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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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weil sie ungestüm das Gebüsch auf ihrem Wege zerknicken.
Bonpland rief einmal beim Botanisiern sein indianischer Führer
zu, er solle sich hinter einen Baum verstecken, und da sah
er denn diese Pecari (Cochinos oder Puercos del monte)
ganz nahe an sich vorüberkommen. Das Rudel zog in dicht
gedrängten Reihen, die männlichen Tiere voran, jedes Mutter-
schwein mit seinen Jungen hinter sich. Die Chacharos haben
ein weichliches, nicht sehr angenehmes Fleisch; sie werden
übrigens von den Indianern stark gegessen, die sie mit kleinen
an Stricke gebundenen Spießen erlegen. Man versicherte uns
in Atures, der Tiger fürchte sich im Walde unter ein solches
Rudel von Wildschweinen zu geraten, und suche sich, um nicht
erdrückt zu werden, auf einen Baum zu flüchten. Ist das
nun eine Jägergeschichte oder eine wirkliche Beobachtung?
Wir werden bald sehen, daß in manchen Ländern von Amerika
die Jäger an die Existenz eines Javali oder einheimischen
Ebers mit nach außen gekrümmten Hauern1 glauben. Ich
habe nie einen gesehen, die amerikanischen Missionäre führen
ihn aber in ihren Schriften auf, und diese von unseren Zoo-
logen zu wenig beachtete Quelle enthält neben den plumpsten
Uebertreibungen sehr interessante lokale Beobachtungen.

Unter den Affen, die wir in der Mission Atures zu sehen
bekamen, fanden wir eine neue Art aus der Sippe der Sais
oder Saju, von den Hispano-Amerikanern gewöhnlich Ma-
chis
genannt. Es ist dies der Uavapavi2 mit grauem
Pelz und bläulichem Gesicht. Augenränder und Stirn sind
schneeweiß, und dadurch unterscheidet er sich auf den ersten
Blick von der Simia capucina, der Simia apella, Simia
trepida
und den anderen Winselaffen, in deren Beschreibung
bis jetzt so große Verwirrung herrscht. Das kleine Tier ist
so sanftmütig als häßlich. Jeden Tag sprang es im Hofe
der Mission auf ein Schwein und blieb auf demselben von
Morgen bis Abend sitzen, während es auf den Grasfluren
umherlief. Wir sahen es auch auf dem Rücken einer großen
Katze, die mit ihm im Hause des Pater Zea aufgezogen wor-
den war.

In den Katarakten hörten wir auch zum erstenmal von

1 Cortez behauptet, er habe am Magdalenenfluß einen Eber
mit gekrümmten Hauern und Längsstreifen auf dem Rücken ge-
schossen. Sollte es dort verwilderte europäische Schweine geben?
2 Simia albifrons, Humboldt.

weil ſie ungeſtüm das Gebüſch auf ihrem Wege zerknicken.
Bonpland rief einmal beim Botaniſiern ſein indianiſcher Führer
zu, er ſolle ſich hinter einen Baum verſtecken, und da ſah
er denn dieſe Pecari (Cochinos oder Puercos del monte)
ganz nahe an ſich vorüberkommen. Das Rudel zog in dicht
gedrängten Reihen, die männlichen Tiere voran, jedes Mutter-
ſchwein mit ſeinen Jungen hinter ſich. Die Chacharos haben
ein weichliches, nicht ſehr angenehmes Fleiſch; ſie werden
übrigens von den Indianern ſtark gegeſſen, die ſie mit kleinen
an Stricke gebundenen Spießen erlegen. Man verſicherte uns
in Atures, der Tiger fürchte ſich im Walde unter ein ſolches
Rudel von Wildſchweinen zu geraten, und ſuche ſich, um nicht
erdrückt zu werden, auf einen Baum zu flüchten. Iſt das
nun eine Jägergeſchichte oder eine wirkliche Beobachtung?
Wir werden bald ſehen, daß in manchen Ländern von Amerika
die Jäger an die Exiſtenz eines Javali oder einheimiſchen
Ebers mit nach außen gekrümmten Hauern1 glauben. Ich
habe nie einen geſehen, die amerikaniſchen Miſſionäre führen
ihn aber in ihren Schriften auf, und dieſe von unſeren Zoo-
logen zu wenig beachtete Quelle enthält neben den plumpſten
Uebertreibungen ſehr intereſſante lokale Beobachtungen.

Unter den Affen, die wir in der Miſſion Atures zu ſehen
bekamen, fanden wir eine neue Art aus der Sippe der Saïs
oder Saju, von den Hiſpano-Amerikanern gewöhnlich Ma-
chis
genannt. Es iſt dies der Uavapavi2 mit grauem
Pelz und bläulichem Geſicht. Augenränder und Stirn ſind
ſchneeweiß, und dadurch unterſcheidet er ſich auf den erſten
Blick von der Simia capucina, der Simia apella, Simia
trepida
und den anderen Winſelaffen, in deren Beſchreibung
bis jetzt ſo große Verwirrung herrſcht. Das kleine Tier iſt
ſo ſanftmütig als häßlich. Jeden Tag ſprang es im Hofe
der Miſſion auf ein Schwein und blieb auf demſelben von
Morgen bis Abend ſitzen, während es auf den Grasfluren
umherlief. Wir ſahen es auch auf dem Rücken einer großen
Katze, die mit ihm im Hauſe des Pater Zea aufgezogen wor-
den war.

In den Katarakten hörten wir auch zum erſtenmal von

1 Cortez behauptet, er habe am Magdalenenfluß einen Eber
mit gekrümmten Hauern und Längsſtreifen auf dem Rücken ge-
ſchoſſen. Sollte es dort verwilderte europäiſche Schweine geben?
2 Simia albifrons, Humboldt.
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[140/0148] weil ſie ungeſtüm das Gebüſch auf ihrem Wege zerknicken. Bonpland rief einmal beim Botaniſiern ſein indianiſcher Führer zu, er ſolle ſich hinter einen Baum verſtecken, und da ſah er denn dieſe Pecari (Cochinos oder Puercos del monte) ganz nahe an ſich vorüberkommen. Das Rudel zog in dicht gedrängten Reihen, die männlichen Tiere voran, jedes Mutter- ſchwein mit ſeinen Jungen hinter ſich. Die Chacharos haben ein weichliches, nicht ſehr angenehmes Fleiſch; ſie werden übrigens von den Indianern ſtark gegeſſen, die ſie mit kleinen an Stricke gebundenen Spießen erlegen. Man verſicherte uns in Atures, der Tiger fürchte ſich im Walde unter ein ſolches Rudel von Wildſchweinen zu geraten, und ſuche ſich, um nicht erdrückt zu werden, auf einen Baum zu flüchten. Iſt das nun eine Jägergeſchichte oder eine wirkliche Beobachtung? Wir werden bald ſehen, daß in manchen Ländern von Amerika die Jäger an die Exiſtenz eines Javali oder einheimiſchen Ebers mit nach außen gekrümmten Hauern 1 glauben. Ich habe nie einen geſehen, die amerikaniſchen Miſſionäre führen ihn aber in ihren Schriften auf, und dieſe von unſeren Zoo- logen zu wenig beachtete Quelle enthält neben den plumpſten Uebertreibungen ſehr intereſſante lokale Beobachtungen. Unter den Affen, die wir in der Miſſion Atures zu ſehen bekamen, fanden wir eine neue Art aus der Sippe der Saïs oder Saju, von den Hiſpano-Amerikanern gewöhnlich Ma- chis genannt. Es iſt dies der Uavapavi 2 mit grauem Pelz und bläulichem Geſicht. Augenränder und Stirn ſind ſchneeweiß, und dadurch unterſcheidet er ſich auf den erſten Blick von der Simia capucina, der Simia apella, Simia trepida und den anderen Winſelaffen, in deren Beſchreibung bis jetzt ſo große Verwirrung herrſcht. Das kleine Tier iſt ſo ſanftmütig als häßlich. Jeden Tag ſprang es im Hofe der Miſſion auf ein Schwein und blieb auf demſelben von Morgen bis Abend ſitzen, während es auf den Grasfluren umherlief. Wir ſahen es auch auf dem Rücken einer großen Katze, die mit ihm im Hauſe des Pater Zea aufgezogen wor- den war. In den Katarakten hörten wir auch zum erſtenmal von 1 Cortez behauptet, er habe am Magdalenenfluß einen Eber mit gekrümmten Hauern und Längsſtreifen auf dem Rücken ge- ſchoſſen. Sollte es dort verwilderte europäiſche Schweine geben? 2 Simia albifrons, Humboldt.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/148>, abgerufen am 19.04.2024.