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Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797.

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heit, und das Höchste, was er nennt, ist eine verschleierte Macht, ein schauerhaft Räthsel; die stumme finstre Isis ist sein Erstes und Leztes, eine leere Unendlichkeit und da heraus ist nie Vernünftiges gekommen. Auch aus dem erhabensten Nichts wird Nichts geboren.

Der Norden treibt hingegen seine Zöglinge zu früh in sich hinein, und wenn der Geist des feurigen Aegyptiers zu reiselustig in die Welt hinaus eilt, schikt im Norden sich der Geist zur Rükkehr in sich selbst an, ehe er nur reisefertig ist.

Man muss im Norden schon verständig seyn, noch eh' ein reif Gefühl in einem ist, man misst sich Schuld von allem bei, noch ehe die Unbefangenheit ihr schönes Ende erreicht hat; man muss vernünftig, muss zum selbstbewussten Geiste werden, ehe man Mensch, zum klugen Manne, ehe man Kind ist; die Einigkeit des ganzen Menschen, die Schönheit lässt man nicht in ihm gedeihn und reifen, eh' er sich bildet und entwikelt. Der blose Verstand, die blose Vernunft sind immer die Könige des Nordens.

Aber aus blosem Verstand ist nie verständiges, aus bloser Vernunft ist nie vernünftiges gekommen.

Verstand ist ohne Geistesschönheit, wie

heit, und das Höchste, was er nennt, ist eine verschleierte Macht, ein schauerhaft Räthsel; die stumme finstre Isis ist sein Erstes und Leztes, eine leere Unendlichkeit und da heraus ist nie Vernünftiges gekommen. Auch aus dem erhabensten Nichts wird Nichts geboren.

Der Norden treibt hingegen seine Zöglinge zu früh in sich hinein, und wenn der Geist des feurigen Aegyptiers zu reiselustig in die Welt hinaus eilt, schikt im Norden sich der Geist zur Rükkehr in sich selbst an, ehe er nur reisefertig ist.

Man muss im Norden schon verständig seyn, noch eh’ ein reif Gefühl in einem ist, man misst sich Schuld von allem bei, noch ehe die Unbefangenheit ihr schönes Ende erreicht hat; man muss vernünftig, muss zum selbstbewussten Geiste werden, ehe man Mensch, zum klugen Manne, ehe man Kind ist; die Einigkeit des ganzen Menschen, die Schönheit lässt man nicht in ihm gedeihn und reifen, eh’ er sich bildet und entwikelt. Der blose Verstand, die blose Vernunft sind immer die Könige des Nordens.

Aber aus blosem Verstand ist nie verständiges, aus bloser Vernunft ist nie vernünftiges gekommen.

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[0153] heit, und das Höchste, was er nennt, ist eine verschleierte Macht, ein schauerhaft Räthsel; die stumme finstre Isis ist sein Erstes und Leztes, eine leere Unendlichkeit und da heraus ist nie Vernünftiges gekommen. Auch aus dem erhabensten Nichts wird Nichts geboren. Der Norden treibt hingegen seine Zöglinge zu früh in sich hinein, und wenn der Geist des feurigen Aegyptiers zu reiselustig in die Welt hinaus eilt, schikt im Norden sich der Geist zur Rükkehr in sich selbst an, ehe er nur reisefertig ist. Man muss im Norden schon verständig seyn, noch eh’ ein reif Gefühl in einem ist, man misst sich Schuld von allem bei, noch ehe die Unbefangenheit ihr schönes Ende erreicht hat; man muss vernünftig, muss zum selbstbewussten Geiste werden, ehe man Mensch, zum klugen Manne, ehe man Kind ist; die Einigkeit des ganzen Menschen, die Schönheit lässt man nicht in ihm gedeihn und reifen, eh’ er sich bildet und entwikelt. Der blose Verstand, die blose Vernunft sind immer die Könige des Nordens. Aber aus blosem Verstand ist nie verständiges, aus bloser Vernunft ist nie vernünftiges gekommen. Verstand ist ohne Geistesschönheit, wie

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Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion01_1797/153>, abgerufen am 19.04.2024.