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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Schatten auf 34°, obgleich der Wind stark aus Südost blies.
Wegen dieses widrigen Windes konnten wir keine Segel auf-
ziehen. Auf der ganzen Fahrt auf dem Apure, dem Orinoko
und Rio Negro begleitete uns der Schwager des Statthalters
der Provinz Varinas, Don Nicolas Soto, der erst kürzlich
von Cadix angekommen war und einen Ausflug nach San
Fernando gemacht hatte. Um Länder kennen zu lernen, die
ein würdiges Ziel für die Wißbegierde des Europäers sind,
entschloß er sich, mit uns 74 Tage auf einem engen, von
Moskiten wimmelnden Kanoe zuzubringen. Sein geistreiches,
liebenswürdiges Wesen und seine muntere Laune haben uns
oft die Beschwerden einer zuweilen nicht gefahrlosen Fahrt
vergessen helfen. Wir fuhren am Einfluß des Apurito vor-
bei und an der Insel dieses Namens hin, die vom Apure
und dem Guarico gebildet wird. Diese Insel ist im Grunde
nichts als ein ganz niedriger Landstrich, der von zwei großen
Flüssen eingefaßt wird, die sich in geringer Entfernung von-
einander in den Orinoko ergießen, nachdem sie bereits unter-
halb San Fernando durch eine erste Gabelung des Apure
sich vereinigt haben. Die Isla del Apurito ist 100 km
lang und 9 bis 13 km breit. Sie wird durch den Canno
de la Tigrera und den Canno del Manati in drei Stücke ge-
teilt, wovon die beiden äußersten Isla de Blanco und Isla
de las Garzilas heißen. Ich mache hier diese umständlichen
Angaben, weil alle bis jetzt erschienenen Karten den Lauf und
die Verzweigungen der Gewässer zwischen dem Guarico und
dem Meta aufs sonderbarste entstellen. Unterhalb des Apurito
ist das rechte Ufer des Apure etwas besser angebaut als das
linke, wo einige Hütten der Yaruro-Indianer aus Rohr und
Palmblattstielen stehen. Sie leben von Jagd und Fischfang
und sind besonders geübt im Erlegen der Jaguare, daher die
unter dem Namen Tigerfelle bekannten Bälge vorzüglich durch
sie in die spanischen Dörfer kommen. Ein Teil dieser In-
dianer ist getauft, besucht aber niemals eine christliche Kirche.
Man betrachtet sie als Wilde, weil sie unabhängig bleiben
wollen. Andere Stämme der Yaruro leben unter der Zucht
der Missionäre im Dorfe Achaguas, südlich vom Rio Payara.
Die Leute dieser Nation, die ich am Orinoko zu sehen Ge-
legenheit gehabt, haben einige Züge von der fälschlich so ge-
nannten tatarischen Bildung, die manchen Zweigen der mon-
golischen Rasse zukommt. Ihr Blick ist ernst, das Auge stark
in die Länge gezogen, die Jochbeine hervorragend, die Nase

A. v. Humboldt, Reise. III. 2

Schatten auf 34°, obgleich der Wind ſtark aus Südoſt blies.
Wegen dieſes widrigen Windes konnten wir keine Segel auf-
ziehen. Auf der ganzen Fahrt auf dem Apure, dem Orinoko
und Rio Negro begleitete uns der Schwager des Statthalters
der Provinz Varinas, Don Nicolas Soto, der erſt kürzlich
von Cadix angekommen war und einen Ausflug nach San
Fernando gemacht hatte. Um Länder kennen zu lernen, die
ein würdiges Ziel für die Wißbegierde des Europäers ſind,
entſchloß er ſich, mit uns 74 Tage auf einem engen, von
Moskiten wimmelnden Kanoe zuzubringen. Sein geiſtreiches,
liebenswürdiges Weſen und ſeine muntere Laune haben uns
oft die Beſchwerden einer zuweilen nicht gefahrloſen Fahrt
vergeſſen helfen. Wir fuhren am Einfluß des Apurito vor-
bei und an der Inſel dieſes Namens hin, die vom Apure
und dem Guarico gebildet wird. Dieſe Inſel iſt im Grunde
nichts als ein ganz niedriger Landſtrich, der von zwei großen
Flüſſen eingefaßt wird, die ſich in geringer Entfernung von-
einander in den Orinoko ergießen, nachdem ſie bereits unter-
halb San Fernando durch eine erſte Gabelung des Apure
ſich vereinigt haben. Die Isla del Apurito iſt 100 km
lang und 9 bis 13 km breit. Sie wird durch den Caño
de la Tigrera und den Caño del Manati in drei Stücke ge-
teilt, wovon die beiden äußerſten Isla de Blanco und Isla
de las Garzilas heißen. Ich mache hier dieſe umſtändlichen
Angaben, weil alle bis jetzt erſchienenen Karten den Lauf und
die Verzweigungen der Gewäſſer zwiſchen dem Guarico und
dem Meta aufs ſonderbarſte entſtellen. Unterhalb des Apurito
iſt das rechte Ufer des Apure etwas beſſer angebaut als das
linke, wo einige Hütten der Yaruro-Indianer aus Rohr und
Palmblattſtielen ſtehen. Sie leben von Jagd und Fiſchfang
und ſind beſonders geübt im Erlegen der Jaguare, daher die
unter dem Namen Tigerfelle bekannten Bälge vorzüglich durch
ſie in die ſpaniſchen Dörfer kommen. Ein Teil dieſer In-
dianer iſt getauft, beſucht aber niemals eine chriſtliche Kirche.
Man betrachtet ſie als Wilde, weil ſie unabhängig bleiben
wollen. Andere Stämme der Yaruro leben unter der Zucht
der Miſſionäre im Dorfe Achaguas, ſüdlich vom Rio Payara.
Die Leute dieſer Nation, die ich am Orinoko zu ſehen Ge-
legenheit gehabt, haben einige Züge von der fälſchlich ſo ge-
nannten tatariſchen Bildung, die manchen Zweigen der mon-
goliſchen Raſſe zukommt. Ihr Blick iſt ernſt, das Auge ſtark
in die Länge gezogen, die Jochbeine hervorragend, die Naſe

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[17/0025] Schatten auf 34°, obgleich der Wind ſtark aus Südoſt blies. Wegen dieſes widrigen Windes konnten wir keine Segel auf- ziehen. Auf der ganzen Fahrt auf dem Apure, dem Orinoko und Rio Negro begleitete uns der Schwager des Statthalters der Provinz Varinas, Don Nicolas Soto, der erſt kürzlich von Cadix angekommen war und einen Ausflug nach San Fernando gemacht hatte. Um Länder kennen zu lernen, die ein würdiges Ziel für die Wißbegierde des Europäers ſind, entſchloß er ſich, mit uns 74 Tage auf einem engen, von Moskiten wimmelnden Kanoe zuzubringen. Sein geiſtreiches, liebenswürdiges Weſen und ſeine muntere Laune haben uns oft die Beſchwerden einer zuweilen nicht gefahrloſen Fahrt vergeſſen helfen. Wir fuhren am Einfluß des Apurito vor- bei und an der Inſel dieſes Namens hin, die vom Apure und dem Guarico gebildet wird. Dieſe Inſel iſt im Grunde nichts als ein ganz niedriger Landſtrich, der von zwei großen Flüſſen eingefaßt wird, die ſich in geringer Entfernung von- einander in den Orinoko ergießen, nachdem ſie bereits unter- halb San Fernando durch eine erſte Gabelung des Apure ſich vereinigt haben. Die Isla del Apurito iſt 100 km lang und 9 bis 13 km breit. Sie wird durch den Caño de la Tigrera und den Caño del Manati in drei Stücke ge- teilt, wovon die beiden äußerſten Isla de Blanco und Isla de las Garzilas heißen. Ich mache hier dieſe umſtändlichen Angaben, weil alle bis jetzt erſchienenen Karten den Lauf und die Verzweigungen der Gewäſſer zwiſchen dem Guarico und dem Meta aufs ſonderbarſte entſtellen. Unterhalb des Apurito iſt das rechte Ufer des Apure etwas beſſer angebaut als das linke, wo einige Hütten der Yaruro-Indianer aus Rohr und Palmblattſtielen ſtehen. Sie leben von Jagd und Fiſchfang und ſind beſonders geübt im Erlegen der Jaguare, daher die unter dem Namen Tigerfelle bekannten Bälge vorzüglich durch ſie in die ſpaniſchen Dörfer kommen. Ein Teil dieſer In- dianer iſt getauft, beſucht aber niemals eine chriſtliche Kirche. Man betrachtet ſie als Wilde, weil ſie unabhängig bleiben wollen. Andere Stämme der Yaruro leben unter der Zucht der Miſſionäre im Dorfe Achaguas, ſüdlich vom Rio Payara. Die Leute dieſer Nation, die ich am Orinoko zu ſehen Ge- legenheit gehabt, haben einige Züge von der fälſchlich ſo ge- nannten tatariſchen Bildung, die manchen Zweigen der mon- goliſchen Raſſe zukommt. Ihr Blick iſt ernſt, das Auge ſtark in die Länge gezogen, die Jochbeine hervorragend, die Naſe A. v. Humboldt, Reiſe. III. 2

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/25>, abgerufen am 29.03.2024.