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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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Befehle des Missionärs der Gemeinde zur Kenntnis bringen,
sprechen dabei alle auf einmal, mit lauter Stimme, mit starker
Betonung, fast ohne Gebärdenspiel. Ihre Züge bleiben dabei
unbeweglich, ihr Blick ist ernst gebieterisch.

Dieselben Menschen, die so viel Geisteslebendigkeit ver-
rieten und ziemlich gut Spanisch verstanden, konnten ihre Ge-
danken nicht mehr zusammenbringen, wenn sie uns auf unseren
Ausflügen in der Nähe des Klosters begleiteten und wir durch
die Mönche Fragen an sie richten ließen. Man konnte sie
ja oder nein sagen lassen, je nachdem man die Frage stellte,
und ihre Trägheit und nebenbei auch jene schlaue Höflichkeit,
die auch dem rohesten Indianer nicht ganz fremd ist, ließ sie
nicht selten ihren Antworten die Wendung geben, auf die
unsere Fragen zu deuten schienen. Wenn sich Reisende auf
die Aussagen von Eingeborenen berufen wollen, können sie
vor diesem gefälligen Jasagen sich nicht genug in acht nehmen.
Ich wollte einmal einen indianischen Alkalden auf die Probe
stellen und fragte ihn, ob er nicht meine, der Bach Caripe,
der aus der Höhle des Guacharo herauskommt, laufe auf der
anderen Seite den Berg herauf und durch eine unbekannte
Oeffnung herein. Er schien sich eine Weile zu besinnen und
sagte dann zur Unterstützung meiner Annahme: "Freilich,
wie wäre auch sonst vorn in der Höhle immer Wasser im
Bett?"

Alle Zahlenverhältnisse fassen die Chaymas außerordent-
lich schwer. Ich habe nicht einen gesehen, den man nicht
sagen lassen konnte, er sei achtzehn oder aber sechzig Jahre
alt. Marsden hat dieselbe Beobachtung an den Malaien auf
Sumatra gemacht, die doch seit mehr als fünfhundert Jahren
civilisiert sind. Die Chaymassprache hat Worte, die ziemlich
große Zahlen ausdrücken, aber wenige Indianer wissen damit
umzugehen, und da sie im Verkehr mit den Missionären dazu
genötigt sind, so zählen die fähigsten spanisch, aber so, daß
man ihnen die geistige Anstrengung ansieht, bis auf dreißig
oder fünfzig. In der Chaymassprache zählen dieselben Men-
schen nicht über fünf oder sechs. Es ist natürlich, daß sie
sich vorzugsweise der Worte einer Sprache bedienen, in der
sie die Reihen der Einer und der Zehner kennen gelernt
haben. Seit die europäischen Gelehrten es der Mühe wert
halten, den Bau der amerikanischen Sprachen zu studieren,
wie man den Bau der semitischen Sprachen, des Griechischen
und des Lateinischen studiert, schreibt man nicht mehr der

Befehle des Miſſionärs der Gemeinde zur Kenntnis bringen,
ſprechen dabei alle auf einmal, mit lauter Stimme, mit ſtarker
Betonung, faſt ohne Gebärdenſpiel. Ihre Züge bleiben dabei
unbeweglich, ihr Blick iſt ernſt gebieteriſch.

Dieſelben Menſchen, die ſo viel Geiſteslebendigkeit ver-
rieten und ziemlich gut Spaniſch verſtanden, konnten ihre Ge-
danken nicht mehr zuſammenbringen, wenn ſie uns auf unſeren
Ausflügen in der Nähe des Kloſters begleiteten und wir durch
die Mönche Fragen an ſie richten ließen. Man konnte ſie
ja oder nein ſagen laſſen, je nachdem man die Frage ſtellte,
und ihre Trägheit und nebenbei auch jene ſchlaue Höflichkeit,
die auch dem roheſten Indianer nicht ganz fremd iſt, ließ ſie
nicht ſelten ihren Antworten die Wendung geben, auf die
unſere Fragen zu deuten ſchienen. Wenn ſich Reiſende auf
die Ausſagen von Eingeborenen berufen wollen, können ſie
vor dieſem gefälligen Jaſagen ſich nicht genug in acht nehmen.
Ich wollte einmal einen indianiſchen Alkalden auf die Probe
ſtellen und fragte ihn, ob er nicht meine, der Bach Caripe,
der aus der Höhle des Guacharo herauskommt, laufe auf der
anderen Seite den Berg herauf und durch eine unbekannte
Oeffnung herein. Er ſchien ſich eine Weile zu beſinnen und
ſagte dann zur Unterſtützung meiner Annahme: „Freilich,
wie wäre auch ſonſt vorn in der Höhle immer Waſſer im
Bett?“

Alle Zahlenverhältniſſe faſſen die Chaymas außerordent-
lich ſchwer. Ich habe nicht einen geſehen, den man nicht
ſagen laſſen konnte, er ſei achtzehn oder aber ſechzig Jahre
alt. Marsden hat dieſelbe Beobachtung an den Malaien auf
Sumatra gemacht, die doch ſeit mehr als fünfhundert Jahren
civiliſiert ſind. Die Chaymasſprache hat Worte, die ziemlich
große Zahlen ausdrücken, aber wenige Indianer wiſſen damit
umzugehen, und da ſie im Verkehr mit den Miſſionären dazu
genötigt ſind, ſo zählen die fähigſten ſpaniſch, aber ſo, daß
man ihnen die geiſtige Anſtrengung anſieht, bis auf dreißig
oder fünfzig. In der Chaymasſprache zählen dieſelben Men-
ſchen nicht über fünf oder ſechs. Es iſt natürlich, daß ſie
ſich vorzugsweiſe der Worte einer Sprache bedienen, in der
ſie die Reihen der Einer und der Zehner kennen gelernt
haben. Seit die europäiſchen Gelehrten es der Mühe wert
halten, den Bau der amerikaniſchen Sprachen zu ſtudieren,
wie man den Bau der ſemitiſchen Sprachen, des Griechiſchen
und des Lateiniſchen ſtudiert, ſchreibt man nicht mehr der

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[21/0029] Befehle des Miſſionärs der Gemeinde zur Kenntnis bringen, ſprechen dabei alle auf einmal, mit lauter Stimme, mit ſtarker Betonung, faſt ohne Gebärdenſpiel. Ihre Züge bleiben dabei unbeweglich, ihr Blick iſt ernſt gebieteriſch. Dieſelben Menſchen, die ſo viel Geiſteslebendigkeit ver- rieten und ziemlich gut Spaniſch verſtanden, konnten ihre Ge- danken nicht mehr zuſammenbringen, wenn ſie uns auf unſeren Ausflügen in der Nähe des Kloſters begleiteten und wir durch die Mönche Fragen an ſie richten ließen. Man konnte ſie ja oder nein ſagen laſſen, je nachdem man die Frage ſtellte, und ihre Trägheit und nebenbei auch jene ſchlaue Höflichkeit, die auch dem roheſten Indianer nicht ganz fremd iſt, ließ ſie nicht ſelten ihren Antworten die Wendung geben, auf die unſere Fragen zu deuten ſchienen. Wenn ſich Reiſende auf die Ausſagen von Eingeborenen berufen wollen, können ſie vor dieſem gefälligen Jaſagen ſich nicht genug in acht nehmen. Ich wollte einmal einen indianiſchen Alkalden auf die Probe ſtellen und fragte ihn, ob er nicht meine, der Bach Caripe, der aus der Höhle des Guacharo herauskommt, laufe auf der anderen Seite den Berg herauf und durch eine unbekannte Oeffnung herein. Er ſchien ſich eine Weile zu beſinnen und ſagte dann zur Unterſtützung meiner Annahme: „Freilich, wie wäre auch ſonſt vorn in der Höhle immer Waſſer im Bett?“ Alle Zahlenverhältniſſe faſſen die Chaymas außerordent- lich ſchwer. Ich habe nicht einen geſehen, den man nicht ſagen laſſen konnte, er ſei achtzehn oder aber ſechzig Jahre alt. Marsden hat dieſelbe Beobachtung an den Malaien auf Sumatra gemacht, die doch ſeit mehr als fünfhundert Jahren civiliſiert ſind. Die Chaymasſprache hat Worte, die ziemlich große Zahlen ausdrücken, aber wenige Indianer wiſſen damit umzugehen, und da ſie im Verkehr mit den Miſſionären dazu genötigt ſind, ſo zählen die fähigſten ſpaniſch, aber ſo, daß man ihnen die geiſtige Anſtrengung anſieht, bis auf dreißig oder fünfzig. In der Chaymasſprache zählen dieſelben Men- ſchen nicht über fünf oder ſechs. Es iſt natürlich, daß ſie ſich vorzugsweiſe der Worte einer Sprache bedienen, in der ſie die Reihen der Einer und der Zehner kennen gelernt haben. Seit die europäiſchen Gelehrten es der Mühe wert halten, den Bau der amerikaniſchen Sprachen zu ſtudieren, wie man den Bau der ſemitiſchen Sprachen, des Griechiſchen und des Lateiniſchen ſtudiert, ſchreibt man nicht mehr der

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/29>, abgerufen am 28.03.2024.