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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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man die verschiedenen Epochen der gleichzeitigen Thätigkeit
genau verzeichnet, ferner die Richtung, Ausdehnung und Stärke
der Erschütterungen, ihr allmähliches Vorrücken in Landstrichen,
die sie früher nicht erreicht hatten, das Zusammentreffen eines
fernen vulkanischen Ausbruches mit jenem unterirdischen Ge-
töse, das so stark ist, daß die Bewohner der Anden es aus-
drucksvoll unterirdisches Gebrülle und unterirdischen
Donner
(bramidos y truenos subterraneos) nennen. Alle
diese Angaben gehören dem Gebiete der Naturgeschichte
an, einer Wissenschaft, der man nicht einmal ihren Namen
gelassen hat, und die wie alle Geschichte mit Zeiten beginnt,
die uns fabelhaft erscheinen, und mit Katastrophen, deren
Großartigkeit und Gewaltsamkeit weit über das Maß unserer
Vorstellungen hinausgeht.

Man hat sich lange darauf beschränkt, die Geschichte der
Natur nach den alten, in den Eingeweiden der Erde be-
grabenen Denkmälern zu studieren; aber wenn auch im engen
Kreise sicherer Ueberlieferung nichts von so allgemeinen Um-
wälzungen vorkommt, wie die, durch welche die Kordilleren
emporgehoben und Myriaden von Seetieren begraben worden,
so gehen doch auch in der jetzigen Natur, unter unseren Augen,
wenn auch auf beschränktem Raume, stürmische Auftritte genug
vor sich, die, wissenschaftlich aufgefaßt, über die entlegensten
Zeiten der Erdbildung Licht verbreiten können. Im Inneren
des Erdballes hausen die geheimnisvollen Kräfte, deren Wir-
kungen an der Oberfläche zu Tage kommen, als Ausbrüche
von Dämpfen, glühenden Schlacken, neuen vulkanischen Ge-
steinen und heißen Quellen, als Auftreibungen zu Inseln und
Bergen, als Erschütterungen, die sich so schnell wie der elek-
trische Schlag fortpflanzen, endlich als unterirdischer Donner,
den man monatelang, und ohne Erschütterung des Bodens,
in großen Entfernungen von thätigen Vulkanen hört.

Je mehr im tropischen Amerika Kultur und Bevölkerung
zunehmen werden, je fleißiger man die vulkanischen Systeme
von Popayan, Los Pastos, Quito, auf den Kleinen Antillen,
auf der Centralhochebene von Mexiko beobachten wird, desto
mehr muß der Zusammenhang zwischen Ausbrüchen und Erd-
beben, welche den Ausbrüchen vorangehen und zuweilen folgen,
allgemeine Anschauung werden. Die genannten Vulkane, be-
sonders aber die der Anden, welche die ungeheure Höhe von
4870 m und darüber erreichen, bieten dem Beobachter bedeu-
tende Vorteile. Die Epochen ihrer Ausbrüche sind merkwürdig

man die verſchiedenen Epochen der gleichzeitigen Thätigkeit
genau verzeichnet, ferner die Richtung, Ausdehnung und Stärke
der Erſchütterungen, ihr allmähliches Vorrücken in Landſtrichen,
die ſie früher nicht erreicht hatten, das Zuſammentreffen eines
fernen vulkaniſchen Ausbruches mit jenem unterirdiſchen Ge-
töſe, das ſo ſtark iſt, daß die Bewohner der Anden es aus-
drucksvoll unterirdiſches Gebrülle und unterirdiſchen
Donner
(bramidos y truenos subterraneos) nennen. Alle
dieſe Angaben gehören dem Gebiete der Naturgeſchichte
an, einer Wiſſenſchaft, der man nicht einmal ihren Namen
gelaſſen hat, und die wie alle Geſchichte mit Zeiten beginnt,
die uns fabelhaft erſcheinen, und mit Kataſtrophen, deren
Großartigkeit und Gewaltſamkeit weit über das Maß unſerer
Vorſtellungen hinausgeht.

Man hat ſich lange darauf beſchränkt, die Geſchichte der
Natur nach den alten, in den Eingeweiden der Erde be-
grabenen Denkmälern zu ſtudieren; aber wenn auch im engen
Kreiſe ſicherer Ueberlieferung nichts von ſo allgemeinen Um-
wälzungen vorkommt, wie die, durch welche die Kordilleren
emporgehoben und Myriaden von Seetieren begraben worden,
ſo gehen doch auch in der jetzigen Natur, unter unſeren Augen,
wenn auch auf beſchränktem Raume, ſtürmiſche Auftritte genug
vor ſich, die, wiſſenſchaftlich aufgefaßt, über die entlegenſten
Zeiten der Erdbildung Licht verbreiten können. Im Inneren
des Erdballes hauſen die geheimnisvollen Kräfte, deren Wir-
kungen an der Oberfläche zu Tage kommen, als Ausbrüche
von Dämpfen, glühenden Schlacken, neuen vulkaniſchen Ge-
ſteinen und heißen Quellen, als Auftreibungen zu Inſeln und
Bergen, als Erſchütterungen, die ſich ſo ſchnell wie der elek-
triſche Schlag fortpflanzen, endlich als unterirdiſcher Donner,
den man monatelang, und ohne Erſchütterung des Bodens,
in großen Entfernungen von thätigen Vulkanen hört.

Je mehr im tropiſchen Amerika Kultur und Bevölkerung
zunehmen werden, je fleißiger man die vulkaniſchen Syſteme
von Popayan, Los Paſtos, Quito, auf den Kleinen Antillen,
auf der Centralhochebene von Mexiko beobachten wird, deſto
mehr muß der Zuſammenhang zwiſchen Ausbrüchen und Erd-
beben, welche den Ausbrüchen vorangehen und zuweilen folgen,
allgemeine Anſchauung werden. Die genannten Vulkane, be-
ſonders aber die der Anden, welche die ungeheure Höhe von
4870 m und darüber erreichen, bieten dem Beobachter bedeu-
tende Vorteile. Die Epochen ihrer Ausbrüche ſind merkwürdig

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[164/0172] man die verſchiedenen Epochen der gleichzeitigen Thätigkeit genau verzeichnet, ferner die Richtung, Ausdehnung und Stärke der Erſchütterungen, ihr allmähliches Vorrücken in Landſtrichen, die ſie früher nicht erreicht hatten, das Zuſammentreffen eines fernen vulkaniſchen Ausbruches mit jenem unterirdiſchen Ge- töſe, das ſo ſtark iſt, daß die Bewohner der Anden es aus- drucksvoll unterirdiſches Gebrülle und unterirdiſchen Donner (bramidos y truenos subterraneos) nennen. Alle dieſe Angaben gehören dem Gebiete der Naturgeſchichte an, einer Wiſſenſchaft, der man nicht einmal ihren Namen gelaſſen hat, und die wie alle Geſchichte mit Zeiten beginnt, die uns fabelhaft erſcheinen, und mit Kataſtrophen, deren Großartigkeit und Gewaltſamkeit weit über das Maß unſerer Vorſtellungen hinausgeht. Man hat ſich lange darauf beſchränkt, die Geſchichte der Natur nach den alten, in den Eingeweiden der Erde be- grabenen Denkmälern zu ſtudieren; aber wenn auch im engen Kreiſe ſicherer Ueberlieferung nichts von ſo allgemeinen Um- wälzungen vorkommt, wie die, durch welche die Kordilleren emporgehoben und Myriaden von Seetieren begraben worden, ſo gehen doch auch in der jetzigen Natur, unter unſeren Augen, wenn auch auf beſchränktem Raume, ſtürmiſche Auftritte genug vor ſich, die, wiſſenſchaftlich aufgefaßt, über die entlegenſten Zeiten der Erdbildung Licht verbreiten können. Im Inneren des Erdballes hauſen die geheimnisvollen Kräfte, deren Wir- kungen an der Oberfläche zu Tage kommen, als Ausbrüche von Dämpfen, glühenden Schlacken, neuen vulkaniſchen Ge- ſteinen und heißen Quellen, als Auftreibungen zu Inſeln und Bergen, als Erſchütterungen, die ſich ſo ſchnell wie der elek- triſche Schlag fortpflanzen, endlich als unterirdiſcher Donner, den man monatelang, und ohne Erſchütterung des Bodens, in großen Entfernungen von thätigen Vulkanen hört. Je mehr im tropiſchen Amerika Kultur und Bevölkerung zunehmen werden, je fleißiger man die vulkaniſchen Syſteme von Popayan, Los Paſtos, Quito, auf den Kleinen Antillen, auf der Centralhochebene von Mexiko beobachten wird, deſto mehr muß der Zuſammenhang zwiſchen Ausbrüchen und Erd- beben, welche den Ausbrüchen vorangehen und zuweilen folgen, allgemeine Anſchauung werden. Die genannten Vulkane, be- ſonders aber die der Anden, welche die ungeheure Höhe von 4870 m und darüber erreichen, bieten dem Beobachter bedeu- tende Vorteile. Die Epochen ihrer Ausbrüche ſind merkwürdig

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/172>, abgerufen am 28.03.2024.