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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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liches Jucken verursachten, eines um das andere herauszuholen.
Sie erhitzte an der Lampe die Spitze eines kleinen Splitters
sehr harten Holzes und bohrte damit in den Furchen, die auf
der Haut sichtbar waren. Nach langem Suchen verkündete
sie mit dem pedantischen Ernste, der den Farbigen eigen ist,
da sei bereits ein Arador. Ich sah einen kleinen runden Sack,
der mir das Ei einer Milbe schien. Wenn die Mulattin
einmal drei, vier solche Aradores heraus hätte, sollte ich mich
erleichtert fühlen. Da ich an beiden Händen die Haut voll
Acariden hatte, ging mir die Geduld über der Operation aus,
die bereits bis tief in die Nacht gedauert hatte. Am andern
Tage heilte uns ein Indianer aus Javita radikal und über-
raschend schnell. Er brachte uns einen Zweig von einem
Strauch, genannt Uzao, mit kleinen, denen der Cassia ähn-
lichen, stark lederartigen, glänzenden Blättern. Er machte von
der Rinde einen kalten Aufguß, der bläulich aussah und wie
Süßholz (Glycirrhyza) schmeckte und geschlagen starken Schaum
gab. Auf einfaches Waschen mit dem Uzaowasser hörte das
Jucken von den Aradores auf. Wir konnten vom Uzao weder
Blüte noch Frucht auftreiben. Der Strauch scheint der Familie
der Schotengewächse anzugehören, deren chemische Eigenschaften
so auffallend ungleichartig sind. Der Schmerz, den wir aus-
zustehen gehabt, hatte uns so ängstlich gemacht, daß wir bis
San Carlos immer ein paar Uzaozweige im Kanoe mitführten;
der Strauch wächst am Pimichin in Menge. Warum hat
man kein Mittel gegen das Jucken entdeckt, das von den
Stichen der Zancudos herrührt, wie man eines gegen das
Jucken hat, das die Aradores oder mikroskopischen Acariden
verursuchen?

Im Jahre 1755, vor der Grenzexpedition, gewöhnlich
Solanos Expedition genannt, wurde dieser Landstrich zwischen
den Missionen Javita und San Baltasar als zu Brasilien
gehörig betrachtet. Die Portugiesen waren vom Rio Negro
über den Trageplatz beim Canno Pimichin bis an den Temi
vorgedrungen. Ein indianischer Häuptling, Javita, berühmt
wegen seines Mutes und seines Unternehmungsgeistes, war
mit den Portugiesen verbündet. Seine Streifzüge gingen
vom Rio Jupura oder Caqueta, einem der großen Nebenflüsse
des Amazonenstromes, über den Rio Uaupe und Xie, bis zu
den schwarzen Gewässern des Temi und Tuamini, über 450 km
weit. Er war mit einem Patent versehen, das ihn ermächtigte,
"Indianer aus dem Walde zu holen zur Eroberung der Seelen".

liches Jucken verurſachten, eines um das andere herauszuholen.
Sie erhitzte an der Lampe die Spitze eines kleinen Splitters
ſehr harten Holzes und bohrte damit in den Furchen, die auf
der Haut ſichtbar waren. Nach langem Suchen verkündete
ſie mit dem pedantiſchen Ernſte, der den Farbigen eigen iſt,
da ſei bereits ein Arador. Ich ſah einen kleinen runden Sack,
der mir das Ei einer Milbe ſchien. Wenn die Mulattin
einmal drei, vier ſolche Aradores heraus hätte, ſollte ich mich
erleichtert fühlen. Da ich an beiden Händen die Haut voll
Acariden hatte, ging mir die Geduld über der Operation aus,
die bereits bis tief in die Nacht gedauert hatte. Am andern
Tage heilte uns ein Indianer aus Javita radikal und über-
raſchend ſchnell. Er brachte uns einen Zweig von einem
Strauch, genannt Uzao, mit kleinen, denen der Caſſia ähn-
lichen, ſtark lederartigen, glänzenden Blättern. Er machte von
der Rinde einen kalten Aufguß, der bläulich ausſah und wie
Süßholz (Glycirrhyza) ſchmeckte und geſchlagen ſtarken Schaum
gab. Auf einfaches Waſchen mit dem Uzaowaſſer hörte das
Jucken von den Aradores auf. Wir konnten vom Uzao weder
Blüte noch Frucht auftreiben. Der Strauch ſcheint der Familie
der Schotengewächſe anzugehören, deren chemiſche Eigenſchaften
ſo auffallend ungleichartig ſind. Der Schmerz, den wir aus-
zuſtehen gehabt, hatte uns ſo ängſtlich gemacht, daß wir bis
San Carlos immer ein paar Uzaozweige im Kanoe mitführten;
der Strauch wächſt am Pimichin in Menge. Warum hat
man kein Mittel gegen das Jucken entdeckt, das von den
Stichen der Zancudos herrührt, wie man eines gegen das
Jucken hat, das die Aradores oder mikroſkopiſchen Acariden
verurſuchen?

Im Jahre 1755, vor der Grenzexpedition, gewöhnlich
Solanos Expedition genannt, wurde dieſer Landſtrich zwiſchen
den Miſſionen Javita und San Baltaſar als zu Braſilien
gehörig betrachtet. Die Portugieſen waren vom Rio Negro
über den Trageplatz beim Caño Pimichin bis an den Temi
vorgedrungen. Ein indianiſcher Häuptling, Javita, berühmt
wegen ſeines Mutes und ſeines Unternehmungsgeiſtes, war
mit den Portugieſen verbündet. Seine Streifzüge gingen
vom Rio Jupura oder Caqueta, einem der großen Nebenflüſſe
des Amazonenſtromes, über den Rio Uaupe und Xie, bis zu
den ſchwarzen Gewäſſern des Temi und Tuamini, über 450 km
weit. Er war mit einem Patent verſehen, das ihn ermächtigte,
„Indianer aus dem Walde zu holen zur Eroberung der Seelen“.

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[223/0231] liches Jucken verurſachten, eines um das andere herauszuholen. Sie erhitzte an der Lampe die Spitze eines kleinen Splitters ſehr harten Holzes und bohrte damit in den Furchen, die auf der Haut ſichtbar waren. Nach langem Suchen verkündete ſie mit dem pedantiſchen Ernſte, der den Farbigen eigen iſt, da ſei bereits ein Arador. Ich ſah einen kleinen runden Sack, der mir das Ei einer Milbe ſchien. Wenn die Mulattin einmal drei, vier ſolche Aradores heraus hätte, ſollte ich mich erleichtert fühlen. Da ich an beiden Händen die Haut voll Acariden hatte, ging mir die Geduld über der Operation aus, die bereits bis tief in die Nacht gedauert hatte. Am andern Tage heilte uns ein Indianer aus Javita radikal und über- raſchend ſchnell. Er brachte uns einen Zweig von einem Strauch, genannt Uzao, mit kleinen, denen der Caſſia ähn- lichen, ſtark lederartigen, glänzenden Blättern. Er machte von der Rinde einen kalten Aufguß, der bläulich ausſah und wie Süßholz (Glycirrhyza) ſchmeckte und geſchlagen ſtarken Schaum gab. Auf einfaches Waſchen mit dem Uzaowaſſer hörte das Jucken von den Aradores auf. Wir konnten vom Uzao weder Blüte noch Frucht auftreiben. Der Strauch ſcheint der Familie der Schotengewächſe anzugehören, deren chemiſche Eigenſchaften ſo auffallend ungleichartig ſind. Der Schmerz, den wir aus- zuſtehen gehabt, hatte uns ſo ängſtlich gemacht, daß wir bis San Carlos immer ein paar Uzaozweige im Kanoe mitführten; der Strauch wächſt am Pimichin in Menge. Warum hat man kein Mittel gegen das Jucken entdeckt, das von den Stichen der Zancudos herrührt, wie man eines gegen das Jucken hat, das die Aradores oder mikroſkopiſchen Acariden verurſuchen? Im Jahre 1755, vor der Grenzexpedition, gewöhnlich Solanos Expedition genannt, wurde dieſer Landſtrich zwiſchen den Miſſionen Javita und San Baltaſar als zu Braſilien gehörig betrachtet. Die Portugieſen waren vom Rio Negro über den Trageplatz beim Caño Pimichin bis an den Temi vorgedrungen. Ein indianiſcher Häuptling, Javita, berühmt wegen ſeines Mutes und ſeines Unternehmungsgeiſtes, war mit den Portugieſen verbündet. Seine Streifzüge gingen vom Rio Jupura oder Caqueta, einem der großen Nebenflüſſe des Amazonenſtromes, über den Rio Uaupe und Xie, bis zu den ſchwarzen Gewäſſern des Temi und Tuamini, über 450 km weit. Er war mit einem Patent verſehen, das ihn ermächtigte, „Indianer aus dem Walde zu holen zur Eroberung der Seelen“.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/231>, abgerufen am 29.03.2024.