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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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vor dem Untergang der Hauptstadt kein Tropfen Regen ge-
fallen. Der 26. März war ein sehr heißer Tag; die Luft war
still, der Himmel unbewölkt. Es war Gründonnerstag, und
ein großer Teil der Bevölkerung in den Kirchen. Nichts ver-
kündete die Schrecken dieses Tages. Um 4 Uhr 7 Minuten
abends spürte man den ersten Erdstoß. "Er war so stark,
daß die Kirchenglocken anschlugen, und währte 5 bis 6 Se-
kunden. Unmittelbar darauf folgte ein anderer, 10 bis 12 Se-
kunden dauernder, währenddessen der Boden in beständiger
Wellenbewegung war wie eine kochende Flüssigkeit. Schon
meinte man, die Gefahr sei vorüber, als sich unter dem Boden
ein furchtbares Getöse hören ließ. Es glich dem Rollen des
Donners; es war aber stärker und dauerte länger als der
Donner in der Gewitterzeit unter den Tropen. Diesem Ge-
töse folgte eine senkrechte, etwa 3 bis 4 Sekunden anhaltende
Bewegung und dieser wiederum eine etwas längere wellen-
förmige Bewegung. Die Stöße erfolgten in entgegegengesetzter
Richtung, von Nord nach Süd und von Ost nach West.
Dieser Bewegung von unten nach oben und diesen sich kreu-
zenden Schwingungen konnte nichts widerstehen. Die Stadt
Caracas wurde völlig über den Haufen geworfen. Tausende
von Menschen (zwischen 9000 und 10000) wurden unter den
Trümmern der Kirchen und Häuser begraben. Die Prozession
war noch nicht ausgezogen, aber der Zudrang zu den Kirchen
war so groß, daß 3000 bis 4000 Menschen von den ein-
stürzenden Gewölben erschlagen wurden. Die Explosion war
am stärksten auf der Nordseite, im Stadtteil, der dem Berge
Avila und der Silla am nächsten liegt. Die Kirchen della
Trinidad und Alta Gracia, die über 50 m hoch waren und
deren Schiff von 3 bis 4 m dicken Pfeilern getragen wurde,
lagen als kaum 1,5 bis 2 m hohe Trümmerhaufen da. Der
Schutt hat sich so stark gesetzt, daß man jetzt fast keine Spur
mehr von Pfeilern und Säulen findet. Die Kaserne El Quartel
de San Carlos,
die nördlich von der Kirche Della Trinidad
auf dem Wege nach dem Zollhause Pastora lag, verschwand
fast völlig. Ein Regiment Linientruppen stand unter den
Waffen, um sich der Prozession anzuschließen; es wurde, wenige
Mann ausgenommen, unter den Trümmern des großen Ge-
bäudes begraben. Neun Zehnteile der schönen Stadt Caracas
wurden völlig verwüstet. Die Häuser, die nicht zusammen-
stürzten, wie in der Straße San Juan beim Kapuzinerkloster,
erhielten so starke Risse, daß man nicht wagen konnte, darin

vor dem Untergang der Hauptſtadt kein Tropfen Regen ge-
fallen. Der 26. März war ein ſehr heißer Tag; die Luft war
ſtill, der Himmel unbewölkt. Es war Gründonnerstag, und
ein großer Teil der Bevölkerung in den Kirchen. Nichts ver-
kündete die Schrecken dieſes Tages. Um 4 Uhr 7 Minuten
abends ſpürte man den erſten Erdſtoß. „Er war ſo ſtark,
daß die Kirchenglocken anſchlugen, und währte 5 bis 6 Se-
kunden. Unmittelbar darauf folgte ein anderer, 10 bis 12 Se-
kunden dauernder, währenddeſſen der Boden in beſtändiger
Wellenbewegung war wie eine kochende Flüſſigkeit. Schon
meinte man, die Gefahr ſei vorüber, als ſich unter dem Boden
ein furchtbares Getöſe hören ließ. Es glich dem Rollen des
Donners; es war aber ſtärker und dauerte länger als der
Donner in der Gewitterzeit unter den Tropen. Dieſem Ge-
töſe folgte eine ſenkrechte, etwa 3 bis 4 Sekunden anhaltende
Bewegung und dieſer wiederum eine etwas längere wellen-
förmige Bewegung. Die Stöße erfolgten in entgegegengeſetzter
Richtung, von Nord nach Süd und von Oſt nach Weſt.
Dieſer Bewegung von unten nach oben und dieſen ſich kreu-
zenden Schwingungen konnte nichts widerſtehen. Die Stadt
Caracas wurde völlig über den Haufen geworfen. Tauſende
von Menſchen (zwiſchen 9000 und 10000) wurden unter den
Trümmern der Kirchen und Häuſer begraben. Die Prozeſſion
war noch nicht ausgezogen, aber der Zudrang zu den Kirchen
war ſo groß, daß 3000 bis 4000 Menſchen von den ein-
ſtürzenden Gewölben erſchlagen wurden. Die Exploſion war
am ſtärkſten auf der Nordſeite, im Stadtteil, der dem Berge
Avila und der Silla am nächſten liegt. Die Kirchen della
Trinidad und Alta Gracia, die über 50 m hoch waren und
deren Schiff von 3 bis 4 m dicken Pfeilern getragen wurde,
lagen als kaum 1,5 bis 2 m hohe Trümmerhaufen da. Der
Schutt hat ſich ſo ſtark geſetzt, daß man jetzt faſt keine Spur
mehr von Pfeilern und Säulen findet. Die Kaſerne El Quartel
de San Carlos,
die nördlich von der Kirche Della Trinidad
auf dem Wege nach dem Zollhauſe Paſtora lag, verſchwand
faſt völlig. Ein Regiment Linientruppen ſtand unter den
Waffen, um ſich der Prozeſſion anzuſchließen; es wurde, wenige
Mann ausgenommen, unter den Trümmern des großen Ge-
bäudes begraben. Neun Zehnteile der ſchönen Stadt Caracas
wurden völlig verwüſtet. Die Häuſer, die nicht zuſammen-
ſtürzten, wie in der Straße San Juan beim Kapuzinerkloſter,
erhielten ſo ſtarke Riſſe, daß man nicht wagen konnte, darin

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[154/0162] vor dem Untergang der Hauptſtadt kein Tropfen Regen ge- fallen. Der 26. März war ein ſehr heißer Tag; die Luft war ſtill, der Himmel unbewölkt. Es war Gründonnerstag, und ein großer Teil der Bevölkerung in den Kirchen. Nichts ver- kündete die Schrecken dieſes Tages. Um 4 Uhr 7 Minuten abends ſpürte man den erſten Erdſtoß. „Er war ſo ſtark, daß die Kirchenglocken anſchlugen, und währte 5 bis 6 Se- kunden. Unmittelbar darauf folgte ein anderer, 10 bis 12 Se- kunden dauernder, währenddeſſen der Boden in beſtändiger Wellenbewegung war wie eine kochende Flüſſigkeit. Schon meinte man, die Gefahr ſei vorüber, als ſich unter dem Boden ein furchtbares Getöſe hören ließ. Es glich dem Rollen des Donners; es war aber ſtärker und dauerte länger als der Donner in der Gewitterzeit unter den Tropen. Dieſem Ge- töſe folgte eine ſenkrechte, etwa 3 bis 4 Sekunden anhaltende Bewegung und dieſer wiederum eine etwas längere wellen- förmige Bewegung. Die Stöße erfolgten in entgegegengeſetzter Richtung, von Nord nach Süd und von Oſt nach Weſt. Dieſer Bewegung von unten nach oben und dieſen ſich kreu- zenden Schwingungen konnte nichts widerſtehen. Die Stadt Caracas wurde völlig über den Haufen geworfen. Tauſende von Menſchen (zwiſchen 9000 und 10000) wurden unter den Trümmern der Kirchen und Häuſer begraben. Die Prozeſſion war noch nicht ausgezogen, aber der Zudrang zu den Kirchen war ſo groß, daß 3000 bis 4000 Menſchen von den ein- ſtürzenden Gewölben erſchlagen wurden. Die Exploſion war am ſtärkſten auf der Nordſeite, im Stadtteil, der dem Berge Avila und der Silla am nächſten liegt. Die Kirchen della Trinidad und Alta Gracia, die über 50 m hoch waren und deren Schiff von 3 bis 4 m dicken Pfeilern getragen wurde, lagen als kaum 1,5 bis 2 m hohe Trümmerhaufen da. Der Schutt hat ſich ſo ſtark geſetzt, daß man jetzt faſt keine Spur mehr von Pfeilern und Säulen findet. Die Kaſerne El Quartel de San Carlos, die nördlich von der Kirche Della Trinidad auf dem Wege nach dem Zollhauſe Paſtora lag, verſchwand faſt völlig. Ein Regiment Linientruppen ſtand unter den Waffen, um ſich der Prozeſſion anzuſchließen; es wurde, wenige Mann ausgenommen, unter den Trümmern des großen Ge- bäudes begraben. Neun Zehnteile der ſchönen Stadt Caracas wurden völlig verwüſtet. Die Häuſer, die nicht zuſammen- ſtürzten, wie in der Straße San Juan beim Kapuzinerkloſter, erhielten ſo ſtarke Riſſe, daß man nicht wagen konnte, darin

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/162>, abgerufen am 24.04.2024.