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Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Zweiter Band. Tübingen, 1799.

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Hyperion an Diotima.

Ich hab' ihn, theure Diotima!

Leicht ist mir die Brust und schnell sind meine Sehnen, ha! und die Zukunft reizt mich, wie eine klare Wassertiefe uns reizt, hinein zu springen und das übermüthige Blut im frischen Bade zu kühlen. Aber das ist Geschwäz. Wir sind uns lieber, als je, mein Alabanda und ich. Wir sind freier umeinander und doch ists alle die Fülle und Tiefe des Lebens, wie sonst.

O wie hatten die alten Tyrannen so recht, Freundschaften, wie die unsere, zu verbieten! Da ist man stark, wie ein Halbgott, und duldet nichts Unverschämtes in seinem Bezirke! -

Es war des Abends, da ich in sein Zimmer trat. Er hatte eben die Arbeit bei Seite gelegt, saß in einer mondhellen Eke am Fenster und pflegte seiner Gedanken. Ich stand im Dunkeln, er erkannte mich nicht, sah unbekümmert gegen mich her. Der Himmel weis, für wen er mich halten mochte. Nun, wie geht es? rief er. So ziemlich! sagt' ich. Aber das Heucheln war umsonst. Meine Stimme war voll geheimen Frohlokens. Was ist das? fuhr er auf; bist du's? Ja wohl, du Blinder! rief ich, und flog ihm in die Arme.

Hyperion an Diotima.

Ich hab’ ihn, theure Diotima!

Leicht ist mir die Brust und schnell sind meine Sehnen, ha! und die Zukunft reizt mich, wie eine klare Wassertiefe uns reizt, hinein zu springen und das übermüthige Blut im frischen Bade zu kühlen. Aber das ist Geschwäz. Wir sind uns lieber, als je, mein Alabanda und ich. Wir sind freier umeinander und doch ists alle die Fülle und Tiefe des Lebens, wie sonst.

O wie hatten die alten Tyrannen so recht, Freundschaften, wie die unsere, zu verbieten! Da ist man stark, wie ein Halbgott, und duldet nichts Unverschämtes in seinem Bezirke! –

Es war des Abends, da ich in sein Zimmer trat. Er hatte eben die Arbeit bei Seite gelegt, saß in einer mondhellen Eke am Fenster und pflegte seiner Gedanken. Ich stand im Dunkeln, er erkannte mich nicht, sah unbekümmert gegen mich her. Der Himmel weis, für wen er mich halten mochte. Nun, wie geht es? rief er. So ziemlich! sagt’ ich. Aber das Heucheln war umsonst. Meine Stimme war voll geheimen Frohlokens. Was ist das? fuhr er auf; bist du’s? Ja wohl, du Blinder! rief ich, und flog ihm in die Arme.

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[0025] Hyperion an Diotima. Ich hab’ ihn, theure Diotima! Leicht ist mir die Brust und schnell sind meine Sehnen, ha! und die Zukunft reizt mich, wie eine klare Wassertiefe uns reizt, hinein zu springen und das übermüthige Blut im frischen Bade zu kühlen. Aber das ist Geschwäz. Wir sind uns lieber, als je, mein Alabanda und ich. Wir sind freier umeinander und doch ists alle die Fülle und Tiefe des Lebens, wie sonst. O wie hatten die alten Tyrannen so recht, Freundschaften, wie die unsere, zu verbieten! Da ist man stark, wie ein Halbgott, und duldet nichts Unverschämtes in seinem Bezirke! – Es war des Abends, da ich in sein Zimmer trat. Er hatte eben die Arbeit bei Seite gelegt, saß in einer mondhellen Eke am Fenster und pflegte seiner Gedanken. Ich stand im Dunkeln, er erkannte mich nicht, sah unbekümmert gegen mich her. Der Himmel weis, für wen er mich halten mochte. Nun, wie geht es? rief er. So ziemlich! sagt’ ich. Aber das Heucheln war umsonst. Meine Stimme war voll geheimen Frohlokens. Was ist das? fuhr er auf; bist du’s? Ja wohl, du Blinder! rief ich, und flog ihm in die Arme.

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Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Zweiter Band. Tübingen, 1799, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion02_1799/25>, abgerufen am 18.04.2024.