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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Durch die Stiche wird der entzündliche Zustand der Haut-
bedeckung nicht nur nicht vermindert, sondern gesteigert.

Die Menge der Schnaken und Mücken deutet nur inso-
fern auf die Ungesundheit einer Gegend hin, als Entwicke-
lung und Vermehrung dieser Insekten von denselben Ursachen
abhängen, aus denen Miasmen entstehen. Diese lästigen
Tiere lieben einen fruchtbaren, mit Pflanzen bewachsenen
Boden, stehendes Wasser, eine feuchte, niemals vom Winde
bewegte Luft; statt freier Gegend suchen sie den Schatten auf,
das Halbdunkel, den mitteren Grad von Licht, Wärmestoff
und Feuchtigkeit, der dem Spiel chemischer Affinitäten Vor-
schub leistet und damit die Fäulnis organischer Substanzen
beschleunigt. Tragen die Moskiten an sich zur Ungesundheit
der Luft bei? Bedenkt man, das bis auf 5 bis 8 m vom
Boden im Kubikfuß Luft häufig eine Million geflügelter
Insekten 1 enthalten ist, die eine ätzende, giftige Flüssigkeit bei
sich führen; daß mehrere Culexarten vom Kopf bis zum Ende
des Bruststücks (die Füße ungerechnet) an 4 mm lang sind;
endlich daß in dem Schnaken- und Mückenschwarm, der wie
ein Rauch die Luft erfüllt, sich eine Menge toter Insekten
befinden, die durch den aufsteigenden Luftstrom oder durch
seitliche, durch die ungleiche Erwärmung des Bodens erzeugte
Ströme fortgerissen werden, so fragt man sich, ob eine solche
Anhäufung von tierischen Stoffen in der Luft nicht zur ört-
lichen Bildung von Miasmen Anlaß geben muß? Ich glaube,
diese Substanzen wirken anders auf die Luft als Sand und
Staub; man wird aber gut thun, in dieser Beziehung keine
Behauptung aufzustellen. Von den vielen Rätseln, welche das
Ungesundsein der Luft uns aufgibt, hat die Chemie noch keines
gelöst; sie hat uns nur so viel gelehrt, daß wir gar vieles
nicht wissen, was wir vor 15 Jahren dank den sinnreichen
Träumen der alten Eudiometrie zu wissen meinten.

Nicht so ungewiß und fast durch tägliche Erfahrungen
bestätigt ist der Umstand, daß am Orinoko, am Cassiquiare,
am Rio Caura, überall, wo die Luft sehr ungesund ist, der
Stich der Moskiten die Disposition der Organe zur Aufnahme
der Miasmen steigert. Wenn man monatelang Tag und
Nacht von den Insekten gepeinigt wird, so erzeugt der be-
ständige Hautreiz fieberhafte Aufregung und schwächt, infolge

1 Bei dieser Gelegenheit soll nur daran erinnert werden, daß
der Kubikfuß 2985984 Kubiklinien enthält.

Durch die Stiche wird der entzündliche Zuſtand der Haut-
bedeckung nicht nur nicht vermindert, ſondern geſteigert.

Die Menge der Schnaken und Mücken deutet nur inſo-
fern auf die Ungeſundheit einer Gegend hin, als Entwicke-
lung und Vermehrung dieſer Inſekten von denſelben Urſachen
abhängen, aus denen Miasmen entſtehen. Dieſe läſtigen
Tiere lieben einen fruchtbaren, mit Pflanzen bewachſenen
Boden, ſtehendes Waſſer, eine feuchte, niemals vom Winde
bewegte Luft; ſtatt freier Gegend ſuchen ſie den Schatten auf,
das Halbdunkel, den mitteren Grad von Licht, Wärmeſtoff
und Feuchtigkeit, der dem Spiel chemiſcher Affinitäten Vor-
ſchub leiſtet und damit die Fäulnis organiſcher Subſtanzen
beſchleunigt. Tragen die Moskiten an ſich zur Ungeſundheit
der Luft bei? Bedenkt man, das bis auf 5 bis 8 m vom
Boden im Kubikfuß Luft häufig eine Million geflügelter
Inſekten 1 enthalten iſt, die eine ätzende, giftige Flüſſigkeit bei
ſich führen; daß mehrere Culexarten vom Kopf bis zum Ende
des Bruſtſtücks (die Füße ungerechnet) an 4 mm lang ſind;
endlich daß in dem Schnaken- und Mückenſchwarm, der wie
ein Rauch die Luft erfüllt, ſich eine Menge toter Inſekten
befinden, die durch den aufſteigenden Luftſtrom oder durch
ſeitliche, durch die ungleiche Erwärmung des Bodens erzeugte
Ströme fortgeriſſen werden, ſo fragt man ſich, ob eine ſolche
Anhäufung von tieriſchen Stoffen in der Luft nicht zur ört-
lichen Bildung von Miasmen Anlaß geben muß? Ich glaube,
dieſe Subſtanzen wirken anders auf die Luft als Sand und
Staub; man wird aber gut thun, in dieſer Beziehung keine
Behauptung aufzuſtellen. Von den vielen Rätſeln, welche das
Ungeſundſein der Luft uns aufgibt, hat die Chemie noch keines
gelöſt; ſie hat uns nur ſo viel gelehrt, daß wir gar vieles
nicht wiſſen, was wir vor 15 Jahren dank den ſinnreichen
Träumen der alten Eudiometrie zu wiſſen meinten.

Nicht ſo ungewiß und faſt durch tägliche Erfahrungen
beſtätigt iſt der Umſtand, daß am Orinoko, am Caſſiquiare,
am Rio Caura, überall, wo die Luft ſehr ungeſund iſt, der
Stich der Moskiten die Dispoſition der Organe zur Aufnahme
der Miasmen ſteigert. Wenn man monatelang Tag und
Nacht von den Inſekten gepeinigt wird, ſo erzeugt der be-
ſtändige Hautreiz fieberhafte Aufregung und ſchwächt, infolge

1 Bei dieſer Gelegenheit ſoll nur daran erinnert werden, daß
der Kubikfuß 2985984 Kubiklinien enthält.
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[156/0164] Durch die Stiche wird der entzündliche Zuſtand der Haut- bedeckung nicht nur nicht vermindert, ſondern geſteigert. Die Menge der Schnaken und Mücken deutet nur inſo- fern auf die Ungeſundheit einer Gegend hin, als Entwicke- lung und Vermehrung dieſer Inſekten von denſelben Urſachen abhängen, aus denen Miasmen entſtehen. Dieſe läſtigen Tiere lieben einen fruchtbaren, mit Pflanzen bewachſenen Boden, ſtehendes Waſſer, eine feuchte, niemals vom Winde bewegte Luft; ſtatt freier Gegend ſuchen ſie den Schatten auf, das Halbdunkel, den mitteren Grad von Licht, Wärmeſtoff und Feuchtigkeit, der dem Spiel chemiſcher Affinitäten Vor- ſchub leiſtet und damit die Fäulnis organiſcher Subſtanzen beſchleunigt. Tragen die Moskiten an ſich zur Ungeſundheit der Luft bei? Bedenkt man, das bis auf 5 bis 8 m vom Boden im Kubikfuß Luft häufig eine Million geflügelter Inſekten 1 enthalten iſt, die eine ätzende, giftige Flüſſigkeit bei ſich führen; daß mehrere Culexarten vom Kopf bis zum Ende des Bruſtſtücks (die Füße ungerechnet) an 4 mm lang ſind; endlich daß in dem Schnaken- und Mückenſchwarm, der wie ein Rauch die Luft erfüllt, ſich eine Menge toter Inſekten befinden, die durch den aufſteigenden Luftſtrom oder durch ſeitliche, durch die ungleiche Erwärmung des Bodens erzeugte Ströme fortgeriſſen werden, ſo fragt man ſich, ob eine ſolche Anhäufung von tieriſchen Stoffen in der Luft nicht zur ört- lichen Bildung von Miasmen Anlaß geben muß? Ich glaube, dieſe Subſtanzen wirken anders auf die Luft als Sand und Staub; man wird aber gut thun, in dieſer Beziehung keine Behauptung aufzuſtellen. Von den vielen Rätſeln, welche das Ungeſundſein der Luft uns aufgibt, hat die Chemie noch keines gelöſt; ſie hat uns nur ſo viel gelehrt, daß wir gar vieles nicht wiſſen, was wir vor 15 Jahren dank den ſinnreichen Träumen der alten Eudiometrie zu wiſſen meinten. Nicht ſo ungewiß und faſt durch tägliche Erfahrungen beſtätigt iſt der Umſtand, daß am Orinoko, am Caſſiquiare, am Rio Caura, überall, wo die Luft ſehr ungeſund iſt, der Stich der Moskiten die Dispoſition der Organe zur Aufnahme der Miasmen ſteigert. Wenn man monatelang Tag und Nacht von den Inſekten gepeinigt wird, ſo erzeugt der be- ſtändige Hautreiz fieberhafte Aufregung und ſchwächt, infolge 1 Bei dieſer Gelegenheit ſoll nur daran erinnert werden, daß der Kubikfuß 2985984 Kubiklinien enthält.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/164>, abgerufen am 20.04.2024.