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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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teilnahmen, welche den Boden des Königreiches Peru erschütter-
ten und in wenigen Augenblicken 30000 bis 40000 Menschen
das Leben kosteten.

Um diese gewaltigen Wirkungen der vulkanischen
Reaktionen
zu erklären, um darzuthun, daß die Vulkan-
gruppe oder das vulkanische System der Antillen von
Zeit zu Zeit Terra Firma erschüttern kann, mußte ich mich
auf die Kordillere der Anden berufen. Nur auf die Analogie
frischer und somit vollkommen beglaubigter Thatsachen lassen
sich geologische Schlüsse bauen, und wo auf dem Erdball
fände man großartigere und mannigfaltigere vulkanische Er-
scheinungen als in jener doppelten vom Feuer emporgehobenen
Bergkette, in dem Lande, wo die Natur über jeden Berggipfel
und jedes Thal die Fülle ihrer Wunder ausgegossen hat?
Betrachtet man einen brennenden Krater als eine vereinzelte
Erscheinung, bleibt man dabei stehen, die Masse des Gesteines,
das er ausgeworfen, abzuschätzen, so stellt sich die vulkanische
Wirksamkeit an der gegenwärtigen Erdoberfläche weder als
sehr gewaltig noch als sehr ausgebreitet dar. Aber das Bild
dieser Wirksamkeit erweitert sich vor unserem inneren Blick
mehr und mehr, je näher wir den Zusammenhang zwischen
den Vulkanen derselben Gruppe kennen lernen -- und der-
gleichen Gruppen sind z. B. die Vulkane in Neapel und auf
Sizilien, die der Kanarischen Inseln, die der Azoren, die der
Kleinen Antillen, die in Mexiko, in Guatemala und auf der
Hochebene von Quito --, je genauer wir sowohl die Reaktionen
dieser verschiedenen Vulkansysteme aufeinander als die Ent-
fernungen kennen lernen, in denen sie vermöge ihres Zu-
sammenhanges in den Erdtiefen den Boden zu gleicher Zeit
erschüttern. Das Studium der Vulkane zerfällt in zwei ganz
gesonderte Teile. Der eine, rein mineralogische, beschäftigt
sich nur mit der Untersuchung der durch das unterirdische
Feuer gebildeten oder umgewandelten Gesteine, von der Trachyt-
und Trapp-Porphyrformation, von den Basalten, Phonolithen
und Doleriten herauf bis zu den neuesten Laven. Der andere,
nicht so zugängliche und auch mehr vernachlässigte Teil, hat
es mit den gegenseitigen physikalischen Verhältnissen der Vul-
kane zu thun, mit dem Einfluß, den die Systeme aufeinander
ausüben, mit dem Zusammenhang zwischen den Wirkungen
der feuerspeienden Berge und den Stößen, welche den Erd-
boden auf weite Strecken und lange fort in derselben Richtung
erschüttern. Dieses Wissen kann nur dann fortschreiten, wenn

teilnahmen, welche den Boden des Königreiches Peru erſchütter-
ten und in wenigen Augenblicken 30000 bis 40000 Menſchen
das Leben koſteten.

Um dieſe gewaltigen Wirkungen der vulkaniſchen
Reaktionen
zu erklären, um darzuthun, daß die Vulkan-
gruppe oder das vulkaniſche Syſtem der Antillen von
Zeit zu Zeit Terra Firma erſchüttern kann, mußte ich mich
auf die Kordillere der Anden berufen. Nur auf die Analogie
friſcher und ſomit vollkommen beglaubigter Thatſachen laſſen
ſich geologiſche Schlüſſe bauen, und wo auf dem Erdball
fände man großartigere und mannigfaltigere vulkaniſche Er-
ſcheinungen als in jener doppelten vom Feuer emporgehobenen
Bergkette, in dem Lande, wo die Natur über jeden Berggipfel
und jedes Thal die Fülle ihrer Wunder ausgegoſſen hat?
Betrachtet man einen brennenden Krater als eine vereinzelte
Erſcheinung, bleibt man dabei ſtehen, die Maſſe des Geſteines,
das er ausgeworfen, abzuſchätzen, ſo ſtellt ſich die vulkaniſche
Wirkſamkeit an der gegenwärtigen Erdoberfläche weder als
ſehr gewaltig noch als ſehr ausgebreitet dar. Aber das Bild
dieſer Wirkſamkeit erweitert ſich vor unſerem inneren Blick
mehr und mehr, je näher wir den Zuſammenhang zwiſchen
den Vulkanen derſelben Gruppe kennen lernen — und der-
gleichen Gruppen ſind z. B. die Vulkane in Neapel und auf
Sizilien, die der Kanariſchen Inſeln, die der Azoren, die der
Kleinen Antillen, die in Mexiko, in Guatemala und auf der
Hochebene von Quito —, je genauer wir ſowohl die Reaktionen
dieſer verſchiedenen Vulkanſyſteme aufeinander als die Ent-
fernungen kennen lernen, in denen ſie vermöge ihres Zu-
ſammenhanges in den Erdtiefen den Boden zu gleicher Zeit
erſchüttern. Das Studium der Vulkane zerfällt in zwei ganz
geſonderte Teile. Der eine, rein mineralogiſche, beſchäftigt
ſich nur mit der Unterſuchung der durch das unterirdiſche
Feuer gebildeten oder umgewandelten Geſteine, von der Trachyt-
und Trapp-Porphyrformation, von den Baſalten, Phonolithen
und Doleriten herauf bis zu den neueſten Laven. Der andere,
nicht ſo zugängliche und auch mehr vernachläſſigte Teil, hat
es mit den gegenſeitigen phyſikaliſchen Verhältniſſen der Vul-
kane zu thun, mit dem Einfluß, den die Syſteme aufeinander
ausüben, mit dem Zuſammenhang zwiſchen den Wirkungen
der feuerſpeienden Berge und den Stößen, welche den Erd-
boden auf weite Strecken und lange fort in derſelben Richtung
erſchüttern. Dieſes Wiſſen kann nur dann fortſchreiten, wenn

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[163/0171] teilnahmen, welche den Boden des Königreiches Peru erſchütter- ten und in wenigen Augenblicken 30000 bis 40000 Menſchen das Leben koſteten. Um dieſe gewaltigen Wirkungen der vulkaniſchen Reaktionen zu erklären, um darzuthun, daß die Vulkan- gruppe oder das vulkaniſche Syſtem der Antillen von Zeit zu Zeit Terra Firma erſchüttern kann, mußte ich mich auf die Kordillere der Anden berufen. Nur auf die Analogie friſcher und ſomit vollkommen beglaubigter Thatſachen laſſen ſich geologiſche Schlüſſe bauen, und wo auf dem Erdball fände man großartigere und mannigfaltigere vulkaniſche Er- ſcheinungen als in jener doppelten vom Feuer emporgehobenen Bergkette, in dem Lande, wo die Natur über jeden Berggipfel und jedes Thal die Fülle ihrer Wunder ausgegoſſen hat? Betrachtet man einen brennenden Krater als eine vereinzelte Erſcheinung, bleibt man dabei ſtehen, die Maſſe des Geſteines, das er ausgeworfen, abzuſchätzen, ſo ſtellt ſich die vulkaniſche Wirkſamkeit an der gegenwärtigen Erdoberfläche weder als ſehr gewaltig noch als ſehr ausgebreitet dar. Aber das Bild dieſer Wirkſamkeit erweitert ſich vor unſerem inneren Blick mehr und mehr, je näher wir den Zuſammenhang zwiſchen den Vulkanen derſelben Gruppe kennen lernen — und der- gleichen Gruppen ſind z. B. die Vulkane in Neapel und auf Sizilien, die der Kanariſchen Inſeln, die der Azoren, die der Kleinen Antillen, die in Mexiko, in Guatemala und auf der Hochebene von Quito —, je genauer wir ſowohl die Reaktionen dieſer verſchiedenen Vulkanſyſteme aufeinander als die Ent- fernungen kennen lernen, in denen ſie vermöge ihres Zu- ſammenhanges in den Erdtiefen den Boden zu gleicher Zeit erſchüttern. Das Studium der Vulkane zerfällt in zwei ganz geſonderte Teile. Der eine, rein mineralogiſche, beſchäftigt ſich nur mit der Unterſuchung der durch das unterirdiſche Feuer gebildeten oder umgewandelten Geſteine, von der Trachyt- und Trapp-Porphyrformation, von den Baſalten, Phonolithen und Doleriten herauf bis zu den neueſten Laven. Der andere, nicht ſo zugängliche und auch mehr vernachläſſigte Teil, hat es mit den gegenſeitigen phyſikaliſchen Verhältniſſen der Vul- kane zu thun, mit dem Einfluß, den die Syſteme aufeinander ausüben, mit dem Zuſammenhang zwiſchen den Wirkungen der feuerſpeienden Berge und den Stößen, welche den Erd- boden auf weite Strecken und lange fort in derſelben Richtung erſchüttern. Dieſes Wiſſen kann nur dann fortſchreiten, wenn

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/171>, abgerufen am 29.03.2024.