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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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gehegt, Gestalt und Ziel zu geben. Wenn es mich noch immer
in die schönen Länder des heißen Erdgürtels zog, so war es
jetzt nicht mehr der Drang nach einem aufregenden Wander-
leben, es war der Trieb, eine wilde, großartige, an mannig-
faltigen Naturprodukten reiche Natur zu sehen, die Aussicht,
Erfahrungen zu sammeln, welche die Wissenschaften förderten.
Meine Verhältnisse gestatteten mir damals nicht, Gedanken
zu verwirklichen, die mich so lebhaft beschäftigten, und ich
hatte sechs Jahre Zeit, mich zu den Beobachtungen, die ich
in der Neuen Welt anzustellen gedachte, vorzubereiten, mehrere
Länder Europas zu bereisen und die Kette der Hochalpen zu
untersuchen, deren Bau ich in der Folge mit dem der Anden
von Quito und Peru vergleichen konnte. Da ich zu verschie-
denen Zeiten mit Instrumenten von verschiedener Konstruktion
arbeitete, wählte ich am Ende diejenigen, die mir als die
genauesten und dabei auf dem Transport dauerhaftesten er-
schienen; ich fand Gelegenheit, Messungen, die nach den strengsten
Methoden vorgenommen worden, zu wiederholen, und lernte
so selbständig die Grenzen der Irrtümer kennen, auf die ich
gefaßt sein mußte.

Im Jahre 1795 hatte ich einen Teil von Italien bereist,
aber die vulkanischen Striche in Neapel und Sizilien nicht
besuchen können. Ungern hätte ich Europa verlassen, ohne
Vesuv, Stromboli und Aetna gesehen zu haben; ich sah ein,
um zahlreiche geologische Erscheinungen, namentlich in der
Trappformation, richtig aufzufassen, mußte ich mich mit den
Erscheinungen, wie noch thätige Vulkane sie bieten, näher
bekannt gemacht haben. Ich entschloß mich daher im Novem-
ber 1797, wieder nach Italien zu gehen. Ich hielt mich lange
in Wien auf, wo die ausgezeichneten Sammlungen und die
Freundlichkeit Jacquins und Josephs van der Schott mich in
meinen vorbereitenden Studien ausnehmend förderten; ich durch-
zog mit Leopold von Buch, von dem seitdem ein treffliches
Werk über Lappland erschienen ist, mehrere Teile des Salz-
burger Landes und Steiermark, Länder, die für den Geologen
und den Landschaftsmaler gleich viel Anziehendes haben; als
ich aber über die Tiroler Alpen gehen wollte, sah ich mich
durch den in ganz Italien ausgebrochenen Krieg genötigt, den
Plan der Reise nach Neapel aufzugeben.

Kurz zuvor hatte ein leidenschaftlicher Kunstfreund, der
bereits die Küsten Illyriens und Griechenlands als Altertums-
forscher besucht hatte, mir den Vorschlag gemacht, ihn auf

gehegt, Geſtalt und Ziel zu geben. Wenn es mich noch immer
in die ſchönen Länder des heißen Erdgürtels zog, ſo war es
jetzt nicht mehr der Drang nach einem aufregenden Wander-
leben, es war der Trieb, eine wilde, großartige, an mannig-
faltigen Naturprodukten reiche Natur zu ſehen, die Ausſicht,
Erfahrungen zu ſammeln, welche die Wiſſenſchaften förderten.
Meine Verhältniſſe geſtatteten mir damals nicht, Gedanken
zu verwirklichen, die mich ſo lebhaft beſchäftigten, und ich
hatte ſechs Jahre Zeit, mich zu den Beobachtungen, die ich
in der Neuen Welt anzuſtellen gedachte, vorzubereiten, mehrere
Länder Europas zu bereiſen und die Kette der Hochalpen zu
unterſuchen, deren Bau ich in der Folge mit dem der Anden
von Quito und Peru vergleichen konnte. Da ich zu verſchie-
denen Zeiten mit Inſtrumenten von verſchiedener Konſtruktion
arbeitete, wählte ich am Ende diejenigen, die mir als die
genaueſten und dabei auf dem Transport dauerhafteſten er-
ſchienen; ich fand Gelegenheit, Meſſungen, die nach den ſtrengſten
Methoden vorgenommen worden, zu wiederholen, und lernte
ſo ſelbſtändig die Grenzen der Irrtümer kennen, auf die ich
gefaßt ſein mußte.

Im Jahre 1795 hatte ich einen Teil von Italien bereiſt,
aber die vulkaniſchen Striche in Neapel und Sizilien nicht
beſuchen können. Ungern hätte ich Europa verlaſſen, ohne
Veſuv, Stromboli und Aetna geſehen zu haben; ich ſah ein,
um zahlreiche geologiſche Erſcheinungen, namentlich in der
Trappformation, richtig aufzufaſſen, mußte ich mich mit den
Erſcheinungen, wie noch thätige Vulkane ſie bieten, näher
bekannt gemacht haben. Ich entſchloß mich daher im Novem-
ber 1797, wieder nach Italien zu gehen. Ich hielt mich lange
in Wien auf, wo die ausgezeichneten Sammlungen und die
Freundlichkeit Jacquins und Joſephs van der Schott mich in
meinen vorbereitenden Studien ausnehmend förderten; ich durch-
zog mit Leopold von Buch, von dem ſeitdem ein treffliches
Werk über Lappland erſchienen iſt, mehrere Teile des Salz-
burger Landes und Steiermark, Länder, die für den Geologen
und den Landſchaftsmaler gleich viel Anziehendes haben; als
ich aber über die Tiroler Alpen gehen wollte, ſah ich mich
durch den in ganz Italien ausgebrochenen Krieg genötigt, den
Plan der Reiſe nach Neapel aufzugeben.

Kurz zuvor hatte ein leidenſchaftlicher Kunſtfreund, der
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[5/0021] gehegt, Geſtalt und Ziel zu geben. Wenn es mich noch immer in die ſchönen Länder des heißen Erdgürtels zog, ſo war es jetzt nicht mehr der Drang nach einem aufregenden Wander- leben, es war der Trieb, eine wilde, großartige, an mannig- faltigen Naturprodukten reiche Natur zu ſehen, die Ausſicht, Erfahrungen zu ſammeln, welche die Wiſſenſchaften förderten. Meine Verhältniſſe geſtatteten mir damals nicht, Gedanken zu verwirklichen, die mich ſo lebhaft beſchäftigten, und ich hatte ſechs Jahre Zeit, mich zu den Beobachtungen, die ich in der Neuen Welt anzuſtellen gedachte, vorzubereiten, mehrere Länder Europas zu bereiſen und die Kette der Hochalpen zu unterſuchen, deren Bau ich in der Folge mit dem der Anden von Quito und Peru vergleichen konnte. Da ich zu verſchie- denen Zeiten mit Inſtrumenten von verſchiedener Konſtruktion arbeitete, wählte ich am Ende diejenigen, die mir als die genaueſten und dabei auf dem Transport dauerhafteſten er- ſchienen; ich fand Gelegenheit, Meſſungen, die nach den ſtrengſten Methoden vorgenommen worden, zu wiederholen, und lernte ſo ſelbſtändig die Grenzen der Irrtümer kennen, auf die ich gefaßt ſein mußte. Im Jahre 1795 hatte ich einen Teil von Italien bereiſt, aber die vulkaniſchen Striche in Neapel und Sizilien nicht beſuchen können. Ungern hätte ich Europa verlaſſen, ohne Veſuv, Stromboli und Aetna geſehen zu haben; ich ſah ein, um zahlreiche geologiſche Erſcheinungen, namentlich in der Trappformation, richtig aufzufaſſen, mußte ich mich mit den Erſcheinungen, wie noch thätige Vulkane ſie bieten, näher bekannt gemacht haben. Ich entſchloß mich daher im Novem- ber 1797, wieder nach Italien zu gehen. Ich hielt mich lange in Wien auf, wo die ausgezeichneten Sammlungen und die Freundlichkeit Jacquins und Joſephs van der Schott mich in meinen vorbereitenden Studien ausnehmend förderten; ich durch- zog mit Leopold von Buch, von dem ſeitdem ein treffliches Werk über Lappland erſchienen iſt, mehrere Teile des Salz- burger Landes und Steiermark, Länder, die für den Geologen und den Landſchaftsmaler gleich viel Anziehendes haben; als ich aber über die Tiroler Alpen gehen wollte, ſah ich mich durch den in ganz Italien ausgebrochenen Krieg genötigt, den Plan der Reiſe nach Neapel aufzugeben. Kurz zuvor hatte ein leidenſchaftlicher Kunſtfreund, der bereits die Küſten Illyriens und Griechenlands als Altertums- forſcher beſucht hatte, mir den Vorſchlag gemacht, ihn auf

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/21>, abgerufen am 28.03.2024.