Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Gräfin erscheinen solle. Die Hauptstadt wollte er
durchaus nicht berühren, aus Besorgniß, sich dort
unnütz aufzuhalten und dadurch die gefürchtete schwere
Stunde noch weiter hinauszuschieben, die ihm jetzt
schon so schwarz drohte, daß er sie nicht rasch genug
herbeiwünschen konnte, damit sie nur überstanden
werde; -- gut, oder übel! Er ließ also das alte Br.
mit seinen Thürmen zur Seite und schlug einen Feld-
pfad ein, der ihn in gerader Linie auf die Straße
brächte, die zu seinem Ziele führte. Es war gegen
Abend, doch immer noch heller Tag. Ein Sonntag.
Auf den Feldern lag feierliche Stille, nur von der
Lerche Vesperlied belebt; kein Mensch zu sehen, so
weit das Auge reichte. Anton spürte schon die weiche,
wehmüthige Stimmung über sich kommen, die gegen
Abend sich bei so vielen Menschen anmeldet und zwar,
im Verkehre der Geselligkeit überschrieen, in ungestör-
ter Einsamkeit desto mächtiger zu werden pflegt.
Sein Blick verfolgte eine hochaufsteigende Lerche, so
weit, daß sie ihm beinahe schon entschwand, als er
über ihr einen größeren Gegenstand im blauen Raume
wahrnahm, den er für einen Raubvogel hielt. Doch
zeigte die Lerche nichts von ängstlicher Besorgniß,
wirbelte vielmehr ihren Hymnus muthig fort. Erst

Graͤfin erſcheinen ſolle. Die Hauptſtadt wollte er
durchaus nicht beruͤhren, aus Beſorgniß, ſich dort
unnuͤtz aufzuhalten und dadurch die gefuͤrchtete ſchwere
Stunde noch weiter hinauszuſchieben, die ihm jetzt
ſchon ſo ſchwarz drohte, daß er ſie nicht raſch genug
herbeiwuͤnſchen konnte, damit ſie nur uͤberſtanden
werde; — gut, oder uͤbel! Er ließ alſo das alte Br.
mit ſeinen Thuͤrmen zur Seite und ſchlug einen Feld-
pfad ein, der ihn in gerader Linie auf die Straße
braͤchte, die zu ſeinem Ziele fuͤhrte. Es war gegen
Abend, doch immer noch heller Tag. Ein Sonntag.
Auf den Feldern lag feierliche Stille, nur von der
Lerche Vesperlied belebt; kein Menſch zu ſehen, ſo
weit das Auge reichte. Anton ſpuͤrte ſchon die weiche,
wehmuͤthige Stimmung uͤber ſich kommen, die gegen
Abend ſich bei ſo vielen Menſchen anmeldet und zwar,
im Verkehre der Geſelligkeit uͤberſchrieen, in ungeſtoͤr-
ter Einſamkeit deſto maͤchtiger zu werden pflegt.
Sein Blick verfolgte eine hochaufſteigende Lerche, ſo
weit, daß ſie ihm beinahe ſchon entſchwand, als er
uͤber ihr einen groͤßeren Gegenſtand im blauen Raume
wahrnahm, den er fuͤr einen Raubvogel hielt. Doch
zeigte die Lerche nichts von aͤngſtlicher Beſorgniß,
wirbelte vielmehr ihren Hymnus muthig fort. Erſt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0009" n="5"/>
Gra&#x0364;fin er&#x017F;cheinen &#x017F;olle. Die Haupt&#x017F;tadt wollte er<lb/>
durchaus nicht beru&#x0364;hren, aus Be&#x017F;orgniß, &#x017F;ich dort<lb/>
unnu&#x0364;tz aufzuhalten und dadurch die gefu&#x0364;rchtete &#x017F;chwere<lb/>
Stunde noch weiter hinauszu&#x017F;chieben, die ihm jetzt<lb/>
&#x017F;chon &#x017F;o &#x017F;chwarz drohte, daß er &#x017F;ie nicht ra&#x017F;ch genug<lb/>
herbeiwu&#x0364;n&#x017F;chen konnte, damit &#x017F;ie nur u&#x0364;ber&#x017F;tanden<lb/>
werde; &#x2014; gut, oder u&#x0364;bel! Er ließ al&#x017F;o das alte Br.<lb/>
mit &#x017F;einen Thu&#x0364;rmen zur Seite und &#x017F;chlug einen Feld-<lb/>
pfad ein, der ihn in gerader Linie auf die Straße<lb/>
bra&#x0364;chte, die zu &#x017F;einem Ziele fu&#x0364;hrte. Es war gegen<lb/>
Abend, doch immer noch heller Tag. Ein Sonntag.<lb/>
Auf den Feldern lag feierliche Stille, nur von der<lb/>
Lerche Vesperlied belebt; kein Men&#x017F;ch zu &#x017F;ehen, &#x017F;o<lb/>
weit das Auge reichte. Anton &#x017F;pu&#x0364;rte &#x017F;chon die weiche,<lb/>
wehmu&#x0364;thige Stimmung u&#x0364;ber &#x017F;ich kommen, die gegen<lb/>
Abend &#x017F;ich bei &#x017F;o vielen Men&#x017F;chen anmeldet und zwar,<lb/>
im Verkehre der Ge&#x017F;elligkeit u&#x0364;ber&#x017F;chrieen, in unge&#x017F;to&#x0364;r-<lb/>
ter Ein&#x017F;amkeit de&#x017F;to ma&#x0364;chtiger zu werden pflegt.<lb/>
Sein Blick verfolgte eine hochauf&#x017F;teigende Lerche, &#x017F;o<lb/>
weit, daß &#x017F;ie ihm beinahe &#x017F;chon ent&#x017F;chwand, als er<lb/>
u&#x0364;ber ihr einen gro&#x0364;ßeren Gegen&#x017F;tand im blauen Raume<lb/>
wahrnahm, den er fu&#x0364;r einen Raubvogel hielt. Doch<lb/>
zeigte die Lerche nichts von a&#x0364;ng&#x017F;tlicher Be&#x017F;orgniß,<lb/>
wirbelte vielmehr ihren Hymnus muthig fort. Er&#x017F;t<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[5/0009] Graͤfin erſcheinen ſolle. Die Hauptſtadt wollte er durchaus nicht beruͤhren, aus Beſorgniß, ſich dort unnuͤtz aufzuhalten und dadurch die gefuͤrchtete ſchwere Stunde noch weiter hinauszuſchieben, die ihm jetzt ſchon ſo ſchwarz drohte, daß er ſie nicht raſch genug herbeiwuͤnſchen konnte, damit ſie nur uͤberſtanden werde; — gut, oder uͤbel! Er ließ alſo das alte Br. mit ſeinen Thuͤrmen zur Seite und ſchlug einen Feld- pfad ein, der ihn in gerader Linie auf die Straße braͤchte, die zu ſeinem Ziele fuͤhrte. Es war gegen Abend, doch immer noch heller Tag. Ein Sonntag. Auf den Feldern lag feierliche Stille, nur von der Lerche Vesperlied belebt; kein Menſch zu ſehen, ſo weit das Auge reichte. Anton ſpuͤrte ſchon die weiche, wehmuͤthige Stimmung uͤber ſich kommen, die gegen Abend ſich bei ſo vielen Menſchen anmeldet und zwar, im Verkehre der Geſelligkeit uͤberſchrieen, in ungeſtoͤr- ter Einſamkeit deſto maͤchtiger zu werden pflegt. Sein Blick verfolgte eine hochaufſteigende Lerche, ſo weit, daß ſie ihm beinahe ſchon entſchwand, als er uͤber ihr einen groͤßeren Gegenſtand im blauen Raume wahrnahm, den er fuͤr einen Raubvogel hielt. Doch zeigte die Lerche nichts von aͤngſtlicher Beſorgniß, wirbelte vielmehr ihren Hymnus muthig fort. Erſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/9
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/9>, abgerufen am 19.04.2024.