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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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aber der ganzen Länge nach vorspringend. Sie sind größer,
brauner und nicht so untersetzt wie die Chaymas. Die Mis-
sionäre rühmen die geistigen Anlagen der Yaruro, die früher
eine mächtige, zahlreiche Nation an den Ufern des Orinoko
waren, besonders in der Gegend von Caycara, oberhalb des
Einflusses des Guarico. Wir brachten die Nacht in Dia-
mante
zu, einer kleinen Zuckerpflanzung, der Insel dieses
Namens gegenüber.

Auf meiner ganzen Reise von San Fernando nach San
Carlos am Rio Negro und von dort nach der Stadt Ango-
stura war ich bemüht, Tag für Tag, sei es im Kanoe, sei es
im Nachtlager, aufzuschreiben, was mir Bemerkenswertes vor-
gekommen. Durch den starken Regen und die ungeheure
Menge Moskiten, von denen die Luft am Orinoko und Cas-
siquiare wimmelt, hat diese Arbeit notwendig Lücken be-
kommen, die ich aber wenige Tage darauf ergänzt habe. Die
folgenden Seiten sind ein Auszug aus diesem Tagebuch. Was
im Angesicht der geschilderten Gegenstände niedergeschrieben
ist, hat ein Gepräge von Wahrhaftigkeit (ich möchte sagen
von Individualität), das auch den unbedeutendsten Dingen
einen gewissen Reiz gibt. Um unnötige Wiederholungen zu ver-
meiden, habe ich hin und wieder in das Tagebuch eingetragen,
was über die beschriebenen Gegenstände später zu meiner
Kenntnis gelangt ist. Je gewaltiger und großartiger die
Natur in den von ungeheuren Strömen durchzogenen Wäldern
erscheint, desto strenger muß man bei den Naturschilderungen
an der Einfachheit festhalten, die das vornehmste, oft das
einzige Verdienst eines ersten Entwurfes ist.

Am 31. März. Der widrige Wind nötigte uns, bis
Mittag am Ufer zu bleiben. Wir sahen die Zuckerfelder zum
Teil durch einen Brand zerstört, der sich aus einem nahen
Walde bis hierher fortgepflanzt hatte. Die wandernden In-
dianer zünden überall, wo sie Nachtlager gehalten, den Wald
an, und in der dürren Jahreszeit würden ganze Provinzen
von diesen Bränden verheert, wenn nicht das ausnehmend
harte Holz die Bäume vor der gänzlichen Zerstörung schützte.
Wir fanden Stämme des Mahagonibaumes (Cahoba) und
von Desmanthus, die kaum 5 cm tief verkohlt waren.

Vom Diamante betritt man ein Gebiet, das nur von
Tigern, Krokodilen und Chiguire, einer großen Art von
Linnes Gattung Cavia, bewohnt ist. Hier sahen wir dicht-
gedrängte Vogelschwärme sich vom Himmel abheben wie eine

aber der ganzen Länge nach vorſpringend. Sie ſind größer,
brauner und nicht ſo unterſetzt wie die Chaymas. Die Miſ-
ſionäre rühmen die geiſtigen Anlagen der Yaruro, die früher
eine mächtige, zahlreiche Nation an den Ufern des Orinoko
waren, beſonders in der Gegend von Caycara, oberhalb des
Einfluſſes des Guarico. Wir brachten die Nacht in Dia-
mante
zu, einer kleinen Zuckerpflanzung, der Inſel dieſes
Namens gegenüber.

Auf meiner ganzen Reiſe von San Fernando nach San
Carlos am Rio Negro und von dort nach der Stadt Ango-
ſtura war ich bemüht, Tag für Tag, ſei es im Kanoe, ſei es
im Nachtlager, aufzuſchreiben, was mir Bemerkenswertes vor-
gekommen. Durch den ſtarken Regen und die ungeheure
Menge Moskiten, von denen die Luft am Orinoko und Caſ-
ſiquiare wimmelt, hat dieſe Arbeit notwendig Lücken be-
kommen, die ich aber wenige Tage darauf ergänzt habe. Die
folgenden Seiten ſind ein Auszug aus dieſem Tagebuch. Was
im Angeſicht der geſchilderten Gegenſtände niedergeſchrieben
iſt, hat ein Gepräge von Wahrhaftigkeit (ich möchte ſagen
von Individualität), das auch den unbedeutendſten Dingen
einen gewiſſen Reiz gibt. Um unnötige Wiederholungen zu ver-
meiden, habe ich hin und wieder in das Tagebuch eingetragen,
was über die beſchriebenen Gegenſtände ſpäter zu meiner
Kenntnis gelangt iſt. Je gewaltiger und großartiger die
Natur in den von ungeheuren Strömen durchzogenen Wäldern
erſcheint, deſto ſtrenger muß man bei den Naturſchilderungen
an der Einfachheit feſthalten, die das vornehmſte, oft das
einzige Verdienſt eines erſten Entwurfes iſt.

Am 31. März. Der widrige Wind nötigte uns, bis
Mittag am Ufer zu bleiben. Wir ſahen die Zuckerfelder zum
Teil durch einen Brand zerſtört, der ſich aus einem nahen
Walde bis hierher fortgepflanzt hatte. Die wandernden In-
dianer zünden überall, wo ſie Nachtlager gehalten, den Wald
an, und in der dürren Jahreszeit würden ganze Provinzen
von dieſen Bränden verheert, wenn nicht das ausnehmend
harte Holz die Bäume vor der gänzlichen Zerſtörung ſchützte.
Wir fanden Stämme des Mahagonibaumes (Cahoba) und
von Desmanthus, die kaum 5 cm tief verkohlt waren.

Vom Diamante betritt man ein Gebiet, das nur von
Tigern, Krokodilen und Chiguire, einer großen Art von
Linnés Gattung Cavia, bewohnt iſt. Hier ſahen wir dicht-
gedrängte Vogelſchwärme ſich vom Himmel abheben wie eine

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[18/0026] aber der ganzen Länge nach vorſpringend. Sie ſind größer, brauner und nicht ſo unterſetzt wie die Chaymas. Die Miſ- ſionäre rühmen die geiſtigen Anlagen der Yaruro, die früher eine mächtige, zahlreiche Nation an den Ufern des Orinoko waren, beſonders in der Gegend von Caycara, oberhalb des Einfluſſes des Guarico. Wir brachten die Nacht in Dia- mante zu, einer kleinen Zuckerpflanzung, der Inſel dieſes Namens gegenüber. Auf meiner ganzen Reiſe von San Fernando nach San Carlos am Rio Negro und von dort nach der Stadt Ango- ſtura war ich bemüht, Tag für Tag, ſei es im Kanoe, ſei es im Nachtlager, aufzuſchreiben, was mir Bemerkenswertes vor- gekommen. Durch den ſtarken Regen und die ungeheure Menge Moskiten, von denen die Luft am Orinoko und Caſ- ſiquiare wimmelt, hat dieſe Arbeit notwendig Lücken be- kommen, die ich aber wenige Tage darauf ergänzt habe. Die folgenden Seiten ſind ein Auszug aus dieſem Tagebuch. Was im Angeſicht der geſchilderten Gegenſtände niedergeſchrieben iſt, hat ein Gepräge von Wahrhaftigkeit (ich möchte ſagen von Individualität), das auch den unbedeutendſten Dingen einen gewiſſen Reiz gibt. Um unnötige Wiederholungen zu ver- meiden, habe ich hin und wieder in das Tagebuch eingetragen, was über die beſchriebenen Gegenſtände ſpäter zu meiner Kenntnis gelangt iſt. Je gewaltiger und großartiger die Natur in den von ungeheuren Strömen durchzogenen Wäldern erſcheint, deſto ſtrenger muß man bei den Naturſchilderungen an der Einfachheit feſthalten, die das vornehmſte, oft das einzige Verdienſt eines erſten Entwurfes iſt. Am 31. März. Der widrige Wind nötigte uns, bis Mittag am Ufer zu bleiben. Wir ſahen die Zuckerfelder zum Teil durch einen Brand zerſtört, der ſich aus einem nahen Walde bis hierher fortgepflanzt hatte. Die wandernden In- dianer zünden überall, wo ſie Nachtlager gehalten, den Wald an, und in der dürren Jahreszeit würden ganze Provinzen von dieſen Bränden verheert, wenn nicht das ausnehmend harte Holz die Bäume vor der gänzlichen Zerſtörung ſchützte. Wir fanden Stämme des Mahagonibaumes (Cahoba) und von Desmanthus, die kaum 5 cm tief verkohlt waren. Vom Diamante betritt man ein Gebiet, das nur von Tigern, Krokodilen und Chiguire, einer großen Art von Linnés Gattung Cavia, bewohnt iſt. Hier ſahen wir dicht- gedrängte Vogelſchwärme ſich vom Himmel abheben wie eine

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/26>, abgerufen am 28.03.2024.