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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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selbe gilt von der mexikanischen Sprache, in der doch die
Silben tli, tla und itl als Endungen oder mitten in den
Worten so häufig vorkommen. Der Chaymasindianer spricht
r statt l, weil er dieses nicht aussprechen kann, was ja in
allen Himmelsstrichen vorkommt. Auf diese Weise wurden
aus den Kariben am Orinoko im französischen Guayana
Galibi; an die Stelle des r trat l und das k erweichte sich.
Aus dem spanischen Wort soldado hat das Tamanacu
choraro (solalo) gemacht. Wenn f und b in so vielen
amerikanischen Mundarten fehlen, so kommt dies vom innigen
Verwandtschaftsverhältnis zwischen gewissen Lauten, wie es
sich in allen Sprachen gleicher Abstammung offenbart. Die
Buchstaben f und v, b und p werden verwechselt; z. B. persisch:
peder, pater, father, Vater; burader, frater, Bruder;
behar, ver; griechisch: phorton (forton), Bürde; pous, Fuß.
Gerade so wird bei den Amerikanern f und b zu p, und
aus d wird t. Der Chaymasindianer spricht patre, Tios,
Atani, aracapucha,
statt padre, Dios, Adan und arcabuz
(Büchse).

Trotz der erwähnten Aehnlichkeiten glauben wir nicht,
daß das Chaymas als ein Dialekt des Tamanacu zu be-
trachten ist, wie die drei Dialekte Maitano, Cuchivero und
Crataima. Der Abweichungen sind viele und wesentliche, und
die beiden Sprachen scheinen mir höchstens in dem Grade
verwandt, wie das Deutsche, Schwedische und Englische. Sie
gehören derselben Unterabteilung der großen Familie der tama-
nakischen, karibischen und aruakischen Sprachen an. Da es
für die Sprachverwandtschaft kein absolutes Maß gibt, so
lassen sich dergleichen Verwandtschaftsgrade nur durch von
bekannten Sprachen hergenommene Beispiele bezeichnen. Wir
rechnen zur selben Familie Sprachen, die einander so nahe
stehen wie Griechisch, Deutsch, Persisch und Sanskrit.

Die sprachvergleichende Wissenschaft glaubte gefunden zu
haben, daß alle Sprachen in zwei große Klassen zerfallen,
indem die einen, mit vollkommenerem Bau, freier, rascher in
der Bewegung, eine innere Entwickelung durch Flexion be-
zeichnen, während die anderen, plumperen, weniger bildungs-
fähigen, nur kleine Formen oder agglutinierte Partikeln roh
nebeneinander stellen, die alle, wenn man sie für sich braucht,
ihre eigentümliche Physiognomie beibehalten. Diese höchst
geistreiche Auffassung wäre unrichtig, wenn man annähme,
es gäbe vielsilbige Sprachen ohne alle Flexion, oder aber

ſelbe gilt von der mexikaniſchen Sprache, in der doch die
Silben tli, tla und itl als Endungen oder mitten in den
Worten ſo häufig vorkommen. Der Chaymasindianer ſpricht
r ſtatt l, weil er dieſes nicht ausſprechen kann, was ja in
allen Himmelsſtrichen vorkommt. Auf dieſe Weiſe wurden
aus den Kariben am Orinoko im franzöſiſchen Guayana
Galibi; an die Stelle des r trat l und das k erweichte ſich.
Aus dem ſpaniſchen Wort soldado hat das Tamanacu
choraro (solalo) gemacht. Wenn f und b in ſo vielen
amerikaniſchen Mundarten fehlen, ſo kommt dies vom innigen
Verwandtſchaftsverhältnis zwiſchen gewiſſen Lauten, wie es
ſich in allen Sprachen gleicher Abſtammung offenbart. Die
Buchſtaben f und v, b und p werden verwechſelt; z. B. perſiſch:
peder, pater, father, Vater; burader, frater, Bruder;
behar, ver; griechiſch: phorton (forton), Bürde; pous, Fuß.
Gerade ſo wird bei den Amerikanern f und b zu p, und
aus d wird t. Der Chaymasindianer ſpricht patre, Tios,
Atani, aracapucha,
ſtatt padre, Dios, Adan und arcabuz
(Büchſe).

Trotz der erwähnten Aehnlichkeiten glauben wir nicht,
daß das Chaymas als ein Dialekt des Tamanacu zu be-
trachten iſt, wie die drei Dialekte Maitano, Cuchivero und
Crataima. Der Abweichungen ſind viele und weſentliche, und
die beiden Sprachen ſcheinen mir höchſtens in dem Grade
verwandt, wie das Deutſche, Schwediſche und Engliſche. Sie
gehören derſelben Unterabteilung der großen Familie der tama-
nakiſchen, karibiſchen und aruakiſchen Sprachen an. Da es
für die Sprachverwandtſchaft kein abſolutes Maß gibt, ſo
laſſen ſich dergleichen Verwandtſchaftsgrade nur durch von
bekannten Sprachen hergenommene Beiſpiele bezeichnen. Wir
rechnen zur ſelben Familie Sprachen, die einander ſo nahe
ſtehen wie Griechiſch, Deutſch, Perſiſch und Sanskrit.

Die ſprachvergleichende Wiſſenſchaft glaubte gefunden zu
haben, daß alle Sprachen in zwei große Klaſſen zerfallen,
indem die einen, mit vollkommenerem Bau, freier, raſcher in
der Bewegung, eine innere Entwickelung durch Flexion be-
zeichnen, während die anderen, plumperen, weniger bildungs-
fähigen, nur kleine Formen oder agglutinierte Partikeln roh
nebeneinander ſtellen, die alle, wenn man ſie für ſich braucht,
ihre eigentümliche Phyſiognomie beibehalten. Dieſe höchſt
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[31/0039] ſelbe gilt von der mexikaniſchen Sprache, in der doch die Silben tli, tla und itl als Endungen oder mitten in den Worten ſo häufig vorkommen. Der Chaymasindianer ſpricht r ſtatt l, weil er dieſes nicht ausſprechen kann, was ja in allen Himmelsſtrichen vorkommt. Auf dieſe Weiſe wurden aus den Kariben am Orinoko im franzöſiſchen Guayana Galibi; an die Stelle des r trat l und das k erweichte ſich. Aus dem ſpaniſchen Wort soldado hat das Tamanacu choraro (solalo) gemacht. Wenn f und b in ſo vielen amerikaniſchen Mundarten fehlen, ſo kommt dies vom innigen Verwandtſchaftsverhältnis zwiſchen gewiſſen Lauten, wie es ſich in allen Sprachen gleicher Abſtammung offenbart. Die Buchſtaben f und v, b und p werden verwechſelt; z. B. perſiſch: peder, pater, father, Vater; burader, frater, Bruder; behar, ver; griechiſch: phorton (forton), Bürde; pous, Fuß. Gerade ſo wird bei den Amerikanern f und b zu p, und aus d wird t. Der Chaymasindianer ſpricht patre, Tios, Atani, aracapucha, ſtatt padre, Dios, Adan und arcabuz (Büchſe). Trotz der erwähnten Aehnlichkeiten glauben wir nicht, daß das Chaymas als ein Dialekt des Tamanacu zu be- trachten iſt, wie die drei Dialekte Maitano, Cuchivero und Crataima. Der Abweichungen ſind viele und weſentliche, und die beiden Sprachen ſcheinen mir höchſtens in dem Grade verwandt, wie das Deutſche, Schwediſche und Engliſche. Sie gehören derſelben Unterabteilung der großen Familie der tama- nakiſchen, karibiſchen und aruakiſchen Sprachen an. Da es für die Sprachverwandtſchaft kein abſolutes Maß gibt, ſo laſſen ſich dergleichen Verwandtſchaftsgrade nur durch von bekannten Sprachen hergenommene Beiſpiele bezeichnen. Wir rechnen zur ſelben Familie Sprachen, die einander ſo nahe ſtehen wie Griechiſch, Deutſch, Perſiſch und Sanskrit. Die ſprachvergleichende Wiſſenſchaft glaubte gefunden zu haben, daß alle Sprachen in zwei große Klaſſen zerfallen, indem die einen, mit vollkommenerem Bau, freier, raſcher in der Bewegung, eine innere Entwickelung durch Flexion be- zeichnen, während die anderen, plumperen, weniger bildungs- fähigen, nur kleine Formen oder agglutinierte Partikeln roh nebeneinander ſtellen, die alle, wenn man ſie für ſich braucht, ihre eigentümliche Phyſiognomie beibehalten. Dieſe höchſt geiſtreiche Auffaſſung wäre unrichtig, wenn man annähme, es gäbe vielſilbige Sprachen ohne alle Flexion, oder aber

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/39>, abgerufen am 19.04.2024.