Popayan machte mir der Guardian des Franziskanerkloſters, Fray Francisco Pugnet, ein liebenswürdiger, verſtändiger Mann, zuverläſſige Mittei- lungen über die Miſſionen der Adaquies, in denen er lange gelebt hat. Der Pater hatte eine beſchwerliche Reiſe vom Caqueta zum Guaviare unternommen. Seit Philipp von Hutten (Urre) und den erſten Zeiten der Eroberung war kein Europäer durch dieſes unbekannte Land gekommen. Pater Pugnet kam von der Miſſion Caguan am Fluſſe dieſes Namens, der in den Caqueta fällt, über eine unermeßliche, völlig baum- loſe Savanne, in deren öſtlichem Striche die Tamas- und Co- reguajesindianer hauſen. Nach ſechstägigem Marſche nord- wärts kam er in einen kleinen Ort Namens Aramo am Guayavero, etwa 67 km weſtlich vom Punkte, wo der Guaya- vero und der Ariari den großen Guaviareſtrom bilden. Aramo iſt das am weiteſten nach Weſt gelegene Dorf der Miſſionen von San Juan de los Llanos. Pater Pugnet hörte dort von den großen Katarakten des Rio Guaviare (ohne Zweifel denſelben, die der Präſident der Miſſionen am Orinoko auf ſeiner Fahrt von San Fernando de Apure den Guaviare hinauf geſehen); aber er kam zwiſchen Caguan und Aramo über keinen Fluß. Es iſt alſo erwieſen, daß unter dem 75. Grad der Länge, auf 180 km vom Abhange der Kordil- leren, mitten in den Lanos weder Rio Negro (Patavita, Guainia), noch Guapue (Uaupe), noch Inirida zu finden ſind und daß dieſe drei Flüſſe oſtwärts von dieſem Meridian ent- ſpringen. Dieſe Angaben ſind von großem Wert; denn im inneren Afrika iſt die Geographie kaum ſo verworren als hier

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/273>, abgerufen am 16.04.2024.