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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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als solche nach dem Körperbau. Das Haar der Säugetiere,
die Federn der Vögel, selbst die Schuppen der Fische wechseln
die Farbe, je nach dem vorherrschenden Einflusse von Licht
oder von Dunkelheit, je nach den Hitze- und Kältegraden.
Beim Menschen scheint sich der Farbstoff im Hautsystem durch
die Haarwurzeln oder Zwiebeln abzulagern, und aus allen
guten Beobachtungen geht hervor, daß sich die Hautfarbe wohl
beim einzelnen infolge von Hautreizen, aber nicht erblich bei
einer ganzen Rasse ändert. Die Eskimo in Grönland und
die Lappen sind gebräunt durch den Einfluß der Luft, aber
ihre Kinder kommen weiß zur Welt. Ob und welche Ver-
änderungen die Natur in Zeiträumen hervorbringen mag,
gegen welche alle geschichtliche Ueberlieferung verschwindet,
darüber haben wir nichts zu sagen. Bei Untersuchungen der-
art macht der forschende Gedanke Halt, sobald er Erfahrung
und Analogie nicht mehr zu Führern hat.

Die Völker mit weißer Haut beginnen ihre Kosmogonie
mit weißen Menschen; nach ihnen sind die Neger und alle
dunkelfarbigen Völker durch die übermäßige Sonnenglut ge-
schwärzt oder gebräunt worden. Diese Ansicht, die schon bei
den Griechen herrschte, 1 wenn auch nicht ohne Widerspruch,
hat sich bis auf unsere Zeit erhalten. Buffon wiederholt in
Prosa, was Theodektes zweitausend Jahre früher poetisch aus-
gesprochen: "Die Nationen tragen die Livree der Erdstriche,
die sie bewohnen." Wäre die Geschichte von schwarzen Völkern
geschrieben worden, sie hätten behauptet, was neuerdings sogar
von Europäern angenommen worden ist, der Mensch sei ur-
sprünglich schwarz oder doch sehr dunkelfarbig, und infolge
der Civilisation und fortschreitenden Verweichlichung haben sich
manche Rassen gebleicht, wie ja auch bei den Tieren im zahmen
Zustande die dunkle Färbung in eine hellere übergeht. Bei
Pflanzen und Tieren sind Spielarten, die sich durch Zufall
unter unseren Augen gebildet, beständig geworden und haben
sich unverändert fortgepflanzt; aber nichts weist darauf hin,

1 Onesicritus, bei Strabo, Lib. XV. Die Züge Alexanders
scheinen viel dazu beigetragen zu haben, die Griechen auf die große
Frage nach dem Einfluß des Klimas aufmerksam zu machen. Sie
hatten von Reisenden vernommen, daß in Hindustan die Völker
im Süden dunkelfarbiger seien als im Norden in der Nähe der
Gebirge, und sie setzten voraus, daß beide derselben Rasse an-
gehören.

als ſolche nach dem Körperbau. Das Haar der Säugetiere,
die Federn der Vögel, ſelbſt die Schuppen der Fiſche wechſeln
die Farbe, je nach dem vorherrſchenden Einfluſſe von Licht
oder von Dunkelheit, je nach den Hitze- und Kältegraden.
Beim Menſchen ſcheint ſich der Farbſtoff im Hautſyſtem durch
die Haarwurzeln oder Zwiebeln abzulagern, und aus allen
guten Beobachtungen geht hervor, daß ſich die Hautfarbe wohl
beim einzelnen infolge von Hautreizen, aber nicht erblich bei
einer ganzen Raſſe ändert. Die Eskimo in Grönland und
die Lappen ſind gebräunt durch den Einfluß der Luft, aber
ihre Kinder kommen weiß zur Welt. Ob und welche Ver-
änderungen die Natur in Zeiträumen hervorbringen mag,
gegen welche alle geſchichtliche Ueberlieferung verſchwindet,
darüber haben wir nichts zu ſagen. Bei Unterſuchungen der-
art macht der forſchende Gedanke Halt, ſobald er Erfahrung
und Analogie nicht mehr zu Führern hat.

Die Völker mit weißer Haut beginnen ihre Kosmogonie
mit weißen Menſchen; nach ihnen ſind die Neger und alle
dunkelfarbigen Völker durch die übermäßige Sonnenglut ge-
ſchwärzt oder gebräunt worden. Dieſe Anſicht, die ſchon bei
den Griechen herrſchte, 1 wenn auch nicht ohne Widerſpruch,
hat ſich bis auf unſere Zeit erhalten. Buffon wiederholt in
Proſa, was Theodektes zweitauſend Jahre früher poetiſch aus-
geſprochen: „Die Nationen tragen die Livree der Erdſtriche,
die ſie bewohnen.“ Wäre die Geſchichte von ſchwarzen Völkern
geſchrieben worden, ſie hätten behauptet, was neuerdings ſogar
von Europäern angenommen worden iſt, der Menſch ſei ur-
ſprünglich ſchwarz oder doch ſehr dunkelfarbig, und infolge
der Civiliſation und fortſchreitenden Verweichlichung haben ſich
manche Raſſen gebleicht, wie ja auch bei den Tieren im zahmen
Zuſtande die dunkle Färbung in eine hellere übergeht. Bei
Pflanzen und Tieren ſind Spielarten, die ſich durch Zufall
unter unſeren Augen gebildet, beſtändig geworden und haben
ſich unverändert fortgepflanzt; aber nichts weiſt darauf hin,

1 Oneſicritus, bei Strabo, Lib. XV. Die Züge Alexanders
ſcheinen viel dazu beigetragen zu haben, die Griechen auf die große
Frage nach dem Einfluß des Klimas aufmerkſam zu machen. Sie
hatten von Reiſenden vernommen, daß in Hinduſtan die Völker
im Süden dunkelfarbiger ſeien als im Norden in der Nähe der
Gebirge, und ſie ſetzten voraus, daß beide derſelben Raſſe an-
gehören.
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[41/0049] als ſolche nach dem Körperbau. Das Haar der Säugetiere, die Federn der Vögel, ſelbſt die Schuppen der Fiſche wechſeln die Farbe, je nach dem vorherrſchenden Einfluſſe von Licht oder von Dunkelheit, je nach den Hitze- und Kältegraden. Beim Menſchen ſcheint ſich der Farbſtoff im Hautſyſtem durch die Haarwurzeln oder Zwiebeln abzulagern, und aus allen guten Beobachtungen geht hervor, daß ſich die Hautfarbe wohl beim einzelnen infolge von Hautreizen, aber nicht erblich bei einer ganzen Raſſe ändert. Die Eskimo in Grönland und die Lappen ſind gebräunt durch den Einfluß der Luft, aber ihre Kinder kommen weiß zur Welt. Ob und welche Ver- änderungen die Natur in Zeiträumen hervorbringen mag, gegen welche alle geſchichtliche Ueberlieferung verſchwindet, darüber haben wir nichts zu ſagen. Bei Unterſuchungen der- art macht der forſchende Gedanke Halt, ſobald er Erfahrung und Analogie nicht mehr zu Führern hat. Die Völker mit weißer Haut beginnen ihre Kosmogonie mit weißen Menſchen; nach ihnen ſind die Neger und alle dunkelfarbigen Völker durch die übermäßige Sonnenglut ge- ſchwärzt oder gebräunt worden. Dieſe Anſicht, die ſchon bei den Griechen herrſchte, 1 wenn auch nicht ohne Widerſpruch, hat ſich bis auf unſere Zeit erhalten. Buffon wiederholt in Proſa, was Theodektes zweitauſend Jahre früher poetiſch aus- geſprochen: „Die Nationen tragen die Livree der Erdſtriche, die ſie bewohnen.“ Wäre die Geſchichte von ſchwarzen Völkern geſchrieben worden, ſie hätten behauptet, was neuerdings ſogar von Europäern angenommen worden iſt, der Menſch ſei ur- ſprünglich ſchwarz oder doch ſehr dunkelfarbig, und infolge der Civiliſation und fortſchreitenden Verweichlichung haben ſich manche Raſſen gebleicht, wie ja auch bei den Tieren im zahmen Zuſtande die dunkle Färbung in eine hellere übergeht. Bei Pflanzen und Tieren ſind Spielarten, die ſich durch Zufall unter unſeren Augen gebildet, beſtändig geworden und haben ſich unverändert fortgepflanzt; aber nichts weiſt darauf hin, 1 Oneſicritus, bei Strabo, Lib. XV. Die Züge Alexanders ſcheinen viel dazu beigetragen zu haben, die Griechen auf die große Frage nach dem Einfluß des Klimas aufmerkſam zu machen. Sie hatten von Reiſenden vernommen, daß in Hinduſtan die Völker im Süden dunkelfarbiger ſeien als im Norden in der Nähe der Gebirge, und ſie ſetzten voraus, daß beide derſelben Raſſe an- gehören.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/49>, abgerufen am 19.04.2024.