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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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Da ihnen nun die Natur sehr wenig Bart, eine schmale Stirn
und eine rotbraune Haut gegeben hat, so hält sich jeder für
desto schöner, je weniger sein Körper behaart, je flacher sein
Kopf, je lebhafter seine Haut mit Roucou, Chica oder
irgend einer kupferroten Farbe bemalt ist.

Die Lebensweise der Chaymas ist höchst einförmig. Sie
legen sich regelmäßig um sieben Uhr abends nieder und stehen
lange vor Tag, um halb fünf Uhr morgens, auf. Jeder
Indianer hat ein Feuer bei seiner Hängematte. Die Weiber
sind so frostig, daß ich sie in der Kirche vor Kälte zittern
sah, wenn der hundertteilige Thermometer noch auf 18°
stand. Im Inneren sind die Hütten der Indianer äußerst
sauber. Ihr Bettzeug, ihre Schilfmatten, ihre Töpfe mit
Maniok oder gegorenem Mais, ihre Bogen und Pfeile, alles
befindet sich in der schönsten Ordnung. Männer und Weiber
baden täglich, und da sie fast immer nackt gehen, so kann bei
ihnen die Unreinlichkeit nicht aufkommen, die beim gemeinen
Volk in kalten Ländern vorzugsweise von den Kleidern her-
rührt. Außer dem Haus im Dorfe haben sie meist auf ihren
Conucos, an einer Quelle oder am Eingang einer recht
einsamen Schlucht, eine mit Palm- und Bananenblättern ge-
deckte Hütte von geringem Umfang. Obgleich sie auf dem
Conuco weniger bequem leben, halten sie sich doch dort auf,
so oft sie nur können. Schon oben gedachten wir ihres un-
widerstehlichen Triebes, die Gesellschaft zu fliehen und zum
Leben in der Wildnis zurückzukehren. Die kleinsten Kinder
entlaufen nicht selten ihren Eltern und ziehen vier, fünf Tage
in den Wäldern herum, von Früchten, von Palmkohl und
Wurzeln sich nährend. Wenn man in den Missionen reist,
sieht man häufig die Dörfer fast ganz leer stehen, weil die
Einwohner in ihren Gärten sind oder auf der Jagd, al monte.
Bei den civilisierten Völkern fließt wohl die Jagdlust zum
Teil aus denselben moralischen Quellen, aus dem Reiz der
Einsamkeit, dem angeborenen Unabhängigkeitstrieb, dem tiefen
Eindruck, den die Natur überall auf den Menschen macht,
wo er sich ihr allein gegenübersieht.

Entbehrung und Leiden sind auch bei den Chaymas, wie
bei allen halbbarbarischen Völkern, das Los der Weiber. Die
schwerste Arbeit fällt ihnen zu. Wenn wir die Chaymas
abends aus ihrem Garten heimkommen sahen, trug der Mann
nichts als das Messer (Machete), mit dem er sich einen Weg
durch das Gesträuch bahnt. Das Weib ging gebückt unter

Da ihnen nun die Natur ſehr wenig Bart, eine ſchmale Stirn
und eine rotbraune Haut gegeben hat, ſo hält ſich jeder für
deſto ſchöner, je weniger ſein Körper behaart, je flacher ſein
Kopf, je lebhafter ſeine Haut mit Roucou, Chica oder
irgend einer kupferroten Farbe bemalt iſt.

Die Lebensweiſe der Chaymas iſt höchſt einförmig. Sie
legen ſich regelmäßig um ſieben Uhr abends nieder und ſtehen
lange vor Tag, um halb fünf Uhr morgens, auf. Jeder
Indianer hat ein Feuer bei ſeiner Hängematte. Die Weiber
ſind ſo froſtig, daß ich ſie in der Kirche vor Kälte zittern
ſah, wenn der hundertteilige Thermometer noch auf 18°
ſtand. Im Inneren ſind die Hütten der Indianer äußerſt
ſauber. Ihr Bettzeug, ihre Schilfmatten, ihre Töpfe mit
Maniok oder gegorenem Mais, ihre Bogen und Pfeile, alles
befindet ſich in der ſchönſten Ordnung. Männer und Weiber
baden täglich, und da ſie faſt immer nackt gehen, ſo kann bei
ihnen die Unreinlichkeit nicht aufkommen, die beim gemeinen
Volk in kalten Ländern vorzugsweiſe von den Kleidern her-
rührt. Außer dem Haus im Dorfe haben ſie meiſt auf ihren
Conucos, an einer Quelle oder am Eingang einer recht
einſamen Schlucht, eine mit Palm- und Bananenblättern ge-
deckte Hütte von geringem Umfang. Obgleich ſie auf dem
Conuco weniger bequem leben, halten ſie ſich doch dort auf,
ſo oft ſie nur können. Schon oben gedachten wir ihres un-
widerſtehlichen Triebes, die Geſellſchaft zu fliehen und zum
Leben in der Wildnis zurückzukehren. Die kleinſten Kinder
entlaufen nicht ſelten ihren Eltern und ziehen vier, fünf Tage
in den Wäldern herum, von Früchten, von Palmkohl und
Wurzeln ſich nährend. Wenn man in den Miſſionen reiſt,
ſieht man häufig die Dörfer faſt ganz leer ſtehen, weil die
Einwohner in ihren Gärten ſind oder auf der Jagd, al monte.
Bei den civiliſierten Völkern fließt wohl die Jagdluſt zum
Teil aus denſelben moraliſchen Quellen, aus dem Reiz der
Einſamkeit, dem angeborenen Unabhängigkeitstrieb, dem tiefen
Eindruck, den die Natur überall auf den Menſchen macht,
wo er ſich ihr allein gegenüberſieht.

Entbehrung und Leiden ſind auch bei den Chaymas, wie
bei allen halbbarbariſchen Völkern, das Los der Weiber. Die
ſchwerſte Arbeit fällt ihnen zu. Wenn wir die Chaymas
abends aus ihrem Garten heimkommen ſahen, trug der Mann
nichts als das Meſſer (Machete), mit dem er ſich einen Weg
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[19/0027] Da ihnen nun die Natur ſehr wenig Bart, eine ſchmale Stirn und eine rotbraune Haut gegeben hat, ſo hält ſich jeder für deſto ſchöner, je weniger ſein Körper behaart, je flacher ſein Kopf, je lebhafter ſeine Haut mit Roucou, Chica oder irgend einer kupferroten Farbe bemalt iſt. Die Lebensweiſe der Chaymas iſt höchſt einförmig. Sie legen ſich regelmäßig um ſieben Uhr abends nieder und ſtehen lange vor Tag, um halb fünf Uhr morgens, auf. Jeder Indianer hat ein Feuer bei ſeiner Hängematte. Die Weiber ſind ſo froſtig, daß ich ſie in der Kirche vor Kälte zittern ſah, wenn der hundertteilige Thermometer noch auf 18° ſtand. Im Inneren ſind die Hütten der Indianer äußerſt ſauber. Ihr Bettzeug, ihre Schilfmatten, ihre Töpfe mit Maniok oder gegorenem Mais, ihre Bogen und Pfeile, alles befindet ſich in der ſchönſten Ordnung. Männer und Weiber baden täglich, und da ſie faſt immer nackt gehen, ſo kann bei ihnen die Unreinlichkeit nicht aufkommen, die beim gemeinen Volk in kalten Ländern vorzugsweiſe von den Kleidern her- rührt. Außer dem Haus im Dorfe haben ſie meiſt auf ihren Conucos, an einer Quelle oder am Eingang einer recht einſamen Schlucht, eine mit Palm- und Bananenblättern ge- deckte Hütte von geringem Umfang. Obgleich ſie auf dem Conuco weniger bequem leben, halten ſie ſich doch dort auf, ſo oft ſie nur können. Schon oben gedachten wir ihres un- widerſtehlichen Triebes, die Geſellſchaft zu fliehen und zum Leben in der Wildnis zurückzukehren. Die kleinſten Kinder entlaufen nicht ſelten ihren Eltern und ziehen vier, fünf Tage in den Wäldern herum, von Früchten, von Palmkohl und Wurzeln ſich nährend. Wenn man in den Miſſionen reiſt, ſieht man häufig die Dörfer faſt ganz leer ſtehen, weil die Einwohner in ihren Gärten ſind oder auf der Jagd, al monte. Bei den civiliſierten Völkern fließt wohl die Jagdluſt zum Teil aus denſelben moraliſchen Quellen, aus dem Reiz der Einſamkeit, dem angeborenen Unabhängigkeitstrieb, dem tiefen Eindruck, den die Natur überall auf den Menſchen macht, wo er ſich ihr allein gegenüberſieht. Entbehrung und Leiden ſind auch bei den Chaymas, wie bei allen halbbarbariſchen Völkern, das Los der Weiber. Die ſchwerſte Arbeit fällt ihnen zu. Wenn wir die Chaymas abends aus ihrem Garten heimkommen ſahen, trug der Mann nichts als das Meſſer (Machete), mit dem er ſich einen Weg durch das Geſträuch bahnt. Das Weib ging gebückt unter

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/27>, abgerufen am 29.03.2024.