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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785.

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nach dem verschiedenen Charakter ihrer Besitzer.
Manier des Kent und le Notre einander entgegenstellt, so sagt er von dieser, daß
sie in den Gärten der Großen doch ihren Platz verdiene.

L'un est fait pour briller chez les grands & les rois;
Les rois sont condamnes a la magnificence.
On attend autour d'eux l'effort de la puissance;
On y veut admirer, enivrer ses regards
Des prodiges du luxe & du faste des arts.
L'art peut donc subjuguer la nature rebelle.

Indessen setzt er eine mehr überlegte Einschränkung hinzu:

Mais c'est toujours en grand qu'il doit triompher d'elle:
Son eclat fait ses droits; c'est un usurpateur
Qui doit obtenir grace, a force de grandeur.

So mögen Versailles und Sans-Souci, als Muster zu dieser Vorschrift,
durch die Wunder der Kunst glänzen. Aber sollen denn die Könige auch nicht die
Wunder der Natur sehen? Sollen sie denn selbst in ihren Gärten noch immer von
der blendenden, oft so leeren Pracht, die sie am Thron umgiebt, verfolgt
werden?

Es giebt eine Größe in der Natur, die alle Macht der Kunst nicht hervor-
bringen kann. Eine Lage ganz nahe am Meer, oder auf einer Anhöhe, von welcher
der Blick weite Landschaften überschaut, die in ferne Gebirge hinausdämmern, oder
in eine Reihe prächtiger Wälder hinstreift, hinter deren Schatten der unermeßliche
Ocean hervorglänzt, hat ohnstreitig eine Erhabenheit, die jede Kühnheit des mensch-
lichen Geistes übersteigt. Gebt hier den Königen ihre Sommerschlösser, wie sie
Dännemarks Könige zu Friedrichsberg, *) zu Sophienberg, **) zu Ma-
rienlust
***) haben. Laßt die Wellen des Meeres unter der Stärke ihrer Flotten
sich schmiegen, oder die reichen Handlungsschiffe ihrer Völker sanft in friedfertige
Häfen führen. Laßt sie in ihren weit gedehnten und gesegneten Provinzen die Städte
überschauen, wo der Fleiß bey der Kunst wohnt, die Landhütten, wo Zufriedenheit
sich der Arbeit zugesellt, die Hügel, die mit ungezählten Heerden bedeckt sind, die

Fluren,
*) S. 3ten B. S. 217.
**) S. 214.
***) S. 210.
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nach dem verſchiedenen Charakter ihrer Beſitzer.
Manier des Kent und le Notre einander entgegenſtellt, ſo ſagt er von dieſer, daß
ſie in den Gaͤrten der Großen doch ihren Platz verdiene.

L’un eſt fait pour briller chez les grands & les rois;
Les rois ſont condamnés à la magnificence.
On attend autour d’eux l’effort de la puiſſance;
On y veut admirer, enivrer ſes regards
Des prodiges du luxe & du faſte des arts.
L’art peut donc ſubjuguer la nature rebelle.

Indeſſen ſetzt er eine mehr uͤberlegte Einſchraͤnkung hinzu:

Mais c’eſt toujours en grand qu’il doit triompher d’elle:
Son éclat fait ſes droits; c’eſt un uſurpateur
Qui doit obtenir grace, à force de grandeur.

So moͤgen Verſailles und Sans-Souci, als Muſter zu dieſer Vorſchrift,
durch die Wunder der Kunſt glaͤnzen. Aber ſollen denn die Koͤnige auch nicht die
Wunder der Natur ſehen? Sollen ſie denn ſelbſt in ihren Gaͤrten noch immer von
der blendenden, oft ſo leeren Pracht, die ſie am Thron umgiebt, verfolgt
werden?

Es giebt eine Groͤße in der Natur, die alle Macht der Kunſt nicht hervor-
bringen kann. Eine Lage ganz nahe am Meer, oder auf einer Anhoͤhe, von welcher
der Blick weite Landſchaften uͤberſchaut, die in ferne Gebirge hinausdaͤmmern, oder
in eine Reihe praͤchtiger Waͤlder hinſtreift, hinter deren Schatten der unermeßliche
Ocean hervorglaͤnzt, hat ohnſtreitig eine Erhabenheit, die jede Kuͤhnheit des menſch-
lichen Geiſtes uͤberſteigt. Gebt hier den Koͤnigen ihre Sommerſchloͤſſer, wie ſie
Daͤnnemarks Koͤnige zu Friedrichsberg, *) zu Sophienberg, **) zu Ma-
rienluſt
***) haben. Laßt die Wellen des Meeres unter der Staͤrke ihrer Flotten
ſich ſchmiegen, oder die reichen Handlungsſchiffe ihrer Voͤlker ſanft in friedfertige
Haͤfen fuͤhren. Laßt ſie in ihren weit gedehnten und geſegneten Provinzen die Staͤdte
uͤberſchauen, wo der Fleiß bey der Kunſt wohnt, die Landhuͤtten, wo Zufriedenheit
ſich der Arbeit zugeſellt, die Huͤgel, die mit ungezaͤhlten Heerden bedeckt ſind, die

Fluren,
*) S. 3ten B. S. 217.
**) S. 214.
***) S. 210.
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[27/0035] nach dem verſchiedenen Charakter ihrer Beſitzer. Manier des Kent und le Notre einander entgegenſtellt, ſo ſagt er von dieſer, daß ſie in den Gaͤrten der Großen doch ihren Platz verdiene. L’un eſt fait pour briller chez les grands & les rois; Les rois ſont condamnés à la magnificence. On attend autour d’eux l’effort de la puiſſance; On y veut admirer, enivrer ſes regards Des prodiges du luxe & du faſte des arts. L’art peut donc ſubjuguer la nature rebelle. Indeſſen ſetzt er eine mehr uͤberlegte Einſchraͤnkung hinzu: Mais c’eſt toujours en grand qu’il doit triompher d’elle: Son éclat fait ſes droits; c’eſt un uſurpateur Qui doit obtenir grace, à force de grandeur. So moͤgen Verſailles und Sans-Souci, als Muſter zu dieſer Vorſchrift, durch die Wunder der Kunſt glaͤnzen. Aber ſollen denn die Koͤnige auch nicht die Wunder der Natur ſehen? Sollen ſie denn ſelbſt in ihren Gaͤrten noch immer von der blendenden, oft ſo leeren Pracht, die ſie am Thron umgiebt, verfolgt werden? Es giebt eine Groͤße in der Natur, die alle Macht der Kunſt nicht hervor- bringen kann. Eine Lage ganz nahe am Meer, oder auf einer Anhoͤhe, von welcher der Blick weite Landſchaften uͤberſchaut, die in ferne Gebirge hinausdaͤmmern, oder in eine Reihe praͤchtiger Waͤlder hinſtreift, hinter deren Schatten der unermeßliche Ocean hervorglaͤnzt, hat ohnſtreitig eine Erhabenheit, die jede Kuͤhnheit des menſch- lichen Geiſtes uͤberſteigt. Gebt hier den Koͤnigen ihre Sommerſchloͤſſer, wie ſie Daͤnnemarks Koͤnige zu Friedrichsberg, *) zu Sophienberg, **) zu Ma- rienluſt ***) haben. Laßt die Wellen des Meeres unter der Staͤrke ihrer Flotten ſich ſchmiegen, oder die reichen Handlungsſchiffe ihrer Voͤlker ſanft in friedfertige Haͤfen fuͤhren. Laßt ſie in ihren weit gedehnten und geſegneten Provinzen die Staͤdte uͤberſchauen, wo der Fleiß bey der Kunſt wohnt, die Landhuͤtten, wo Zufriedenheit ſich der Arbeit zugeſellt, die Huͤgel, die mit ungezaͤhlten Heerden bedeckt ſind, die Fluren, *) S. 3ten B. S. 217. **) S. 214. ***) S. 210. D 2

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/35>, abgerufen am 20.04.2024.