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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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sie zum 8. Grad nördlicher Breite gelangt, über die ganze
südliche Aequinoktialzone weg, ist folglich nicht so trocken, nicht
so kalt als der Nordpolarstrom oder der Nordostwind, und
somit auch weniger geeignet, als Gegenstrom aufzutreten
und die Luft unter den Tropen zu erneuern. Wenn die
Bendavales an manchen Küsten, z. B. an denen von Guatemala,
als heftige Winde auftreten, so rührt dies ohne Zweifel da-
her, daß sie nicht Folge eines allmählichen, regelmäßigen Ab-
flusses der tropischen Luft gegen den Südpol sind, sondern
mit Windstillen abwechseln, von elektrischen Entladungen be-
gleitet sind und ihr Charakter als wahre Stoßwinde darauf
hinweist, daß im Luftmeer eine Rückstauung, eine rasche, vor-
übergehende Störung des Gleichgewichtes stattgefunden hat.

Wir haben hier eine der wichtigsten meteorologischen Er-
scheinungen unter den Tropen aus einem allgemeinen Ge-
sichtspunkte betrachtet. Wie die Grenzen der Passatwinde
keine mit dem Aequator parallelen Kreise bilden, so äußert
sich auch die Wirkung der Polarluftströmungen unter ver-
schiedenen Luftströmungen verschieden. In derselben Halb-
kugel haben nicht selten die Gebirgsketten und das Küsten-
land entgegengesetzte Jahreszeiten. Wir werden in der Folge
Gelegenheit haben, mehrere Anomalieen der Art zu erwähnen;
will man aber zur Erkenntnis der Naturgesetze gelangen, so
muß man, bevor man sich nach den Ursachen lokaler Erschei-
nungen umsieht, den mittleren Zustand der Atmosphäre
und die beständige Norm ihrer Veränderungen kennen.

Das Aussehen des Himmels, der Gang der Elektrizität
und der Regenguß am 28. März verkündeten den Beginn
der Regenzeit; man riet uns indessen, von San Fernando am
Apure noch über San Francisco de Capanaparo, über den Rio
Sinaruco und den Hato San Antonio, nach dem kürzlich am
Ufer des Meta gegründeten Dorfe der Otomaken zu gehen und
uns auf dem Orinoko etwas oberhalb Carichana einzuschiffen.
Dieser Landweg führt durch einen ungesunden, von Fiebern
heimgesuchten Strich. Ein alter Pächter, Don Francisco Sanchez,
bot sich uns gefällig als Führer an. Seine Tracht war ein
sprechendes Bild der großen Sitteneinfalt in diesen entlegenen
Ländern. Er hatte ein Vermögen von mehr als 100000 Piastern,
und doch stieg er mit nackten Füßen, an die mächtige silberne
Sporen geschnallt waren, zu Pferde. Wir wußten aber aus
mehrwöchentlicher Erfahrung, wie traurig einförmig die Vege-
tation auf den Llanos ist, und schlugen daher lieber den längeren

ſie zum 8. Grad nördlicher Breite gelangt, über die ganze
ſüdliche Aequinoktialzone weg, iſt folglich nicht ſo trocken, nicht
ſo kalt als der Nordpolarſtrom oder der Nordoſtwind, und
ſomit auch weniger geeignet, als Gegenſtrom aufzutreten
und die Luft unter den Tropen zu erneuern. Wenn die
Bendavales an manchen Küſten, z. B. an denen von Guatemala,
als heftige Winde auftreten, ſo rührt dies ohne Zweifel da-
her, daß ſie nicht Folge eines allmählichen, regelmäßigen Ab-
fluſſes der tropiſchen Luft gegen den Südpol ſind, ſondern
mit Windſtillen abwechſeln, von elektriſchen Entladungen be-
gleitet ſind und ihr Charakter als wahre Stoßwinde darauf
hinweiſt, daß im Luftmeer eine Rückſtauung, eine raſche, vor-
übergehende Störung des Gleichgewichtes ſtattgefunden hat.

Wir haben hier eine der wichtigſten meteorologiſchen Er-
ſcheinungen unter den Tropen aus einem allgemeinen Ge-
ſichtspunkte betrachtet. Wie die Grenzen der Paſſatwinde
keine mit dem Aequator parallelen Kreiſe bilden, ſo äußert
ſich auch die Wirkung der Polarluftſtrömungen unter ver-
ſchiedenen Luftſtrömungen verſchieden. In derſelben Halb-
kugel haben nicht ſelten die Gebirgsketten und das Küſten-
land entgegengeſetzte Jahreszeiten. Wir werden in der Folge
Gelegenheit haben, mehrere Anomalieen der Art zu erwähnen;
will man aber zur Erkenntnis der Naturgeſetze gelangen, ſo
muß man, bevor man ſich nach den Urſachen lokaler Erſchei-
nungen umſieht, den mittleren Zuſtand der Atmoſphäre
und die beſtändige Norm ihrer Veränderungen kennen.

Das Ausſehen des Himmels, der Gang der Elektrizität
und der Regenguß am 28. März verkündeten den Beginn
der Regenzeit; man riet uns indeſſen, von San Fernando am
Apure noch über San Francisco de Capanaparo, über den Rio
Sinaruco und den Hato San Antonio, nach dem kürzlich am
Ufer des Meta gegründeten Dorfe der Otomaken zu gehen und
uns auf dem Orinoko etwas oberhalb Carichana einzuſchiffen.
Dieſer Landweg führt durch einen ungeſunden, von Fiebern
heimgeſuchten Strich. Ein alter Pächter, Don Francisco Sanchez,
bot ſich uns gefällig als Führer an. Seine Tracht war ein
ſprechendes Bild der großen Sitteneinfalt in dieſen entlegenen
Ländern. Er hatte ein Vermögen von mehr als 100000 Piaſtern,
und doch ſtieg er mit nackten Füßen, an die mächtige ſilberne
Sporen geſchnallt waren, zu Pferde. Wir wußten aber aus
mehrwöchentlicher Erfahrung, wie traurig einförmig die Vege-
tation auf den Llanos iſt, und ſchlugen daher lieber den längeren

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[15/0023] ſie zum 8. Grad nördlicher Breite gelangt, über die ganze ſüdliche Aequinoktialzone weg, iſt folglich nicht ſo trocken, nicht ſo kalt als der Nordpolarſtrom oder der Nordoſtwind, und ſomit auch weniger geeignet, als Gegenſtrom aufzutreten und die Luft unter den Tropen zu erneuern. Wenn die Bendavales an manchen Küſten, z. B. an denen von Guatemala, als heftige Winde auftreten, ſo rührt dies ohne Zweifel da- her, daß ſie nicht Folge eines allmählichen, regelmäßigen Ab- fluſſes der tropiſchen Luft gegen den Südpol ſind, ſondern mit Windſtillen abwechſeln, von elektriſchen Entladungen be- gleitet ſind und ihr Charakter als wahre Stoßwinde darauf hinweiſt, daß im Luftmeer eine Rückſtauung, eine raſche, vor- übergehende Störung des Gleichgewichtes ſtattgefunden hat. Wir haben hier eine der wichtigſten meteorologiſchen Er- ſcheinungen unter den Tropen aus einem allgemeinen Ge- ſichtspunkte betrachtet. Wie die Grenzen der Paſſatwinde keine mit dem Aequator parallelen Kreiſe bilden, ſo äußert ſich auch die Wirkung der Polarluftſtrömungen unter ver- ſchiedenen Luftſtrömungen verſchieden. In derſelben Halb- kugel haben nicht ſelten die Gebirgsketten und das Küſten- land entgegengeſetzte Jahreszeiten. Wir werden in der Folge Gelegenheit haben, mehrere Anomalieen der Art zu erwähnen; will man aber zur Erkenntnis der Naturgeſetze gelangen, ſo muß man, bevor man ſich nach den Urſachen lokaler Erſchei- nungen umſieht, den mittleren Zuſtand der Atmoſphäre und die beſtändige Norm ihrer Veränderungen kennen. Das Ausſehen des Himmels, der Gang der Elektrizität und der Regenguß am 28. März verkündeten den Beginn der Regenzeit; man riet uns indeſſen, von San Fernando am Apure noch über San Francisco de Capanaparo, über den Rio Sinaruco und den Hato San Antonio, nach dem kürzlich am Ufer des Meta gegründeten Dorfe der Otomaken zu gehen und uns auf dem Orinoko etwas oberhalb Carichana einzuſchiffen. Dieſer Landweg führt durch einen ungeſunden, von Fiebern heimgeſuchten Strich. Ein alter Pächter, Don Francisco Sanchez, bot ſich uns gefällig als Führer an. Seine Tracht war ein ſprechendes Bild der großen Sitteneinfalt in dieſen entlegenen Ländern. Er hatte ein Vermögen von mehr als 100000 Piaſtern, und doch ſtieg er mit nackten Füßen, an die mächtige ſilberne Sporen geſchnallt waren, zu Pferde. Wir wußten aber aus mehrwöchentlicher Erfahrung, wie traurig einförmig die Vege- tation auf den Llanos iſt, und ſchlugen daher lieber den längeren

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/23>, abgerufen am 25.04.2024.