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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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gangeticus, der Süßwasserdelphin der Alten Welt, gleichfalls
die Fahrzeuge, die nach Benares hinaufgehen; aber von Be-
nares bis zum Punkt, wo Salzwasser in den Ganges kommt,
sind es nur 900 km, von Atabapo aber an die Mündung des
Orinoko über 1440 km.

Gegen Mittag lag gegen Ost die Mündung des kleinen
Flusses Ipurichapano, und später kamen wir am Granithügel
vorbei, der unter dem Namen Piedra del Tigre bekannt ist.
Dieser einzeln stehende Fels ist nur 20 m hoch und doch im
Lande weit berufen. Zwischen dem 4. und 5. Grad der
Breite, etwas südlich von Bergen von Sipapo, erreicht man
das südliche Ende der Kette der Katarakte, für die ich in
einer im Jahr 1800 veröffentlichten Abhandlung den Namen
Kette der Parime in Vorschlag gebracht habe. Unter
4° 20' streicht sie vom rechten Orinokoufer gegen Ost und Ost-
Süd-Ost. Der ganze Landstrich zwischen den Bergen der
Parime und dem Amazonenstrom, über den der Atabapo,
Cassiquiare und Rio Negro ziehen, ist eine ungeheure, zum
Teil mit Wald, zum Teil mit Gras bewachsene Ebene. Kleine
Felsen erheben sich da und dort, wie feste Schlösser. Wir
bereuten es, unser Nachtlager nicht beim Tigerfelsen aufge-
schlagen zu haben; denn wir fanden den Atabapo hinauf nur
sehr schwer ein trockenes, freies Stück Land, groß genug, um
unser Feuer anzuzünden und unsere Instrumente und Hänge-
matten unterbringen zu können.

Am 28. April. Der Regen goß seit Sonnenuntergang
in Strömen; wir fürchteten, unsere Sammlungen möchten be-
schädigt werden. Der arme Missionär bekam seinen Anfall
von Tertianfieber und bewog uns, bald nach Mitternacht
weiter zu fahren. Wir kamen mit Tagesanbruch an die
Piedra und den Raudalito von Guarinuma. Der Fels, auf
dem östlichen Ufer, ist eine kahle, mit Psora Cladonia und
anderen Flechten bedeckte Granitbank. Ich glaubte mich in
das nördliche Europa versetzt, auf den Kamm der Gneis- und
Granitberge zwischen Freiberg und Marienberg in Sachsen.
Die Cladonien schienen mir identisch mit dem Lichen rangi-
ferinus,
dem L. pyxidatus und L. polymorphus Linnes.
Als wir die Stromschnellen von Guarinuma hinter uns hatten,
zeigten uns die Indianer mitten im Wald zu unserer Rechten
die Trümmer der seit lange verlassenen Mission Mendaxari.
Auf dem anderen, östlichen Ufer, beim kleinen Felsen Kema-
rumo, wurden wir auf einen riesenhaften Käsebaum (Bombax

gangeticus, der Süßwaſſerdelphin der Alten Welt, gleichfalls
die Fahrzeuge, die nach Benares hinaufgehen; aber von Be-
nares bis zum Punkt, wo Salzwaſſer in den Ganges kommt,
ſind es nur 900 km, von Atabapo aber an die Mündung des
Orinoko über 1440 km.

Gegen Mittag lag gegen Oſt die Mündung des kleinen
Fluſſes Ipurichapano, und ſpäter kamen wir am Granithügel
vorbei, der unter dem Namen Piedra del Tigre bekannt iſt.
Dieſer einzeln ſtehende Fels iſt nur 20 m hoch und doch im
Lande weit berufen. Zwiſchen dem 4. und 5. Grad der
Breite, etwas ſüdlich von Bergen von Sipapo, erreicht man
das ſüdliche Ende der Kette der Katarakte, für die ich in
einer im Jahr 1800 veröffentlichten Abhandlung den Namen
Kette der Parime in Vorſchlag gebracht habe. Unter
4° 20′ ſtreicht ſie vom rechten Orinokoufer gegen Oſt und Oſt-
Süd-Oſt. Der ganze Landſtrich zwiſchen den Bergen der
Parime und dem Amazonenſtrom, über den der Atabapo,
Caſſiquiare und Rio Negro ziehen, iſt eine ungeheure, zum
Teil mit Wald, zum Teil mit Gras bewachſene Ebene. Kleine
Felſen erheben ſich da und dort, wie feſte Schlöſſer. Wir
bereuten es, unſer Nachtlager nicht beim Tigerfelſen aufge-
ſchlagen zu haben; denn wir fanden den Atabapo hinauf nur
ſehr ſchwer ein trockenes, freies Stück Land, groß genug, um
unſer Feuer anzuzünden und unſere Inſtrumente und Hänge-
matten unterbringen zu können.

Am 28. April. Der Regen goß ſeit Sonnenuntergang
in Strömen; wir fürchteten, unſere Sammlungen möchten be-
ſchädigt werden. Der arme Miſſionär bekam ſeinen Anfall
von Tertianfieber und bewog uns, bald nach Mitternacht
weiter zu fahren. Wir kamen mit Tagesanbruch an die
Piedra und den Raudalito von Guarinuma. Der Fels, auf
dem öſtlichen Ufer, iſt eine kahle, mit Psora Cladonia und
anderen Flechten bedeckte Granitbank. Ich glaubte mich in
das nördliche Europa verſetzt, auf den Kamm der Gneis- und
Granitberge zwiſchen Freiberg und Marienberg in Sachſen.
Die Cladonien ſchienen mir identiſch mit dem Lichen rangi-
ferinus,
dem L. pyxidatus und L. polymorphus Linnés.
Als wir die Stromſchnellen von Guarinuma hinter uns hatten,
zeigten uns die Indianer mitten im Wald zu unſerer Rechten
die Trümmer der ſeit lange verlaſſenen Miſſion Mendaxari.
Auf dem anderen, öſtlichen Ufer, beim kleinen Felſen Kema-
rumo, wurden wir auf einen rieſenhaften Käſebaum (Bombax

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[213/0221] gangeticus, der Süßwaſſerdelphin der Alten Welt, gleichfalls die Fahrzeuge, die nach Benares hinaufgehen; aber von Be- nares bis zum Punkt, wo Salzwaſſer in den Ganges kommt, ſind es nur 900 km, von Atabapo aber an die Mündung des Orinoko über 1440 km. Gegen Mittag lag gegen Oſt die Mündung des kleinen Fluſſes Ipurichapano, und ſpäter kamen wir am Granithügel vorbei, der unter dem Namen Piedra del Tigre bekannt iſt. Dieſer einzeln ſtehende Fels iſt nur 20 m hoch und doch im Lande weit berufen. Zwiſchen dem 4. und 5. Grad der Breite, etwas ſüdlich von Bergen von Sipapo, erreicht man das ſüdliche Ende der Kette der Katarakte, für die ich in einer im Jahr 1800 veröffentlichten Abhandlung den Namen Kette der Parime in Vorſchlag gebracht habe. Unter 4° 20′ ſtreicht ſie vom rechten Orinokoufer gegen Oſt und Oſt- Süd-Oſt. Der ganze Landſtrich zwiſchen den Bergen der Parime und dem Amazonenſtrom, über den der Atabapo, Caſſiquiare und Rio Negro ziehen, iſt eine ungeheure, zum Teil mit Wald, zum Teil mit Gras bewachſene Ebene. Kleine Felſen erheben ſich da und dort, wie feſte Schlöſſer. Wir bereuten es, unſer Nachtlager nicht beim Tigerfelſen aufge- ſchlagen zu haben; denn wir fanden den Atabapo hinauf nur ſehr ſchwer ein trockenes, freies Stück Land, groß genug, um unſer Feuer anzuzünden und unſere Inſtrumente und Hänge- matten unterbringen zu können. Am 28. April. Der Regen goß ſeit Sonnenuntergang in Strömen; wir fürchteten, unſere Sammlungen möchten be- ſchädigt werden. Der arme Miſſionär bekam ſeinen Anfall von Tertianfieber und bewog uns, bald nach Mitternacht weiter zu fahren. Wir kamen mit Tagesanbruch an die Piedra und den Raudalito von Guarinuma. Der Fels, auf dem öſtlichen Ufer, iſt eine kahle, mit Psora Cladonia und anderen Flechten bedeckte Granitbank. Ich glaubte mich in das nördliche Europa verſetzt, auf den Kamm der Gneis- und Granitberge zwiſchen Freiberg und Marienberg in Sachſen. Die Cladonien ſchienen mir identiſch mit dem Lichen rangi- ferinus, dem L. pyxidatus und L. polymorphus Linnés. Als wir die Stromſchnellen von Guarinuma hinter uns hatten, zeigten uns die Indianer mitten im Wald zu unſerer Rechten die Trümmer der ſeit lange verlaſſenen Miſſion Mendaxari. Auf dem anderen, öſtlichen Ufer, beim kleinen Felſen Kema- rumo, wurden wir auf einen rieſenhaften Käſebaum (Bombax

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/221>, abgerufen am 19.04.2024.