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Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797.

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Von diesem Tag an wurden wir uns immer heiliger und lieber. Tiefer unbeschreiblicher Ernst war unter uns gekommen. Aber wir waren nur um so seliger zusammen. Nur in den ewigen Grundtönen seines Wesens lebte jeder, und schmuklos schritten wir fort von einer großen Harmonie zur andern. Voll herrlicher Strenge und Kühnheit war unser gemeinsames Leben.

Wie bist du denn so wortarm geworden? fragte mich einmal Alabanda mit Lächeln. In den heissen Zonen, sagt' ich, näher der Sonne, singen ja auch die Vögel nicht.

Aber es geht alles auf und unter in der Welt, und es hält der Mensch mit aller seiner Riesenkraft nichts fest. Ich sah' einmal ein Kind die Hand ausstreken, um das Mondlicht zu haschen; aber das Licht gieng ruhig weiter seine Bahn. So stehn wir da, und ringen, das wandelnde Schiksal anzuhalten.

O wer ihm nur so still und sinnend, wie dem Gange der Sterne, zusehn könnte!

Je glüklicher Du bist, um so weniger kostet es, Dich zu Grunde zu richten, und die seligen Tage, wie Alabanda und ich sie lebten, sind wie eine jähe Felsenspize, wo dein Rei-

Von diesem Tag an wurden wir uns immer heiliger und lieber. Tiefer unbeschreiblicher Ernst war unter uns gekommen. Aber wir waren nur um so seliger zusammen. Nur in den ewigen Grundtönen seines Wesens lebte jeder, und schmuklos schritten wir fort von einer großen Harmonie zur andern. Voll herrlicher Strenge und Kühnheit war unser gemeinsames Leben.

Wie bist du denn so wortarm geworden? fragte mich einmal Alabanda mit Lächeln. In den heissen Zonen, sagt’ ich, näher der Sonne, singen ja auch die Vögel nicht.

Aber es geht alles auf und unter in der Welt, und es hält der Mensch mit aller seiner Riesenkraft nichts fest. Ich sah’ einmal ein Kind die Hand ausstreken, um das Mondlicht zu haschen; aber das Licht gieng ruhig weiter seine Bahn. So stehn wir da, und ringen, das wandelnde Schiksal anzuhalten.

O wer ihm nur so still und sinnend, wie dem Gange der Sterne, zusehn könnte!

Je glüklicher Du bist, um so weniger kostet es, Dich zu Grunde zu richten, und die seligen Tage, wie Alabanda und ich sie lebten, sind wie eine jähe Felsenspize, wo dein Rei-

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[0056] Von diesem Tag an wurden wir uns immer heiliger und lieber. Tiefer unbeschreiblicher Ernst war unter uns gekommen. Aber wir waren nur um so seliger zusammen. Nur in den ewigen Grundtönen seines Wesens lebte jeder, und schmuklos schritten wir fort von einer großen Harmonie zur andern. Voll herrlicher Strenge und Kühnheit war unser gemeinsames Leben. Wie bist du denn so wortarm geworden? fragte mich einmal Alabanda mit Lächeln. In den heissen Zonen, sagt’ ich, näher der Sonne, singen ja auch die Vögel nicht. Aber es geht alles auf und unter in der Welt, und es hält der Mensch mit aller seiner Riesenkraft nichts fest. Ich sah’ einmal ein Kind die Hand ausstreken, um das Mondlicht zu haschen; aber das Licht gieng ruhig weiter seine Bahn. So stehn wir da, und ringen, das wandelnde Schiksal anzuhalten. O wer ihm nur so still und sinnend, wie dem Gange der Sterne, zusehn könnte! Je glüklicher Du bist, um so weniger kostet es, Dich zu Grunde zu richten, und die seligen Tage, wie Alabanda und ich sie lebten, sind wie eine jähe Felsenspize, wo dein Rei-

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Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion01_1797/56>, abgerufen am 25.04.2024.