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Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797.

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erstenmale wünsch' ich, mehr zu seyn, denn nur ein sterblich Mädchen. Aber ich bin Dir, was ich seyn kann.

O so bist Du ja mir Alles, rief ich!

"Alles? böser Heuchler! und die Menschheit, die Du doch am Ende einzig liebst?"

Die Menschheit? sagt' ich; ich wollte, die Menschheit machte Diotima zum Loosungswort und mahlt' in ihre Paniere dein Bild, und spräche: heute soll das Göttliche siegen! Engel des Himmels! das müsst' ein Tag seyn!

Geh, rief sie, geh, und zeige dem Himmel deine Verklärung! mir darf sie nicht so nahe seyn.

Nicht wahr, Du gehest, lieber Hyperion?

Ich gehorchte. Wer hätte da nicht gehorcht? Ich gieng. So war ich noch niemals von ihr gegangen. O Bellarmin! das war Freude, Stille des Lebens, Götterruhe, himmlische, wunderbare, unverkennbare Freude.

Worte sind hier umsonst, und wer nach einem Gleichniss von ihr fragt, der hat sie nie erfahren. Das Einzige, was eine solche Freude auszudrüken vermochte, war Diotima's Gesang, wenn er, in goldner Mitte, zwischen Höhe und Tiefe schwebte.

erstenmale wünsch’ ich, mehr zu seyn, denn nur ein sterblich Mädchen. Aber ich bin Dir, was ich seyn kann.

O so bist Du ja mir Alles, rief ich!

„Alles? böser Heuchler! und die Menschheit, die Du doch am Ende einzig liebst?“

Die Menschheit? sagt’ ich; ich wollte, die Menschheit machte Diotima zum Loosungswort und mahlt’ in ihre Paniere dein Bild, und spräche: heute soll das Göttliche siegen! Engel des Himmels! das müsst’ ein Tag seyn!

Geh, rief sie, geh, und zeige dem Himmel deine Verklärung! mir darf sie nicht so nahe seyn.

Nicht wahr, Du gehest, lieber Hyperion?

Ich gehorchte. Wer hätte da nicht gehorcht? Ich gieng. So war ich noch niemals von ihr gegangen. O Bellarmin! das war Freude, Stille des Lebens, Götterruhe, himmlische, wunderbare, unverkennbare Freude.

Worte sind hier umsonst, und wer nach einem Gleichniss von ihr fragt, der hat sie nie erfahren. Das Einzige, was eine solche Freude auszudrüken vermochte, war Diotima’s Gesang, wenn er, in goldner Mitte, zwischen Höhe und Tiefe schwebte.

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[0127] erstenmale wünsch’ ich, mehr zu seyn, denn nur ein sterblich Mädchen. Aber ich bin Dir, was ich seyn kann. O so bist Du ja mir Alles, rief ich! „Alles? böser Heuchler! und die Menschheit, die Du doch am Ende einzig liebst?“ Die Menschheit? sagt’ ich; ich wollte, die Menschheit machte Diotima zum Loosungswort und mahlt’ in ihre Paniere dein Bild, und spräche: heute soll das Göttliche siegen! Engel des Himmels! das müsst’ ein Tag seyn! Geh, rief sie, geh, und zeige dem Himmel deine Verklärung! mir darf sie nicht so nahe seyn. Nicht wahr, Du gehest, lieber Hyperion? Ich gehorchte. Wer hätte da nicht gehorcht? Ich gieng. So war ich noch niemals von ihr gegangen. O Bellarmin! das war Freude, Stille des Lebens, Götterruhe, himmlische, wunderbare, unverkennbare Freude. Worte sind hier umsonst, und wer nach einem Gleichniss von ihr fragt, der hat sie nie erfahren. Das Einzige, was eine solche Freude auszudrüken vermochte, war Diotima’s Gesang, wenn er, in goldner Mitte, zwischen Höhe und Tiefe schwebte.

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Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion01_1797/127>, abgerufen am 18.04.2024.