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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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"montaonocon, die dort", wenn der Sprechende einen Ort
meint, an dem er sich selbst befand; "myonocon, die dort",
wenn er von einem Orte spricht, an dem er nicht war. Die
Chaymas haben auch die spanischen Adverbe aqui und ala
(alla)
, deren Sinn sich in den Sprachen von germanischer
und lateinischer Abstammung nur mittels Umschreibung wieder-
geben läßt.

Manche Indianer, die Spanisch verstanden, versicherten
uns, zis bedeute nicht nur Sonne, sondern auch Gottheit.
Dies schien mir um so auffallender, da man bei allen anderen
amerikanischen Völkern besondere Worte für Gott und für
Sonne findet. Der Karibe wirft "tamoussicabo, den Alten
des Himmels", und "veyou, die Sonne", nicht zusammen.
Sogar der Peruaner, der die Sonne anbetet, erhebt sich zur
Vorstellung eines Wesens, das den Lauf der Sterne lenkt.
In der Sprache der Inkas heißt die Sonne, fast wie im
Sanskrit, Inti, 1 während Gott Vinay Huayna, der ewig
Junge, genannt wird.

Die Satzbildung ist im Chaymas wie bei allen Sprachen
beider Kontinente, die sich eine gewisse Jugendlichkeit bewahrt
haben. Das Regierte kommt vor das Zeitwort zu stehen,
das Zeitwort vor das persönliche Fürwort. Der Gegenstand,
auf den der Hauptnachdruck fällt, geht allem voran, was sonst
ausgesagt wird. Der Amerikaner würde sagen: "Freiheit
völlige lieben wir" statt: wir lieben völlige Freiheit; "dir
mit glücklich bin ich" statt: mit dir bin ich glücklich. Diese
Sätze haben eine gewisse Unmittelbarkeit, Bestimmtheit, Bündig-
keit, und sie erscheinen desto naiver, da der Artikel fehlt. Ob
wohl diese Völker, bei fortschreitender Kultur und sich selbst
überlassen, mit der Zeit von dieser Satzbildung abgegangen
wären? Man könnte es vermuten, wenn man bedenkt, wie
stark die Syntax der Römer in ihren bestimmten, klaren, aber
etwas schüchternen Töchtersprachen umgewandelt worden ist.

Im Chaymas wie im Tamanacu und den meisten ameri-
kanischen Sprachen fehlen gewisse Buchstaben ganz, so nament-
lich das f, b und d. Kein Wort beginnt mit einem 1. Das-

1 In der Sprache der Inka heißt Sonne inti, Liebe munay,
groß veypul; im Sanskrit: Sonne indre, Liebe manya, groß
vipulo. Es sind dies die einzigen Fälle von Lautähnlichkeit, die
man bis jetzt aufgefunden. Im grammatischen Bau sind die beiden
Sprachen völlig verschieden.

„montaonocon, die dort“, wenn der Sprechende einen Ort
meint, an dem er ſich ſelbſt befand; „myonocon, die dort“,
wenn er von einem Orte ſpricht, an dem er nicht war. Die
Chaymas haben auch die ſpaniſchen Adverbe aqui und alà
(allà)
, deren Sinn ſich in den Sprachen von germaniſcher
und lateiniſcher Abſtammung nur mittels Umſchreibung wieder-
geben läßt.

Manche Indianer, die Spaniſch verſtanden, verſicherten
uns, zis bedeute nicht nur Sonne, ſondern auch Gottheit.
Dies ſchien mir um ſo auffallender, da man bei allen anderen
amerikaniſchen Völkern beſondere Worte für Gott und für
Sonne findet. Der Karibe wirft „tamoussicabo, den Alten
des Himmels“, und „veyou, die Sonne“, nicht zuſammen.
Sogar der Peruaner, der die Sonne anbetet, erhebt ſich zur
Vorſtellung eines Weſens, das den Lauf der Sterne lenkt.
In der Sprache der Inkas heißt die Sonne, faſt wie im
Sanskrit, Inti, 1 während Gott Vinay Huayna, der ewig
Junge, genannt wird.

Die Satzbildung iſt im Chaymas wie bei allen Sprachen
beider Kontinente, die ſich eine gewiſſe Jugendlichkeit bewahrt
haben. Das Regierte kommt vor das Zeitwort zu ſtehen,
das Zeitwort vor das perſönliche Fürwort. Der Gegenſtand,
auf den der Hauptnachdruck fällt, geht allem voran, was ſonſt
ausgeſagt wird. Der Amerikaner würde ſagen: „Freiheit
völlige lieben wir“ ſtatt: wir lieben völlige Freiheit; „dir
mit glücklich bin ich“ ſtatt: mit dir bin ich glücklich. Dieſe
Sätze haben eine gewiſſe Unmittelbarkeit, Beſtimmtheit, Bündig-
keit, und ſie erſcheinen deſto naiver, da der Artikel fehlt. Ob
wohl dieſe Völker, bei fortſchreitender Kultur und ſich ſelbſt
überlaſſen, mit der Zeit von dieſer Satzbildung abgegangen
wären? Man könnte es vermuten, wenn man bedenkt, wie
ſtark die Syntax der Römer in ihren beſtimmten, klaren, aber
etwas ſchüchternen Töchterſprachen umgewandelt worden iſt.

Im Chaymas wie im Tamanacu und den meiſten ameri-
kaniſchen Sprachen fehlen gewiſſe Buchſtaben ganz, ſo nament-
lich das f, b und d. Kein Wort beginnt mit einem 1. Das-

1 In der Sprache der Inka heißt Sonne inti, Liebe munay,
groß veypul; im Sanskrit: Sonne indre, Liebe manya, groß
vipulo. Es ſind dies die einzigen Fälle von Lautähnlichkeit, die
man bis jetzt aufgefunden. Im grammatiſchen Bau ſind die beiden
Sprachen völlig verſchieden.
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[30/0038] „montaonocon, die dort“, wenn der Sprechende einen Ort meint, an dem er ſich ſelbſt befand; „myonocon, die dort“, wenn er von einem Orte ſpricht, an dem er nicht war. Die Chaymas haben auch die ſpaniſchen Adverbe aqui und alà (allà), deren Sinn ſich in den Sprachen von germaniſcher und lateiniſcher Abſtammung nur mittels Umſchreibung wieder- geben läßt. Manche Indianer, die Spaniſch verſtanden, verſicherten uns, zis bedeute nicht nur Sonne, ſondern auch Gottheit. Dies ſchien mir um ſo auffallender, da man bei allen anderen amerikaniſchen Völkern beſondere Worte für Gott und für Sonne findet. Der Karibe wirft „tamoussicabo, den Alten des Himmels“, und „veyou, die Sonne“, nicht zuſammen. Sogar der Peruaner, der die Sonne anbetet, erhebt ſich zur Vorſtellung eines Weſens, das den Lauf der Sterne lenkt. In der Sprache der Inkas heißt die Sonne, faſt wie im Sanskrit, Inti, 1 während Gott Vinay Huayna, der ewig Junge, genannt wird. Die Satzbildung iſt im Chaymas wie bei allen Sprachen beider Kontinente, die ſich eine gewiſſe Jugendlichkeit bewahrt haben. Das Regierte kommt vor das Zeitwort zu ſtehen, das Zeitwort vor das perſönliche Fürwort. Der Gegenſtand, auf den der Hauptnachdruck fällt, geht allem voran, was ſonſt ausgeſagt wird. Der Amerikaner würde ſagen: „Freiheit völlige lieben wir“ ſtatt: wir lieben völlige Freiheit; „dir mit glücklich bin ich“ ſtatt: mit dir bin ich glücklich. Dieſe Sätze haben eine gewiſſe Unmittelbarkeit, Beſtimmtheit, Bündig- keit, und ſie erſcheinen deſto naiver, da der Artikel fehlt. Ob wohl dieſe Völker, bei fortſchreitender Kultur und ſich ſelbſt überlaſſen, mit der Zeit von dieſer Satzbildung abgegangen wären? Man könnte es vermuten, wenn man bedenkt, wie ſtark die Syntax der Römer in ihren beſtimmten, klaren, aber etwas ſchüchternen Töchterſprachen umgewandelt worden iſt. Im Chaymas wie im Tamanacu und den meiſten ameri- kaniſchen Sprachen fehlen gewiſſe Buchſtaben ganz, ſo nament- lich das f, b und d. Kein Wort beginnt mit einem 1. Das- 1 In der Sprache der Inka heißt Sonne inti, Liebe munay, groß veypul; im Sanskrit: Sonne indre, Liebe manya, groß vipulo. Es ſind dies die einzigen Fälle von Lautähnlichkeit, die man bis jetzt aufgefunden. Im grammatiſchen Bau ſind die beiden Sprachen völlig verſchieden.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/38>, abgerufen am 20.04.2024.