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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780.

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Erster Abschnitt. Von Lustschlössern
2.

Wie den Kirchen Vorstellungen der Andacht, und den Palästen der Könige Ab-
bildungen großer Thaten des Muths und der Menschenliebe besonders eigenthümlich
zukommen: so können auch Landschaftgemälde, ohne eben Bildnisse, gesellschaftliche,
historische und allegorische Stücke auszuschließen, in den Landhäusern den ersten Platz
verlangen. Die reiche und mannigfaltige Natur, auch wenn wir sie täglich vor Au-
gen haben, sättigt nicht so sehr, daß sie uns nicht in einer glücklichen Nachahmung
wieder gefallen sollte. Die schöpferische Kunst des Landschaftmalers weiß der Phan-
tasie tausend neue Bilder vorzuzaubern, die sie gerne auffängt, weil sie sich gerne aus
ihnen ein frohes Schauspiel erneuert. In Zimmern, mit schönen Landschaftgemäl-
den bereichert, athmet alles um uns her die liebliche Luft des Landes. Kein Wider-
spruch der Eindrücke von außen, keine Befürchtung des Mißfälligen, wenn wir aus
dem Freyen hereintreten; sondern eine Harmonie der Wohnung mit der Landschaft,
die sich dabey durch die Abwechselung bey ihrem Vorrecht, uns immer zu ergötzen,
erhält. Wir freuen uns wieder des anbrechenden Morgens mit Lukas von Uden,
der Abendsonne mit Both oder Gille'e. Mit Pölemburgs Nymphen durchirren
wir Hügel und Wälder, oder schleichen der Diana unter die kühlenden Schatten zum
Bade nach. Bald wohnen wir beym Tenier einem fröhlichen Dorffeste bey, oder
wir sehen den Aerndten, Weinlesen, Wasserfahrten und Jagden des Paul Brill zu.
Bald führt uns Sachleven auf Berge, die mit den schönsten Thälern abwechseln;
bald ergötzen uns die im Gebirge weidenden Heerden des Berchem. Dann reißt uns
Ruisdael von den lieblichen Scenen der Natur weg zum Anblick schäumender
Wasserfälle hin, aber Wilhelm van der Velde beruhigt uns wieder durch stilles
Gewässer, worinn sich das sanfte Blau der Wolken und das begrasete Ufer spiegeln.
Die Unschuld, die Zufriedenheit, die Spiele, die Sitten der arkadischen Welt er-
scheinen uns in diesen Gemälden wieder, und, vereinigt mit den Reizen der Natur,
laden sie uns zum Mitgenuß der süßesten Empfindungen ein. Es ist fast unmöglich,
sich der sanften Rührung zu entziehen, wenn man die glückliche Unschuld in ihrer
Freude erblickt; und selbst dem zerstreuten Städter, der zum kurzen Besuch herbey-
fliegt, entschleicht bey Dieterichs Hirtenscenen vielleicht der Seufzer:

O! Einsamkeit, dürft' ich mich dir ergeben!
Hier herrschest du im stillen Hayn;
Warum muß ich im Lärm der Städte leben?
Hier könnt' ich froh, wie dieser Hirte, seyn!
Zachariä.

Gemälde
Erſter Abſchnitt. Von Luſtſchloͤſſern
2.

Wie den Kirchen Vorſtellungen der Andacht, und den Palaͤſten der Koͤnige Ab-
bildungen großer Thaten des Muths und der Menſchenliebe beſonders eigenthuͤmlich
zukommen: ſo koͤnnen auch Landſchaftgemaͤlde, ohne eben Bildniſſe, geſellſchaftliche,
hiſtoriſche und allegoriſche Stuͤcke auszuſchließen, in den Landhaͤuſern den erſten Platz
verlangen. Die reiche und mannigfaltige Natur, auch wenn wir ſie taͤglich vor Au-
gen haben, ſaͤttigt nicht ſo ſehr, daß ſie uns nicht in einer gluͤcklichen Nachahmung
wieder gefallen ſollte. Die ſchoͤpferiſche Kunſt des Landſchaftmalers weiß der Phan-
taſie tauſend neue Bilder vorzuzaubern, die ſie gerne auffaͤngt, weil ſie ſich gerne aus
ihnen ein frohes Schauſpiel erneuert. In Zimmern, mit ſchoͤnen Landſchaftgemaͤl-
den bereichert, athmet alles um uns her die liebliche Luft des Landes. Kein Wider-
ſpruch der Eindruͤcke von außen, keine Befuͤrchtung des Mißfaͤlligen, wenn wir aus
dem Freyen hereintreten; ſondern eine Harmonie der Wohnung mit der Landſchaft,
die ſich dabey durch die Abwechſelung bey ihrem Vorrecht, uns immer zu ergoͤtzen,
erhaͤlt. Wir freuen uns wieder des anbrechenden Morgens mit Lukas von Uden,
der Abendſonne mit Both oder Gille’e. Mit Poͤlemburgs Nymphen durchirren
wir Huͤgel und Waͤlder, oder ſchleichen der Diana unter die kuͤhlenden Schatten zum
Bade nach. Bald wohnen wir beym Tenier einem froͤhlichen Dorffeſte bey, oder
wir ſehen den Aerndten, Weinleſen, Waſſerfahrten und Jagden des Paul Brill zu.
Bald fuͤhrt uns Sachleven auf Berge, die mit den ſchoͤnſten Thaͤlern abwechſeln;
bald ergoͤtzen uns die im Gebirge weidenden Heerden des Berchem. Dann reißt uns
Ruisdael von den lieblichen Scenen der Natur weg zum Anblick ſchaͤumender
Waſſerfaͤlle hin, aber Wilhelm van der Velde beruhigt uns wieder durch ſtilles
Gewaͤſſer, worinn ſich das ſanfte Blau der Wolken und das begraſete Ufer ſpiegeln.
Die Unſchuld, die Zufriedenheit, die Spiele, die Sitten der arkadiſchen Welt er-
ſcheinen uns in dieſen Gemaͤlden wieder, und, vereinigt mit den Reizen der Natur,
laden ſie uns zum Mitgenuß der ſuͤßeſten Empfindungen ein. Es iſt faſt unmoͤglich,
ſich der ſanften Ruͤhrung zu entziehen, wenn man die gluͤckliche Unſchuld in ihrer
Freude erblickt; und ſelbſt dem zerſtreuten Staͤdter, der zum kurzen Beſuch herbey-
fliegt, entſchleicht bey Dieterichs Hirtenſcenen vielleicht der Seufzer:

O! Einſamkeit, duͤrft’ ich mich dir ergeben!
Hier herrſcheſt du im ſtillen Hayn;
Warum muß ich im Laͤrm der Staͤdte leben?
Hier koͤnnt’ ich froh, wie dieſer Hirte, ſeyn!
Zachariaͤ.

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[28/0032] Erſter Abſchnitt. Von Luſtſchloͤſſern 2. Wie den Kirchen Vorſtellungen der Andacht, und den Palaͤſten der Koͤnige Ab- bildungen großer Thaten des Muths und der Menſchenliebe beſonders eigenthuͤmlich zukommen: ſo koͤnnen auch Landſchaftgemaͤlde, ohne eben Bildniſſe, geſellſchaftliche, hiſtoriſche und allegoriſche Stuͤcke auszuſchließen, in den Landhaͤuſern den erſten Platz verlangen. Die reiche und mannigfaltige Natur, auch wenn wir ſie taͤglich vor Au- gen haben, ſaͤttigt nicht ſo ſehr, daß ſie uns nicht in einer gluͤcklichen Nachahmung wieder gefallen ſollte. Die ſchoͤpferiſche Kunſt des Landſchaftmalers weiß der Phan- taſie tauſend neue Bilder vorzuzaubern, die ſie gerne auffaͤngt, weil ſie ſich gerne aus ihnen ein frohes Schauſpiel erneuert. In Zimmern, mit ſchoͤnen Landſchaftgemaͤl- den bereichert, athmet alles um uns her die liebliche Luft des Landes. Kein Wider- ſpruch der Eindruͤcke von außen, keine Befuͤrchtung des Mißfaͤlligen, wenn wir aus dem Freyen hereintreten; ſondern eine Harmonie der Wohnung mit der Landſchaft, die ſich dabey durch die Abwechſelung bey ihrem Vorrecht, uns immer zu ergoͤtzen, erhaͤlt. Wir freuen uns wieder des anbrechenden Morgens mit Lukas von Uden, der Abendſonne mit Both oder Gille’e. Mit Poͤlemburgs Nymphen durchirren wir Huͤgel und Waͤlder, oder ſchleichen der Diana unter die kuͤhlenden Schatten zum Bade nach. Bald wohnen wir beym Tenier einem froͤhlichen Dorffeſte bey, oder wir ſehen den Aerndten, Weinleſen, Waſſerfahrten und Jagden des Paul Brill zu. Bald fuͤhrt uns Sachleven auf Berge, die mit den ſchoͤnſten Thaͤlern abwechſeln; bald ergoͤtzen uns die im Gebirge weidenden Heerden des Berchem. Dann reißt uns Ruisdael von den lieblichen Scenen der Natur weg zum Anblick ſchaͤumender Waſſerfaͤlle hin, aber Wilhelm van der Velde beruhigt uns wieder durch ſtilles Gewaͤſſer, worinn ſich das ſanfte Blau der Wolken und das begraſete Ufer ſpiegeln. Die Unſchuld, die Zufriedenheit, die Spiele, die Sitten der arkadiſchen Welt er- ſcheinen uns in dieſen Gemaͤlden wieder, und, vereinigt mit den Reizen der Natur, laden ſie uns zum Mitgenuß der ſuͤßeſten Empfindungen ein. Es iſt faſt unmoͤglich, ſich der ſanften Ruͤhrung zu entziehen, wenn man die gluͤckliche Unſchuld in ihrer Freude erblickt; und ſelbſt dem zerſtreuten Staͤdter, der zum kurzen Beſuch herbey- fliegt, entſchleicht bey Dieterichs Hirtenſcenen vielleicht der Seufzer: O! Einſamkeit, duͤrft’ ich mich dir ergeben! Hier herrſcheſt du im ſtillen Hayn; Warum muß ich im Laͤrm der Staͤdte leben? Hier koͤnnt’ ich froh, wie dieſer Hirte, ſeyn! Zachariaͤ. Gemaͤlde

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst3_1780/32>, abgerufen am 28.03.2024.