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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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pur kommen auffallend oft vor. Wir werden bald sehen,
daß diese Endungen zum Teil Flexionen des Zeitwortes sein
sind, oder aber Postpositionen, die nach dem Wesen der
amerikanischen Sprachen den Worten selbst einverleibt sind.
Mit Unrecht würde man diese Rauheit des Sprachtones dem
Leben der Chaymas im Gebirge zuschreiben, denn sie sind
ursprünglich diesem gemäßigten Klima fremd. Sie sind erst
durch die Missionäre dorthin versetzt worden, und bekanntlich
war den Chaymas, wie allen Bewohnern heißer Landstriche,
die Kälte in Caripe, wie sie es nennen, anfangs sehr zu-
wider. Während unseres Aufenthaltes im Kapuzinerkloster
haben Bonpland und ich ein kleines Verzeichnis von Chay-
masworten angelegt. Ich weiß wohl, daß der Bau und die
grammatischen Formen für die Sprachen weit bezeichnender
sind als die Analogie der Laute und der Wurzeln, und daß
diese Analogie der Laute nicht selten in verschiedenen Dia-
lekten derselben Sprache völlig unkenntlich wird; denn die
Stämme, in welche eine Nation zerfällt, haben häufig für
dieselben Gegenstände völlig verschiedene Benennungen. So
kommt es, daß man sehr leicht irre geht, wenn man, die
Flexionen außer Augen lassend, nur nach den Wurzeln, z. B.
nach den Worten für Mond, Himmel, Wasser, Erde, zwei
Idiome allein wegen der Unähnlichkeit der Laute für völlig
verschieden erklärt. Trotz dieser Quelle des Irrtums thun,
denke ich, die Reisenden gut, wenn sie immer alles Material
sammeln, das ihnen zugänglich ist. Machen sie auch nicht
mit der inneren Gliederung und dem allgemeinen Plane des
Baues bekannt, so lehren sie doch wichtige Teile desselben
für sich kennen. Die Wörterverzeichnisse sind nicht zu ver-
nachlässigen; sie geben sogar über den wesentlichen Charakter
einer Sprache einigen Aufschluß, wenn der Reisende Sätze
sammelt, aus denen man ersieht, wie das Zeitwort flektiert
wird und, was in den verschiedenen Sprachen in so abweichen-
der Weise geschieht, die persönlichen und possessiven Fürwörter
bezeichnet werden.

Die drei verbreitetsten Sprachen in den Provinzen Cu-
mana und Barcelona sind gegenwärtig die der Chaymas, das
Cumanagotische und das Karibische. Sie haben im Lande
von jeher als verschiedene Idiome gegolten; jede hat ihr
Wörterbuch, zum Gebrauch der Missionen verfaßt von den
Patres Tauste, Ruiz-Blanco und Breton. Das Vocabulario
y arte de la lengua de los Indios Chaymas
ist sehr selten

pur kommen auffallend oft vor. Wir werden bald ſehen,
daß dieſe Endungen zum Teil Flexionen des Zeitwortes ſein
ſind, oder aber Poſtpoſitionen, die nach dem Weſen der
amerikaniſchen Sprachen den Worten ſelbſt einverleibt ſind.
Mit Unrecht würde man dieſe Rauheit des Sprachtones dem
Leben der Chaymas im Gebirge zuſchreiben, denn ſie ſind
urſprünglich dieſem gemäßigten Klima fremd. Sie ſind erſt
durch die Miſſionäre dorthin verſetzt worden, und bekanntlich
war den Chaymas, wie allen Bewohnern heißer Landſtriche,
die Kälte in Caripe, wie ſie es nennen, anfangs ſehr zu-
wider. Während unſeres Aufenthaltes im Kapuzinerkloſter
haben Bonpland und ich ein kleines Verzeichnis von Chay-
masworten angelegt. Ich weiß wohl, daß der Bau und die
grammatiſchen Formen für die Sprachen weit bezeichnender
ſind als die Analogie der Laute und der Wurzeln, und daß
dieſe Analogie der Laute nicht ſelten in verſchiedenen Dia-
lekten derſelben Sprache völlig unkenntlich wird; denn die
Stämme, in welche eine Nation zerfällt, haben häufig für
dieſelben Gegenſtände völlig verſchiedene Benennungen. So
kommt es, daß man ſehr leicht irre geht, wenn man, die
Flexionen außer Augen laſſend, nur nach den Wurzeln, z. B.
nach den Worten für Mond, Himmel, Waſſer, Erde, zwei
Idiome allein wegen der Unähnlichkeit der Laute für völlig
verſchieden erklärt. Trotz dieſer Quelle des Irrtums thun,
denke ich, die Reiſenden gut, wenn ſie immer alles Material
ſammeln, das ihnen zugänglich iſt. Machen ſie auch nicht
mit der inneren Gliederung und dem allgemeinen Plane des
Baues bekannt, ſo lehren ſie doch wichtige Teile desſelben
für ſich kennen. Die Wörterverzeichniſſe ſind nicht zu ver-
nachläſſigen; ſie geben ſogar über den weſentlichen Charakter
einer Sprache einigen Aufſchluß, wenn der Reiſende Sätze
ſammelt, aus denen man erſieht, wie das Zeitwort flektiert
wird und, was in den verſchiedenen Sprachen in ſo abweichen-
der Weiſe geſchieht, die perſönlichen und poſſeſſiven Fürwörter
bezeichnet werden.

Die drei verbreitetſten Sprachen in den Provinzen Cu-
mana und Barcelona ſind gegenwärtig die der Chaymas, das
Cumanagotiſche und das Karibiſche. Sie haben im Lande
von jeher als verſchiedene Idiome gegolten; jede hat ihr
Wörterbuch, zum Gebrauch der Miſſionen verfaßt von den
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[26/0034] pur kommen auffallend oft vor. Wir werden bald ſehen, daß dieſe Endungen zum Teil Flexionen des Zeitwortes ſein ſind, oder aber Poſtpoſitionen, die nach dem Weſen der amerikaniſchen Sprachen den Worten ſelbſt einverleibt ſind. Mit Unrecht würde man dieſe Rauheit des Sprachtones dem Leben der Chaymas im Gebirge zuſchreiben, denn ſie ſind urſprünglich dieſem gemäßigten Klima fremd. Sie ſind erſt durch die Miſſionäre dorthin verſetzt worden, und bekanntlich war den Chaymas, wie allen Bewohnern heißer Landſtriche, die Kälte in Caripe, wie ſie es nennen, anfangs ſehr zu- wider. Während unſeres Aufenthaltes im Kapuzinerkloſter haben Bonpland und ich ein kleines Verzeichnis von Chay- masworten angelegt. Ich weiß wohl, daß der Bau und die grammatiſchen Formen für die Sprachen weit bezeichnender ſind als die Analogie der Laute und der Wurzeln, und daß dieſe Analogie der Laute nicht ſelten in verſchiedenen Dia- lekten derſelben Sprache völlig unkenntlich wird; denn die Stämme, in welche eine Nation zerfällt, haben häufig für dieſelben Gegenſtände völlig verſchiedene Benennungen. So kommt es, daß man ſehr leicht irre geht, wenn man, die Flexionen außer Augen laſſend, nur nach den Wurzeln, z. B. nach den Worten für Mond, Himmel, Waſſer, Erde, zwei Idiome allein wegen der Unähnlichkeit der Laute für völlig verſchieden erklärt. Trotz dieſer Quelle des Irrtums thun, denke ich, die Reiſenden gut, wenn ſie immer alles Material ſammeln, das ihnen zugänglich iſt. Machen ſie auch nicht mit der inneren Gliederung und dem allgemeinen Plane des Baues bekannt, ſo lehren ſie doch wichtige Teile desſelben für ſich kennen. Die Wörterverzeichniſſe ſind nicht zu ver- nachläſſigen; ſie geben ſogar über den weſentlichen Charakter einer Sprache einigen Aufſchluß, wenn der Reiſende Sätze ſammelt, aus denen man erſieht, wie das Zeitwort flektiert wird und, was in den verſchiedenen Sprachen in ſo abweichen- der Weiſe geſchieht, die perſönlichen und poſſeſſiven Fürwörter bezeichnet werden. Die drei verbreitetſten Sprachen in den Provinzen Cu- mana und Barcelona ſind gegenwärtig die der Chaymas, das Cumanagotiſche und das Karibiſche. Sie haben im Lande von jeher als verſchiedene Idiome gegolten; jede hat ihr Wörterbuch, zum Gebrauch der Miſſionen verfaßt von den Patres Tauſte, Ruiz-Blanco und Breton. Das Vocabulario y arte de la lengua de los Indios Chaymas iſt ſehr ſelten

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/34>, abgerufen am 29.03.2024.