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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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ebenso zwischen dem 48. Grad westlicher Länge von Paris
und dem Meridian der Azoren. Die wechselnden Winde in
der gemäßigten Zone und das Schmelzen des Eises am Nord-
pol, von wo in den Monaten Juli und August eine bedeutende
Masse süßen Wassers nach Süden abfließt, erscheinen als die
vornehmsten Ursachen, aus welchen sich in diesen hohen Breiten
Stärke und Richtung des Golfstromes verändern.

Wir haben gesehen, daß zwischen dem 11. und 43. Grad
der Breite die Gewässer des Atlantischen Ozeans mittels
Strömungen fortwährend im Kreise umhergeführt worden.
Angenommen, ein Wasserteilchen gelange zu derselben Stelle
zurück, von der es ausgegangen, so läßt sich nach dem, was
wir bis jetzt von der Geschwindigkeit der Strömungen wissen,
berechnen, daß es zu seinem 17100 km langen Umlauf zwei
Jahre und zehn Monate brauchte. Ein Fahrzeug, bei dem
man von der Wirkung des Windes absähe, gelangte in drei-
zehn Monaten von den Kanarischen Inseln an die Küste von
Caracas. Es brauchte zehn Monate, um im Meerbusen von
Mexiko herumzukommen und um zu den Untiefen der Schild-
kröteninseln gegenüber vom Hafen von Havana zu gelangen,
aber nur 40 bis 50 Tage vom Eingang der Meerenge
von Florida bis Neufundland. Die Geschwindigkeit der
rückläufigen Strömung von jener Bank bis an die Küste von
Afrika ist schwer zu schätzen; nimmt man sie im Mittel auf
31,5 oder 36 km in 24 Stunden an, so ergeben sich für
diese letzte Strecke zehn bis elf Monate. Solches sind die
Wirkungen des langsamen, aber regelmäßigen Zuges, der die
Gewässer des Ozeans herumführt. Das Wasser des Ama-
zonenstromes braucht von Tomependa bis zum Gran-Para
etwa 45 Tage.

Kurz vor meiner Ankunft auf Tenerifa hatte das Meer
auf der Reede von Santa Cruz einen Stamm der Cedrela
odorata,
noch mit der Rinde, ausgeworfen. Dieser ameri-
kanische Baum wächst nur unter den Tropen oder in den zu-
nächst angrenzenden Ländern. Er war ohne Zweifel an der
Küste von Terra Firma oder Honduras abgerissen worden.
Die Beschaffenheit des Holzes und der Flechten auf der Rinde
zeigte augenscheinlich, daß der Stamm nicht etwa von einem
der unterseeischen Wälder herrührte, welche durch alte Erd-
umwälzungen in die Flözgebilde nördlicher Länder eingebettet
worden sind. Wäre der Cedrelastamm, statt bei Tenerifa
ans Land geworfen zu werden, weiter nach Süden gelangt,

ebenſo zwiſchen dem 48. Grad weſtlicher Länge von Paris
und dem Meridian der Azoren. Die wechſelnden Winde in
der gemäßigten Zone und das Schmelzen des Eiſes am Nord-
pol, von wo in den Monaten Juli und Auguſt eine bedeutende
Maſſe ſüßen Waſſers nach Süden abfließt, erſcheinen als die
vornehmſten Urſachen, aus welchen ſich in dieſen hohen Breiten
Stärke und Richtung des Golfſtromes verändern.

Wir haben geſehen, daß zwiſchen dem 11. und 43. Grad
der Breite die Gewäſſer des Atlantiſchen Ozeans mittels
Strömungen fortwährend im Kreiſe umhergeführt worden.
Angenommen, ein Waſſerteilchen gelange zu derſelben Stelle
zurück, von der es ausgegangen, ſo läßt ſich nach dem, was
wir bis jetzt von der Geſchwindigkeit der Strömungen wiſſen,
berechnen, daß es zu ſeinem 17100 km langen Umlauf zwei
Jahre und zehn Monate brauchte. Ein Fahrzeug, bei dem
man von der Wirkung des Windes abſähe, gelangte in drei-
zehn Monaten von den Kanariſchen Inſeln an die Küſte von
Caracas. Es brauchte zehn Monate, um im Meerbuſen von
Mexiko herumzukommen und um zu den Untiefen der Schild-
kröteninſeln gegenüber vom Hafen von Havana zu gelangen,
aber nur 40 bis 50 Tage vom Eingang der Meerenge
von Florida bis Neufundland. Die Geſchwindigkeit der
rückläufigen Strömung von jener Bank bis an die Küſte von
Afrika iſt ſchwer zu ſchätzen; nimmt man ſie im Mittel auf
31,5 oder 36 km in 24 Stunden an, ſo ergeben ſich für
dieſe letzte Strecke zehn bis elf Monate. Solches ſind die
Wirkungen des langſamen, aber regelmäßigen Zuges, der die
Gewäſſer des Ozeans herumführt. Das Waſſer des Ama-
zonenſtromes braucht von Tomependa bis zum Gran-Para
etwa 45 Tage.

Kurz vor meiner Ankunft auf Tenerifa hatte das Meer
auf der Reede von Santa Cruz einen Stamm der Cedrela
odorata,
noch mit der Rinde, ausgeworfen. Dieſer ameri-
kaniſche Baum wächſt nur unter den Tropen oder in den zu-
nächſt angrenzenden Ländern. Er war ohne Zweifel an der
Küſte von Terra Firma oder Honduras abgeriſſen worden.
Die Beſchaffenheit des Holzes und der Flechten auf der Rinde
zeigte augenſcheinlich, daß der Stamm nicht etwa von einem
der unterſeeiſchen Wälder herrührte, welche durch alte Erd-
umwälzungen in die Flözgebilde nördlicher Länder eingebettet
worden ſind. Wäre der Cedrelaſtamm, ſtatt bei Tenerifa
ans Land geworfen zu werden, weiter nach Süden gelangt,

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[28/0044] ebenſo zwiſchen dem 48. Grad weſtlicher Länge von Paris und dem Meridian der Azoren. Die wechſelnden Winde in der gemäßigten Zone und das Schmelzen des Eiſes am Nord- pol, von wo in den Monaten Juli und Auguſt eine bedeutende Maſſe ſüßen Waſſers nach Süden abfließt, erſcheinen als die vornehmſten Urſachen, aus welchen ſich in dieſen hohen Breiten Stärke und Richtung des Golfſtromes verändern. Wir haben geſehen, daß zwiſchen dem 11. und 43. Grad der Breite die Gewäſſer des Atlantiſchen Ozeans mittels Strömungen fortwährend im Kreiſe umhergeführt worden. Angenommen, ein Waſſerteilchen gelange zu derſelben Stelle zurück, von der es ausgegangen, ſo läßt ſich nach dem, was wir bis jetzt von der Geſchwindigkeit der Strömungen wiſſen, berechnen, daß es zu ſeinem 17100 km langen Umlauf zwei Jahre und zehn Monate brauchte. Ein Fahrzeug, bei dem man von der Wirkung des Windes abſähe, gelangte in drei- zehn Monaten von den Kanariſchen Inſeln an die Küſte von Caracas. Es brauchte zehn Monate, um im Meerbuſen von Mexiko herumzukommen und um zu den Untiefen der Schild- kröteninſeln gegenüber vom Hafen von Havana zu gelangen, aber nur 40 bis 50 Tage vom Eingang der Meerenge von Florida bis Neufundland. Die Geſchwindigkeit der rückläufigen Strömung von jener Bank bis an die Küſte von Afrika iſt ſchwer zu ſchätzen; nimmt man ſie im Mittel auf 31,5 oder 36 km in 24 Stunden an, ſo ergeben ſich für dieſe letzte Strecke zehn bis elf Monate. Solches ſind die Wirkungen des langſamen, aber regelmäßigen Zuges, der die Gewäſſer des Ozeans herumführt. Das Waſſer des Ama- zonenſtromes braucht von Tomependa bis zum Gran-Para etwa 45 Tage. Kurz vor meiner Ankunft auf Tenerifa hatte das Meer auf der Reede von Santa Cruz einen Stamm der Cedrela odorata, noch mit der Rinde, ausgeworfen. Dieſer ameri- kaniſche Baum wächſt nur unter den Tropen oder in den zu- nächſt angrenzenden Ländern. Er war ohne Zweifel an der Küſte von Terra Firma oder Honduras abgeriſſen worden. Die Beſchaffenheit des Holzes und der Flechten auf der Rinde zeigte augenſcheinlich, daß der Stamm nicht etwa von einem der unterſeeiſchen Wälder herrührte, welche durch alte Erd- umwälzungen in die Flözgebilde nördlicher Länder eingebettet worden ſind. Wäre der Cedrelaſtamm, ſtatt bei Tenerifa ans Land geworfen zu werden, weiter nach Süden gelangt,

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/44>, abgerufen am 29.03.2024.