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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785.

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Fünfter Abschnitt. Gärten oder Scenen
[Spaltenumbruch]
Wenn im Schalle heller Glocken
Heimwärts sich die Schafe locken,
Und im Gehn das Lämmchen saugt;
Wenn die Erlen duftend säuseln,
Wenn die Mücken Teiche kräuseln,
Wenn der Frosch sich quäkend bläht,
Wenn im Nachtigallenthale
Hesper mit verliebtem Strale
Heimlich meine Quelle küßt;
[Spaltenumbruch]
Wenn das Geißblatt süße Düfte
In dem Wehen leiser Lüfte
Labend mir entgegen haucht;
Wenn der Fisch im Wasser hüpfet,
Aus der kalten Tiefe schlüpfet,
Und der Schwan zu Neste geht;
Wenn, wie eine Braut erröthend,
Luna freundlich kömmt, und flötend
Philomele sie begrüßt -- *)

Dies sind die Augenblicke der lieblichsten Bilder und der süßesten Empfindungen:
eine frohe Erholung der erschöpften Kräfte, ein gelassenes Nachsinnen, eine sanfte
Milde, die sich über alle unsere Gedanken, alle unsere Empfindungen verbreitet, ein
Gefühl von der Veränderung und Verschwindung der Scenen der Welt, das nicht
schmerzhaft, nicht niederschlagend ist, sondern das empfindsame Herz lehrreich unter-
hält. In diesen Augenblicken fühlen wir uns so geneigt zum Genusse jeder Art von
gemilderter Empfindung, zu Ergießungen vertraulicher Zärtlichkeit, zu ruhigen Un-
terredungen über den Werth des Lebens, über seine Bestimmung und seine Hoffnun-
gen. **) Alle Veränderungen, die jetzt in der Natur vorgehen, das allmälige Ent-
weichen der Sonne, die Verlängerung der Schatten, die Verdüsterung ganzer Flä-
chen, indessen nach und nach der noch an den Höhen schwebende falbe Schein ver-
lischt, die verstummende Geschäftigkeit des Tages, die beginnende Ruhe aller Ge-
schöpfe, das Aufglühen des Mondes und die feyerliche Majestät des sich hie und da
sternenden Himmels, vereinigen sich, diese Stimmung der Seele zu unterhalten.
Wie beseligend ist nicht dieser Selbstgenuß in der Feyer des Abends, wenn lieb-
liche Gefühle und süße Phantasien mit ernsten Betrachtungen wechseln, bald in der
Unterredung mit einem weisen Freund, bald in der stummen Unterhaltung der Ein-
samkeit! Wie manche sanfte Seele findet nicht ihre Empfindung in dieser Stelle
wieder!

Wenns
*) Fr. Leop. Graf zu Stolberg.
**) Das Landleben 4te Aufl. 1776 vorletzte Betrachtung.
Fuͤnfter Abſchnitt. Gaͤrten oder Scenen
[Spaltenumbruch]
Wenn im Schalle heller Glocken
Heimwaͤrts ſich die Schafe locken,
Und im Gehn das Laͤmmchen ſaugt;
Wenn die Erlen duftend ſaͤuſeln,
Wenn die Muͤcken Teiche kraͤuſeln,
Wenn der Froſch ſich quaͤkend blaͤht,
Wenn im Nachtigallenthale
Heſper mit verliebtem Strale
Heimlich meine Quelle kuͤßt;
[Spaltenumbruch]
Wenn das Geißblatt ſuͤße Duͤfte
In dem Wehen leiſer Luͤfte
Labend mir entgegen haucht;
Wenn der Fiſch im Waſſer huͤpfet,
Aus der kalten Tiefe ſchluͤpfet,
Und der Schwan zu Neſte geht;
Wenn, wie eine Braut erroͤthend,
Luna freundlich koͤmmt, und floͤtend
Philomele ſie begruͤßt — *)

Dies ſind die Augenblicke der lieblichſten Bilder und der ſuͤßeſten Empfindungen:
eine frohe Erholung der erſchoͤpften Kraͤfte, ein gelaſſenes Nachſinnen, eine ſanfte
Milde, die ſich uͤber alle unſere Gedanken, alle unſere Empfindungen verbreitet, ein
Gefuͤhl von der Veraͤnderung und Verſchwindung der Scenen der Welt, das nicht
ſchmerzhaft, nicht niederſchlagend iſt, ſondern das empfindſame Herz lehrreich unter-
haͤlt. In dieſen Augenblicken fuͤhlen wir uns ſo geneigt zum Genuſſe jeder Art von
gemilderter Empfindung, zu Ergießungen vertraulicher Zaͤrtlichkeit, zu ruhigen Un-
terredungen uͤber den Werth des Lebens, uͤber ſeine Beſtimmung und ſeine Hoffnun-
gen. **) Alle Veraͤnderungen, die jetzt in der Natur vorgehen, das allmaͤlige Ent-
weichen der Sonne, die Verlaͤngerung der Schatten, die Verduͤſterung ganzer Flaͤ-
chen, indeſſen nach und nach der noch an den Hoͤhen ſchwebende falbe Schein ver-
liſcht, die verſtummende Geſchaͤftigkeit des Tages, die beginnende Ruhe aller Ge-
ſchoͤpfe, das Aufgluͤhen des Mondes und die feyerliche Majeſtaͤt des ſich hie und da
ſternenden Himmels, vereinigen ſich, dieſe Stimmung der Seele zu unterhalten.
Wie beſeligend iſt nicht dieſer Selbſtgenuß in der Feyer des Abends, wenn lieb-
liche Gefuͤhle und ſuͤße Phantaſien mit ernſten Betrachtungen wechſeln, bald in der
Unterredung mit einem weiſen Freund, bald in der ſtummen Unterhaltung der Ein-
ſamkeit! Wie manche ſanfte Seele findet nicht ihre Empfindung in dieſer Stelle
wieder!

Wenns
*) Fr. Leop. Graf zu Stolberg.
**) Das Landleben 4te Aufl. 1776 vorletzte Betrachtung.
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[16/0024] Fuͤnfter Abſchnitt. Gaͤrten oder Scenen Wenn im Schalle heller Glocken Heimwaͤrts ſich die Schafe locken, Und im Gehn das Laͤmmchen ſaugt; Wenn die Erlen duftend ſaͤuſeln, Wenn die Muͤcken Teiche kraͤuſeln, Wenn der Froſch ſich quaͤkend blaͤht, Wenn im Nachtigallenthale Heſper mit verliebtem Strale Heimlich meine Quelle kuͤßt; Wenn das Geißblatt ſuͤße Duͤfte In dem Wehen leiſer Luͤfte Labend mir entgegen haucht; Wenn der Fiſch im Waſſer huͤpfet, Aus der kalten Tiefe ſchluͤpfet, Und der Schwan zu Neſte geht; Wenn, wie eine Braut erroͤthend, Luna freundlich koͤmmt, und floͤtend Philomele ſie begruͤßt — *) Dies ſind die Augenblicke der lieblichſten Bilder und der ſuͤßeſten Empfindungen: eine frohe Erholung der erſchoͤpften Kraͤfte, ein gelaſſenes Nachſinnen, eine ſanfte Milde, die ſich uͤber alle unſere Gedanken, alle unſere Empfindungen verbreitet, ein Gefuͤhl von der Veraͤnderung und Verſchwindung der Scenen der Welt, das nicht ſchmerzhaft, nicht niederſchlagend iſt, ſondern das empfindſame Herz lehrreich unter- haͤlt. In dieſen Augenblicken fuͤhlen wir uns ſo geneigt zum Genuſſe jeder Art von gemilderter Empfindung, zu Ergießungen vertraulicher Zaͤrtlichkeit, zu ruhigen Un- terredungen uͤber den Werth des Lebens, uͤber ſeine Beſtimmung und ſeine Hoffnun- gen. **) Alle Veraͤnderungen, die jetzt in der Natur vorgehen, das allmaͤlige Ent- weichen der Sonne, die Verlaͤngerung der Schatten, die Verduͤſterung ganzer Flaͤ- chen, indeſſen nach und nach der noch an den Hoͤhen ſchwebende falbe Schein ver- liſcht, die verſtummende Geſchaͤftigkeit des Tages, die beginnende Ruhe aller Ge- ſchoͤpfe, das Aufgluͤhen des Mondes und die feyerliche Majeſtaͤt des ſich hie und da ſternenden Himmels, vereinigen ſich, dieſe Stimmung der Seele zu unterhalten. Wie beſeligend iſt nicht dieſer Selbſtgenuß in der Feyer des Abends, wenn lieb- liche Gefuͤhle und ſuͤße Phantaſien mit ernſten Betrachtungen wechſeln, bald in der Unterredung mit einem weiſen Freund, bald in der ſtummen Unterhaltung der Ein- ſamkeit! Wie manche ſanfte Seele findet nicht ihre Empfindung in dieſer Stelle wieder! Wenns *) Fr. Leop. Graf zu Stolberg. **) Das Landleben 4te Aufl. 1776 vorletzte Betrachtung.

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/24>, abgerufen am 29.03.2024.