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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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zehnmal über den Guayre. Der Weg ist sehr beschwerlich;
statt aber eine neue Straße zu bauen, thäte man vielleicht
besser, dem Flusse ein anderes Bett anzuweisen, der durch
Einsickerung und Verdunstung sehr viel Wasser verliert. Jede
Krümmung bildet eine größere oder kleinere Lache. Diese
Verluste sind nicht gleichgültig in einer Provinz, wo der
ganze bebaute Boden, mit Ausnahme des Striches zwischen
der See und der Küstenbergkette von Mariara und Niguatar,
sehr trocken ist. Es regnet weit seltener und weniger als
im Inneren von Neuandalusien, in Cumanacoa und an den
Ufern des Guarapiche. Viele Berge der Provinz Caracas
reichen in die Wolkenregion hinauf, aber die Schichten des
Urgebirges sind unter einem Winkel von 70 bis 80° geneigt
und fallen meist nach Nordwest, so daß die Wasser entweder
im Gebirge versinken oder nicht südlich, sondern nördlich an
den Küstengebirgen von Niguatar, Avila und Mariara in
reichlichen Quellen zu Tage kommen. Daraus, daß die Gneis-
und Glimmerschieferschichten gegen Süd aufgerichtet sind,
scheint sich mir größtenteils die große Dürre des Küsten-
striches zu erklären. Im Inneren der Provinz findet man
Strecken von 40 bis 60 qkm ohne alle Quellen. Das Zucker-
rohr, der Indigo und der Kaffeebaum können nur da gedeihen,
wo Wasser fließt, mit dem man während der großen Dürre
künstlich bewässern kann. Die ersten Ansiedler haben unvor-
sichtigerweise die Wälder niedergeschlagen. Auf einem steinigen
Boden, wo Felsen ringsum Wärme strahlen, ist die Ver-
dunstung ungemein stark. Die Berge an der Küste gleichen
einer Mauer, die von Ost nach West vom Kap Codera gegen
die Landspitze Tucacas sich hinzieht; sie lassen die feuchte
Küstenluft, die unteren Luftschichten, die unmittelbar auf der
See aufliegen und am meisten Wasser aufgelöst haben, nicht
ins innere Land kommen. Es gibt wenige Lücken, wenige
Schluchten, die wie die Schlucht von Catia oder Tipe 1 vom
Meeresufer in die hochgelegenen Längenthäler hinaufführen.
Da ist kein großes Flußbett, kein Meerbusen, durch die der
Ozean in das Land einschneidet und durch reichliche Ver-
dunstung Feuchtigkeit verbreitet. Unter dem 8. und 10. Breite-
grade werfen da, wo die Wolken nicht nahe am Boden hin-
ziehen, die Bäume im Januar und Februar die Blätter ab,

1 S. Bd. II, Seite 112.

zehnmal über den Guayre. Der Weg iſt ſehr beſchwerlich;
ſtatt aber eine neue Straße zu bauen, thäte man vielleicht
beſſer, dem Fluſſe ein anderes Bett anzuweiſen, der durch
Einſickerung und Verdunſtung ſehr viel Waſſer verliert. Jede
Krümmung bildet eine größere oder kleinere Lache. Dieſe
Verluſte ſind nicht gleichgültig in einer Provinz, wo der
ganze bebaute Boden, mit Ausnahme des Striches zwiſchen
der See und der Küſtenbergkette von Mariara und Niguatar,
ſehr trocken iſt. Es regnet weit ſeltener und weniger als
im Inneren von Neuandaluſien, in Cumanacoa und an den
Ufern des Guarapiche. Viele Berge der Provinz Caracas
reichen in die Wolkenregion hinauf, aber die Schichten des
Urgebirges ſind unter einem Winkel von 70 bis 80° geneigt
und fallen meiſt nach Nordweſt, ſo daß die Waſſer entweder
im Gebirge verſinken oder nicht ſüdlich, ſondern nördlich an
den Küſtengebirgen von Niguatar, Avila und Mariara in
reichlichen Quellen zu Tage kommen. Daraus, daß die Gneis-
und Glimmerſchieferſchichten gegen Süd aufgerichtet ſind,
ſcheint ſich mir größtenteils die große Dürre des Küſten-
ſtriches zu erklären. Im Inneren der Provinz findet man
Strecken von 40 bis 60 qkm ohne alle Quellen. Das Zucker-
rohr, der Indigo und der Kaffeebaum können nur da gedeihen,
wo Waſſer fließt, mit dem man während der großen Dürre
künſtlich bewäſſern kann. Die erſten Anſiedler haben unvor-
ſichtigerweiſe die Wälder niedergeſchlagen. Auf einem ſteinigen
Boden, wo Felſen ringsum Wärme ſtrahlen, iſt die Ver-
dunſtung ungemein ſtark. Die Berge an der Küſte gleichen
einer Mauer, die von Oſt nach Weſt vom Kap Codera gegen
die Landſpitze Tucacas ſich hinzieht; ſie laſſen die feuchte
Küſtenluft, die unteren Luftſchichten, die unmittelbar auf der
See aufliegen und am meiſten Waſſer aufgelöſt haben, nicht
ins innere Land kommen. Es gibt wenige Lücken, wenige
Schluchten, die wie die Schlucht von Catia oder Tipe 1 vom
Meeresufer in die hochgelegenen Längenthäler hinaufführen.
Da iſt kein großes Flußbett, kein Meerbuſen, durch die der
Ozean in das Land einſchneidet und durch reichliche Ver-
dunſtung Feuchtigkeit verbreitet. Unter dem 8. und 10. Breite-
grade werfen da, wo die Wolken nicht nahe am Boden hin-
ziehen, die Bäume im Januar und Februar die Blätter ab,

1 S. Bd. II, Seite 112.
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[170/0178] zehnmal über den Guayre. Der Weg iſt ſehr beſchwerlich; ſtatt aber eine neue Straße zu bauen, thäte man vielleicht beſſer, dem Fluſſe ein anderes Bett anzuweiſen, der durch Einſickerung und Verdunſtung ſehr viel Waſſer verliert. Jede Krümmung bildet eine größere oder kleinere Lache. Dieſe Verluſte ſind nicht gleichgültig in einer Provinz, wo der ganze bebaute Boden, mit Ausnahme des Striches zwiſchen der See und der Küſtenbergkette von Mariara und Niguatar, ſehr trocken iſt. Es regnet weit ſeltener und weniger als im Inneren von Neuandaluſien, in Cumanacoa und an den Ufern des Guarapiche. Viele Berge der Provinz Caracas reichen in die Wolkenregion hinauf, aber die Schichten des Urgebirges ſind unter einem Winkel von 70 bis 80° geneigt und fallen meiſt nach Nordweſt, ſo daß die Waſſer entweder im Gebirge verſinken oder nicht ſüdlich, ſondern nördlich an den Küſtengebirgen von Niguatar, Avila und Mariara in reichlichen Quellen zu Tage kommen. Daraus, daß die Gneis- und Glimmerſchieferſchichten gegen Süd aufgerichtet ſind, ſcheint ſich mir größtenteils die große Dürre des Küſten- ſtriches zu erklären. Im Inneren der Provinz findet man Strecken von 40 bis 60 qkm ohne alle Quellen. Das Zucker- rohr, der Indigo und der Kaffeebaum können nur da gedeihen, wo Waſſer fließt, mit dem man während der großen Dürre künſtlich bewäſſern kann. Die erſten Anſiedler haben unvor- ſichtigerweiſe die Wälder niedergeſchlagen. Auf einem ſteinigen Boden, wo Felſen ringsum Wärme ſtrahlen, iſt die Ver- dunſtung ungemein ſtark. Die Berge an der Küſte gleichen einer Mauer, die von Oſt nach Weſt vom Kap Codera gegen die Landſpitze Tucacas ſich hinzieht; ſie laſſen die feuchte Küſtenluft, die unteren Luftſchichten, die unmittelbar auf der See aufliegen und am meiſten Waſſer aufgelöſt haben, nicht ins innere Land kommen. Es gibt wenige Lücken, wenige Schluchten, die wie die Schlucht von Catia oder Tipe 1 vom Meeresufer in die hochgelegenen Längenthäler hinaufführen. Da iſt kein großes Flußbett, kein Meerbuſen, durch die der Ozean in das Land einſchneidet und durch reichliche Ver- dunſtung Feuchtigkeit verbreitet. Unter dem 8. und 10. Breite- grade werfen da, wo die Wolken nicht nahe am Boden hin- ziehen, die Bäume im Januar und Februar die Blätter ab, 1 S. Bd. II, Seite 112.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/178>, abgerufen am 29.03.2024.