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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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Wirkungen derselben scheint ihnen die große Tiefe hinzudeuten,
welche das Meer allerorten zeigt, wo der Strom von Florida
durchgeht, sogar mitten in den Sandbänken an den Nordküsten
der Vereinigten Staaten. Dieser ungeheure Strom warmen
Wassers hat, nachdem er in 50 Tagen vom 24. bis
45. Grad der Breite 2025 km zurückgelegt, trotz der be-
deutenden Winterkälte in der gemäßigten Zone, kaum 3 bis
4° von seiner ursprünglichen Temperatur unter den Tropen
verloren. Die Größe der Masse und der Umstand, daß das
Wasser ein schlechter Wärmeleiter ist, machen, daß die Ab-
kühlung nicht rascher erfolgt. Wenn sich somit der Golfstrom
auf dem Boden des Atlantischen Ozeans ein Bett gegraben
hat, und wenn seine Gewässer bis in beträchtliche Tiefen in
Bewegung sind, so müssen sie auch in ihren unteren Schichten
eine höhere Temperatur behalten, als unter derselben Breite
Meeresstriche ohne Strömungen und Untiefen zeigen. Diese
Fragen sind nur durch unmittelbare Beobachtungen mittels
des Senkbleies mit Thermometer zu lösen.

Sir Erasmus Gower bemerkt, auf der Ueberfahrt von
England nach den Kanarischen Inseln gerate man in die Strö-
mung und dieselbe treibe vom 39. Breitengrade an die Schiffe
nach Südost. Auf unserer Fahrt von Corunda nach Süd-
amerika machte sich der Einfluß dieses Zuges der Wasser noch
weiter nördlich merkbar. Vom 37. zum 30. Grad war die
Abweichung sehr ungleich; sie betrug täglich im Mittel 54 km,
das heißt unsere Korvette wurde in sechs Tagen um 133 km
gegen Ost abgetrieben. Als wir auf 655 km Entfernung den
Parallel der Meerenge von Gibraltar schnitten, hatten wir
Gelegenheit zur Beobachtung, daß in diesen Strichen das
Maximum der Geschwindigkeit nicht der Oeffnung der Meer-
enge selbst entspricht, sondern einem nördlicher gelegenen
Punkte in der Verlängerung einer Linie, die man durch die
Meerenge und Kap Vincent zieht. Diese Linie läuft von der
Gruppe der Azorischen Inseln bis zum Kap Cantin parallel
mit der Richtung der Gewässer. Es ist ferner zu bemerken,
und der Umstand ist für die Physiker, die sich mit der Be-
wegung der Flüssigkeiten beschäftigen, nicht ohne Interesse,
daß in diesem Stück des rückläufigen Stromes, in einer Breite
von 540 bis 655 km, nicht die ganze Wassermasse dieselbe
Geschwindigkeit, noch dieselbe Richtung hat. Bei ganz ruhiger
See zeigen sich an der Oberfläche schmale Streifen, kleinen
Bächen gleich, in denen das Wasser mit einem für das Ohr

Wirkungen derſelben ſcheint ihnen die große Tiefe hinzudeuten,
welche das Meer allerorten zeigt, wo der Strom von Florida
durchgeht, ſogar mitten in den Sandbänken an den Nordküſten
der Vereinigten Staaten. Dieſer ungeheure Strom warmen
Waſſers hat, nachdem er in 50 Tagen vom 24. bis
45. Grad der Breite 2025 km zurückgelegt, trotz der be-
deutenden Winterkälte in der gemäßigten Zone, kaum 3 bis
4° von ſeiner urſprünglichen Temperatur unter den Tropen
verloren. Die Größe der Maſſe und der Umſtand, daß das
Waſſer ein ſchlechter Wärmeleiter iſt, machen, daß die Ab-
kühlung nicht raſcher erfolgt. Wenn ſich ſomit der Golfſtrom
auf dem Boden des Atlantiſchen Ozeans ein Bett gegraben
hat, und wenn ſeine Gewäſſer bis in beträchtliche Tiefen in
Bewegung ſind, ſo müſſen ſie auch in ihren unteren Schichten
eine höhere Temperatur behalten, als unter derſelben Breite
Meeresſtriche ohne Strömungen und Untiefen zeigen. Dieſe
Fragen ſind nur durch unmittelbare Beobachtungen mittels
des Senkbleies mit Thermometer zu löſen.

Sir Erasmus Gower bemerkt, auf der Ueberfahrt von
England nach den Kanariſchen Inſeln gerate man in die Strö-
mung und dieſelbe treibe vom 39. Breitengrade an die Schiffe
nach Südoſt. Auf unſerer Fahrt von Coruña nach Süd-
amerika machte ſich der Einfluß dieſes Zuges der Waſſer noch
weiter nördlich merkbar. Vom 37. zum 30. Grad war die
Abweichung ſehr ungleich; ſie betrug täglich im Mittel 54 km,
das heißt unſere Korvette wurde in ſechs Tagen um 133 km
gegen Oſt abgetrieben. Als wir auf 655 km Entfernung den
Parallel der Meerenge von Gibraltar ſchnitten, hatten wir
Gelegenheit zur Beobachtung, daß in dieſen Strichen das
Maximum der Geſchwindigkeit nicht der Oeffnung der Meer-
enge ſelbſt entſpricht, ſondern einem nördlicher gelegenen
Punkte in der Verlängerung einer Linie, die man durch die
Meerenge und Kap Vincent zieht. Dieſe Linie läuft von der
Gruppe der Azoriſchen Inſeln bis zum Kap Cantin parallel
mit der Richtung der Gewäſſer. Es iſt ferner zu bemerken,
und der Umſtand iſt für die Phyſiker, die ſich mit der Be-
wegung der Flüſſigkeiten beſchäftigen, nicht ohne Intereſſe,
daß in dieſem Stück des rückläufigen Stromes, in einer Breite
von 540 bis 655 km, nicht die ganze Waſſermaſſe dieſelbe
Geſchwindigkeit, noch dieſelbe Richtung hat. Bei ganz ruhiger
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Bächen gleich, in denen das Waſſer mit einem für das Ohr

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[34/0050] Wirkungen derſelben ſcheint ihnen die große Tiefe hinzudeuten, welche das Meer allerorten zeigt, wo der Strom von Florida durchgeht, ſogar mitten in den Sandbänken an den Nordküſten der Vereinigten Staaten. Dieſer ungeheure Strom warmen Waſſers hat, nachdem er in 50 Tagen vom 24. bis 45. Grad der Breite 2025 km zurückgelegt, trotz der be- deutenden Winterkälte in der gemäßigten Zone, kaum 3 bis 4° von ſeiner urſprünglichen Temperatur unter den Tropen verloren. Die Größe der Maſſe und der Umſtand, daß das Waſſer ein ſchlechter Wärmeleiter iſt, machen, daß die Ab- kühlung nicht raſcher erfolgt. Wenn ſich ſomit der Golfſtrom auf dem Boden des Atlantiſchen Ozeans ein Bett gegraben hat, und wenn ſeine Gewäſſer bis in beträchtliche Tiefen in Bewegung ſind, ſo müſſen ſie auch in ihren unteren Schichten eine höhere Temperatur behalten, als unter derſelben Breite Meeresſtriche ohne Strömungen und Untiefen zeigen. Dieſe Fragen ſind nur durch unmittelbare Beobachtungen mittels des Senkbleies mit Thermometer zu löſen. Sir Erasmus Gower bemerkt, auf der Ueberfahrt von England nach den Kanariſchen Inſeln gerate man in die Strö- mung und dieſelbe treibe vom 39. Breitengrade an die Schiffe nach Südoſt. Auf unſerer Fahrt von Coruña nach Süd- amerika machte ſich der Einfluß dieſes Zuges der Waſſer noch weiter nördlich merkbar. Vom 37. zum 30. Grad war die Abweichung ſehr ungleich; ſie betrug täglich im Mittel 54 km, das heißt unſere Korvette wurde in ſechs Tagen um 133 km gegen Oſt abgetrieben. Als wir auf 655 km Entfernung den Parallel der Meerenge von Gibraltar ſchnitten, hatten wir Gelegenheit zur Beobachtung, daß in dieſen Strichen das Maximum der Geſchwindigkeit nicht der Oeffnung der Meer- enge ſelbſt entſpricht, ſondern einem nördlicher gelegenen Punkte in der Verlängerung einer Linie, die man durch die Meerenge und Kap Vincent zieht. Dieſe Linie läuft von der Gruppe der Azoriſchen Inſeln bis zum Kap Cantin parallel mit der Richtung der Gewäſſer. Es iſt ferner zu bemerken, und der Umſtand iſt für die Phyſiker, die ſich mit der Be- wegung der Flüſſigkeiten beſchäftigen, nicht ohne Intereſſe, daß in dieſem Stück des rückläufigen Stromes, in einer Breite von 540 bis 655 km, nicht die ganze Waſſermaſſe dieſelbe Geſchwindigkeit, noch dieſelbe Richtung hat. Bei ganz ruhiger See zeigen ſich an der Oberfläche ſchmale Streifen, kleinen Bächen gleich, in denen das Waſſer mit einem für das Ohr

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/50>, abgerufen am 24.04.2024.