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Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797.

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Es giebt ein Verstummen, ein Vergessen alles Daseyns, wo uns ist, als hätten wir alles verloren, eine Nacht unsrer Seele, wo kein Schimmer eines Sterns, wo nicht einmal ein faules Holz uns leuchtet.

Ich war nun ruhig geworden. Nun trieb mich nichts mehr auf um Mitternacht. Nun sengt' ich mich in meiner eignen Flamme nicht mehr.

Ich sah nun still und einsam vor mich hin, und schweift' in die Vergangenheit und in die Zukunft mit dem Auge nicht. Nun drängte Fernes und Nahes sich in meinem Sinne nicht mehr; die Menschen, wenn sie mich nicht zwangen, sie zu sehen, sah ich nicht.

Sonst lag oft, wie das ewigleere Fass der Danaiden, vor meinem Sinne diess Jahrhundert, und mit verschwenderischer Liebe goss meine Seele sich aus, die Lükken auszufüllen; nun sah ich keine Lükke mehr, nun drükte mich des Lebens Langeweile nicht mehr.

Nun sprach ich nimmer zu der Blume, du bist meine Schwester! und zu den Quellen, wir sind Eines Geschlechts! ich gab nun treulich, wie ein Echo, jedem Dinge seinen Namen.

Es giebt ein Verstummen, ein Vergessen alles Daseyns, wo uns ist, als hätten wir alles verloren, eine Nacht unsrer Seele, wo kein Schimmer eines Sterns, wo nicht einmal ein faules Holz uns leuchtet.

Ich war nun ruhig geworden. Nun trieb mich nichts mehr auf um Mitternacht. Nun sengt’ ich mich in meiner eignen Flamme nicht mehr.

Ich sah nun still und einsam vor mich hin, und schweift’ in die Vergangenheit und in die Zukunft mit dem Auge nicht. Nun drängte Fernes und Nahes sich in meinem Sinne nicht mehr; die Menschen, wenn sie mich nicht zwangen, sie zu sehen, sah ich nicht.

Sonst lag oft, wie das ewigleere Fass der Danaiden, vor meinem Sinne diess Jahrhundert, und mit verschwenderischer Liebe goss meine Seele sich aus, die Lükken auszufüllen; nun sah ich keine Lükke mehr, nun drükte mich des Lebens Langeweile nicht mehr.

Nun sprach ich nimmer zu der Blume, du bist meine Schwester! und zu den Quellen, wir sind Eines Geschlechts! ich gab nun treulich, wie ein Echo, jedem Dinge seinen Namen.

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[0079] Es giebt ein Verstummen, ein Vergessen alles Daseyns, wo uns ist, als hätten wir alles verloren, eine Nacht unsrer Seele, wo kein Schimmer eines Sterns, wo nicht einmal ein faules Holz uns leuchtet. Ich war nun ruhig geworden. Nun trieb mich nichts mehr auf um Mitternacht. Nun sengt’ ich mich in meiner eignen Flamme nicht mehr. Ich sah nun still und einsam vor mich hin, und schweift’ in die Vergangenheit und in die Zukunft mit dem Auge nicht. Nun drängte Fernes und Nahes sich in meinem Sinne nicht mehr; die Menschen, wenn sie mich nicht zwangen, sie zu sehen, sah ich nicht. Sonst lag oft, wie das ewigleere Fass der Danaiden, vor meinem Sinne diess Jahrhundert, und mit verschwenderischer Liebe goss meine Seele sich aus, die Lükken auszufüllen; nun sah ich keine Lükke mehr, nun drükte mich des Lebens Langeweile nicht mehr. Nun sprach ich nimmer zu der Blume, du bist meine Schwester! und zu den Quellen, wir sind Eines Geschlechts! ich gab nun treulich, wie ein Echo, jedem Dinge seinen Namen.

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Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion01_1797/79>, abgerufen am 19.04.2024.