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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785.

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nach den Tageszeiten.
III.
Abendgarten oder Abendscene.

Wie reich der Sommerabend an sanften Schönheiten und malerischen Zufälligkei-
ten ist, das sagt uns so oft bey unverfälschter Empfindung der entzückte An-
blick, das sagen uns tausend rührende Nachbildungen der Dichter und der Landschaft-
maler. "Wenn die Kühle des Abends, bemerkt ein feiner Beobachter, *) jene lieb-
liche und anmuthige Farbe verbreitet, welche die Stunden der Ruhe und des Ver-
gnügens ankündigt, dann herrscht in der ganzen Natur eine erhabene Harmonie der
Farben. In folchen Augenblicken hat Claude Lorrain die rührenden Kolorite sei-
ner ruhigen Gemälde gewählt, wo die Seele mit den Augen zugleich gefesselt wird;
um diese Zeit weiden sich unsere Blicke gern an einer großen Landschaft. Die Mas-
sen von Bäumen, wo das Licht durchschimmert, unter welchen das Auge einen ange-
nehmen Spazierweg erblickt; große Flächen von Wiesen, deren Grün von den durch-
fichtigen Schatten des Abends noch verschönert wird; das reine Krystall eines ruhigen
Gewässers, worinn sich die benachbarten Gegenstände bespiegeln; leichte Gründe
von lieblicher Gestalt und dunstiger Farbe: dies sind überhaupt die Gegenstände, die
sich am besten für die Abendseite schicken. Es scheint in diesen Augenblicken, als
wenn die Sonne, bereit den Horizont zu verlassen, vor ihrem Abschiede erst gern die
Erde mit dem Himmel vermähle; auch gehört der größte Theil von Abendgemälden
für den Himmel. Denn da betrachtet der fühlende Mensch so gern diese unendliche
Mannichfaltigkeit von reizenden und rührenden Nüancen, womit sich der Himmel
und die Fernen der Landschaft verschönern; es sind die kostbaren Augenblicke der Ruhe
und der Erholung."

In der That ist es eine gewisse ruhige Milde und Lieblichkeit, eine unbeschreib-
liche Sanftheit, welche sich des Abends über alle Scenen der Natur ergießt, und
den Charakter dieser Tageszeit ausmacht. Alle Abendbilder der Dichter und der Land-
schaftmaler, welche die Natur empfanden, sind in diesem Charakter.

[Spaltenumbruch]
Wenn des Abends Rosenflügel
Kühlend über Thal und Hügel,
Ueber Wald und Wiese schwebt;
[Spaltenumbruch]
Wenn der Thau die Bäume tränket,
Sich in bunte Blumen senket,
Und an jungen Aehren bebt;
Wenn
*) Der Marquis von Girardin in der Composition des Paysages.
nach den Tageszeiten.
III.
Abendgarten oder Abendſcene.

Wie reich der Sommerabend an ſanften Schoͤnheiten und maleriſchen Zufaͤlligkei-
ten iſt, das ſagt uns ſo oft bey unverfaͤlſchter Empfindung der entzuͤckte An-
blick, das ſagen uns tauſend ruͤhrende Nachbildungen der Dichter und der Landſchaft-
maler. „Wenn die Kuͤhle des Abends, bemerkt ein feiner Beobachter, *) jene lieb-
liche und anmuthige Farbe verbreitet, welche die Stunden der Ruhe und des Ver-
gnuͤgens ankuͤndigt, dann herrſcht in der ganzen Natur eine erhabene Harmonie der
Farben. In folchen Augenblicken hat Claude Lorrain die ruͤhrenden Kolorite ſei-
ner ruhigen Gemaͤlde gewaͤhlt, wo die Seele mit den Augen zugleich gefeſſelt wird;
um dieſe Zeit weiden ſich unſere Blicke gern an einer großen Landſchaft. Die Maſ-
ſen von Baͤumen, wo das Licht durchſchimmert, unter welchen das Auge einen ange-
nehmen Spazierweg erblickt; große Flaͤchen von Wieſen, deren Gruͤn von den durch-
fichtigen Schatten des Abends noch verſchoͤnert wird; das reine Kryſtall eines ruhigen
Gewaͤſſers, worinn ſich die benachbarten Gegenſtaͤnde beſpiegeln; leichte Gruͤnde
von lieblicher Geſtalt und dunſtiger Farbe: dies ſind uͤberhaupt die Gegenſtaͤnde, die
ſich am beſten fuͤr die Abendſeite ſchicken. Es ſcheint in dieſen Augenblicken, als
wenn die Sonne, bereit den Horizont zu verlaſſen, vor ihrem Abſchiede erſt gern die
Erde mit dem Himmel vermaͤhle; auch gehoͤrt der groͤßte Theil von Abendgemaͤlden
fuͤr den Himmel. Denn da betrachtet der fuͤhlende Menſch ſo gern dieſe unendliche
Mannichfaltigkeit von reizenden und ruͤhrenden Nuͤancen, womit ſich der Himmel
und die Fernen der Landſchaft verſchoͤnern; es ſind die koſtbaren Augenblicke der Ruhe
und der Erholung.“

In der That iſt es eine gewiſſe ruhige Milde und Lieblichkeit, eine unbeſchreib-
liche Sanftheit, welche ſich des Abends uͤber alle Scenen der Natur ergießt, und
den Charakter dieſer Tageszeit ausmacht. Alle Abendbilder der Dichter und der Land-
ſchaftmaler, welche die Natur empfanden, ſind in dieſem Charakter.

[Spaltenumbruch]
Wenn des Abends Roſenfluͤgel
Kuͤhlend uͤber Thal und Huͤgel,
Ueber Wald und Wieſe ſchwebt;
[Spaltenumbruch]
Wenn der Thau die Baͤume traͤnket,
Sich in bunte Blumen ſenket,
Und an jungen Aehren bebt;
Wenn
*) Der Marquis von Girardin in der Compoſition des Payſages.
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[15/0023] nach den Tageszeiten. III. Abendgarten oder Abendſcene. Wie reich der Sommerabend an ſanften Schoͤnheiten und maleriſchen Zufaͤlligkei- ten iſt, das ſagt uns ſo oft bey unverfaͤlſchter Empfindung der entzuͤckte An- blick, das ſagen uns tauſend ruͤhrende Nachbildungen der Dichter und der Landſchaft- maler. „Wenn die Kuͤhle des Abends, bemerkt ein feiner Beobachter, *) jene lieb- liche und anmuthige Farbe verbreitet, welche die Stunden der Ruhe und des Ver- gnuͤgens ankuͤndigt, dann herrſcht in der ganzen Natur eine erhabene Harmonie der Farben. In folchen Augenblicken hat Claude Lorrain die ruͤhrenden Kolorite ſei- ner ruhigen Gemaͤlde gewaͤhlt, wo die Seele mit den Augen zugleich gefeſſelt wird; um dieſe Zeit weiden ſich unſere Blicke gern an einer großen Landſchaft. Die Maſ- ſen von Baͤumen, wo das Licht durchſchimmert, unter welchen das Auge einen ange- nehmen Spazierweg erblickt; große Flaͤchen von Wieſen, deren Gruͤn von den durch- fichtigen Schatten des Abends noch verſchoͤnert wird; das reine Kryſtall eines ruhigen Gewaͤſſers, worinn ſich die benachbarten Gegenſtaͤnde beſpiegeln; leichte Gruͤnde von lieblicher Geſtalt und dunſtiger Farbe: dies ſind uͤberhaupt die Gegenſtaͤnde, die ſich am beſten fuͤr die Abendſeite ſchicken. Es ſcheint in dieſen Augenblicken, als wenn die Sonne, bereit den Horizont zu verlaſſen, vor ihrem Abſchiede erſt gern die Erde mit dem Himmel vermaͤhle; auch gehoͤrt der groͤßte Theil von Abendgemaͤlden fuͤr den Himmel. Denn da betrachtet der fuͤhlende Menſch ſo gern dieſe unendliche Mannichfaltigkeit von reizenden und ruͤhrenden Nuͤancen, womit ſich der Himmel und die Fernen der Landſchaft verſchoͤnern; es ſind die koſtbaren Augenblicke der Ruhe und der Erholung.“ In der That iſt es eine gewiſſe ruhige Milde und Lieblichkeit, eine unbeſchreib- liche Sanftheit, welche ſich des Abends uͤber alle Scenen der Natur ergießt, und den Charakter dieſer Tageszeit ausmacht. Alle Abendbilder der Dichter und der Land- ſchaftmaler, welche die Natur empfanden, ſind in dieſem Charakter. Wenn des Abends Roſenfluͤgel Kuͤhlend uͤber Thal und Huͤgel, Ueber Wald und Wieſe ſchwebt; Wenn der Thau die Baͤume traͤnket, Sich in bunte Blumen ſenket, Und an jungen Aehren bebt; Wenn *) Der Marquis von Girardin in der Compoſition des Payſages.

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/23>, abgerufen am 29.03.2024.