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Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797.

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einem heiligen Mährchen sich trösten über die schmähliche Gewalt, die über ihnen lastet - kannst Du sagen, ich schäme mich dieses Stoffs? Ich meyne, er wäre doch noch bildsam. Kannst Du dein Herz abwenden von den Bedürftigen? Sie sind nicht schlimm, sie haben Dir nichts zu laidegethan!

Was kann ich für sie thun, rief ich.

Gieb ihnen, was Du in Dir hast, erwiederte Diotima, gieb -

Kein Wort, kein Wort mehr, grosse Seele! rief ich, Du beugst mich sonst, es ist ja sonst, als hättest Du mit Gewalt mich dazu gebracht -

Sie werden nicht glüklicher seyn, aber edler, nein! sie werden auch glüklicher seyn. Sie müssen heraus, sie müssen hervorgehn, wie die jungen Berge aus der Meersfluth, wenn ihr unterirrdisches Feuer sie treibt.

Zwar steh' ich allein und trete ruhmlos unter sie. Doch Einer, der ein Mensch ist, kann er nicht mehr, denn Hunderte, die nur Theile sind des Menschen?

Heilige Natur! du bist dieselbe in und ausser mir. Es muss so schwer nicht seyn, was ausser mir ist, zu vereinen mit dem Göttlichen in mir. Gelingt der Biene doch ihr kleines Reich,

einem heiligen Mährchen sich trösten über die schmähliche Gewalt, die über ihnen lastet – kannst Du sagen, ich schäme mich dieses Stoffs? Ich meyne, er wäre doch noch bildsam. Kannst Du dein Herz abwenden von den Bedürftigen? Sie sind nicht schlimm, sie haben Dir nichts zu laidegethan!

Was kann ich für sie thun, rief ich.

Gieb ihnen, was Du in Dir hast, erwiederte Diotima, gieb –

Kein Wort, kein Wort mehr, grosse Seele! rief ich, Du beugst mich sonst, es ist ja sonst, als hättest Du mit Gewalt mich dazu gebracht –

Sie werden nicht glüklicher seyn, aber edler, nein! sie werden auch glüklicher seyn. Sie müssen heraus, sie müssen hervorgehn, wie die jungen Berge aus der Meersfluth, wenn ihr unterirrdisches Feuer sie treibt.

Zwar steh’ ich allein und trete ruhmlos unter sie. Doch Einer, der ein Mensch ist, kann er nicht mehr, denn Hunderte, die nur Theile sind des Menschen?

Heilige Natur! du bist dieselbe in und ausser mir. Es muss so schwer nicht seyn, was ausser mir ist, zu vereinen mit dem Göttlichen in mir. Gelingt der Biene doch ihr kleines Reich,

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[0164] einem heiligen Mährchen sich trösten über die schmähliche Gewalt, die über ihnen lastet – kannst Du sagen, ich schäme mich dieses Stoffs? Ich meyne, er wäre doch noch bildsam. Kannst Du dein Herz abwenden von den Bedürftigen? Sie sind nicht schlimm, sie haben Dir nichts zu laidegethan! Was kann ich für sie thun, rief ich. Gieb ihnen, was Du in Dir hast, erwiederte Diotima, gieb – Kein Wort, kein Wort mehr, grosse Seele! rief ich, Du beugst mich sonst, es ist ja sonst, als hättest Du mit Gewalt mich dazu gebracht – Sie werden nicht glüklicher seyn, aber edler, nein! sie werden auch glüklicher seyn. Sie müssen heraus, sie müssen hervorgehn, wie die jungen Berge aus der Meersfluth, wenn ihr unterirrdisches Feuer sie treibt. Zwar steh’ ich allein und trete ruhmlos unter sie. Doch Einer, der ein Mensch ist, kann er nicht mehr, denn Hunderte, die nur Theile sind des Menschen? Heilige Natur! du bist dieselbe in und ausser mir. Es muss so schwer nicht seyn, was ausser mir ist, zu vereinen mit dem Göttlichen in mir. Gelingt der Biene doch ihr kleines Reich,

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Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion01_1797/164>, abgerufen am 28.03.2024.