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Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797.

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Wir beschlossen, da zu übernachten. Wir sassen noch lange zusammen bei offnen Fenstern. Hohe geistige Stille umfieng uns. Erd' und Meer war selig verstummt, wie die Sterne, die über uns hiengen. Kaum, dass ein Lüftchen von der See her uns in's Zimmer flog und zart mit unserm Lichte spielte, oder dass von ferner Musik die gewaltigern Töne zu uns drangen, indess die Donnerwolke sich wiegt' im Bette des Aethers, und hin und wieder durch die Stille fernher tönte, wie ein schlafender Riese, wenn er stärker athmet in seinen furchtbaren Träumen.

Unsre Seelen mussten um so stärker sich nähern, weil sie wider Willen waren verschlossen gewesen. Wir begegneten einander, wie zwei Bäche, die vom Berge rollen, und die Last von Erde und Stein und faulem Holz und das ganze träge Chaos, das sie aufhält, von sich schleudern, um den Weg sich zu einander zu bahnen, und durchzubrechen bis dahin, wo sie nun ergreiffend und ergriffen mit gleicher Kraft, vereint in Einen majestätischen Strom, die Wanderung in's weite Meer beginnen.

Er, vom Schiksal und der Barbarei der Menschen heraus, vom eignen Hause unter Fremden hin und her gejagt, von früher Jugend

Wir beschlossen, da zu übernachten. Wir sassen noch lange zusammen bei offnen Fenstern. Hohe geistige Stille umfieng uns. Erd’ und Meer war selig verstummt, wie die Sterne, die über uns hiengen. Kaum, dass ein Lüftchen von der See her uns in’s Zimmer flog und zart mit unserm Lichte spielte, oder dass von ferner Musik die gewaltigern Töne zu uns drangen, indess die Donnerwolke sich wiegt’ im Bette des Aethers, und hin und wieder durch die Stille fernher tönte, wie ein schlafender Riese, wenn er stärker athmet in seinen furchtbaren Träumen.

Unsre Seelen mussten um so stärker sich nähern, weil sie wider Willen waren verschlossen gewesen. Wir begegneten einander, wie zwei Bäche, die vom Berge rollen, und die Last von Erde und Stein und faulem Holz und das ganze träge Chaos, das sie aufhält, von sich schleudern, um den Weg sich zu einander zu bahnen, und durchzubrechen bis dahin, wo sie nun ergreiffend und ergriffen mit gleicher Kraft, vereint in Einen majestätischen Strom, die Wanderung in’s weite Meer beginnen.

Er, vom Schiksal und der Barbarei der Menschen heraus, vom eignen Hause unter Fremden hin und her gejagt, von früher Jugend

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[0049] Wir beschlossen, da zu übernachten. Wir sassen noch lange zusammen bei offnen Fenstern. Hohe geistige Stille umfieng uns. Erd’ und Meer war selig verstummt, wie die Sterne, die über uns hiengen. Kaum, dass ein Lüftchen von der See her uns in’s Zimmer flog und zart mit unserm Lichte spielte, oder dass von ferner Musik die gewaltigern Töne zu uns drangen, indess die Donnerwolke sich wiegt’ im Bette des Aethers, und hin und wieder durch die Stille fernher tönte, wie ein schlafender Riese, wenn er stärker athmet in seinen furchtbaren Träumen. Unsre Seelen mussten um so stärker sich nähern, weil sie wider Willen waren verschlossen gewesen. Wir begegneten einander, wie zwei Bäche, die vom Berge rollen, und die Last von Erde und Stein und faulem Holz und das ganze träge Chaos, das sie aufhält, von sich schleudern, um den Weg sich zu einander zu bahnen, und durchzubrechen bis dahin, wo sie nun ergreiffend und ergriffen mit gleicher Kraft, vereint in Einen majestätischen Strom, die Wanderung in’s weite Meer beginnen. Er, vom Schiksal und der Barbarei der Menschen heraus, vom eignen Hause unter Fremden hin und her gejagt, von früher Jugend

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Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion01_1797/49>, abgerufen am 28.03.2024.