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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780.

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Zweyter Abschnitt.
die Freyheit und angenehme Nachlässigkeit haben, wodurch die Natur so sehr gefällt;
er muß mannichfaltig ohne Verwirrung, groß ohne Verschwendung, edel ohne Ver-
letzung der Simplicität seyn.

Ein Wald, der eine Anhöhe hinaufsteigt, und oben den blauen Horizont zur
Gränze hat, fällt in dieser Lage größer ins Auge. Allein er verliert viel von seiner
Wirkung, wenn die nackte Spitze des Berges über ihn emporragt; er muß sie ganz
einnehmen. Er kann ihr selbst eine edle Erhöhung mittheilen, wenn sie gerade
mit solchen Bäumen, die am meisten aufschießen, bepflanzt wird.

Noch mehr hebt sich die Pracht des Waldes, wenn sich zu seinen Füßen ein
heller See verbreitet. Und diese Scene wird ungemein durch das aufsteigende Mor-
genlicht und die sinkende Abendröthe verschönert, indem die Dunkelheit des Waldes
zwischen dem gerötheten Himmel und dem Wasser, auf dessen Fluth sich der gebroche-
ne Abglanz streut, einen herrlichen Contrast bildet, den die milden Widerscheine mit
einem neuen Reiz umgeben.

Auch zeichnet sich bey einem aufsteigenden Walde die Schönheit seiner Oberflä-
che besser aus. Diese kann nicht ohne Mannichfaltigkeit gedacht werden; die Un-
gleichheiten des Bodens, und die Verschiedenheiten des Wuchses und der Belaubung
der Bäume, erzeugen sie in der Natur. Eine Sammlung von Bäumen, die alle oben
auf ihren Häuptern eine glatte Fläche vorstellen, giebt einen unnatürlichen und unan-
genehmen Anblick; daher nichts mehr Ekel erweckt, als die Uebersicht von einer An-
höhe über einen altfranzösischen Garten mit lauter geschornen Hecken. Indem hie und
da Bäume über die andern emporragen, so wird dadurch für das Auge eine anmuthi-
ge Schattirung hervorgebracht, wozu selbst die Abwechselungen des Grüns nicht we-
nig beytragen. Die Schönheit einer wellenförmigen Oberfläche eines Waldes wird
am glücklichsten durch Bäume von starken Zweigen und einer reichen Belaubung, wie
unsere Eichen und Buchen sind, erreicht, indem Bäume, die dünnes Laub und Aeste
oder spitzige Gipfel haben, sich weniger dazu schicken. Sie wird nirgends mehr, als
in einer gewissen Entfernung, besonders von einer kleinen gegenüberliegenden Anhöhe,
empfunden.

Weil der Wald ein Ganzes ausmachen muß, so müssen alle seine Theile, die
verschiedenen Klumpen, die ihn bilden, zusammenhängen, und ihre Verbindung auch
in der Ansicht deutlich wahrgenommen werden; denn ohne diesen Zusammenhang wür-
de er nicht mehr ein Wald, sondern ein unordentlicher Haufe von Gruppen und Pflan-
zungen seyn. Auch muß er in der Aussicht sich als ein einfacher Gegenstand auszeich-
nen; er muß also abgesondert von den übrigen Theilen der Landschaft vor dem Auge
daliegen.

Wo

Zweyter Abſchnitt.
die Freyheit und angenehme Nachlaͤſſigkeit haben, wodurch die Natur ſo ſehr gefaͤllt;
er muß mannichfaltig ohne Verwirrung, groß ohne Verſchwendung, edel ohne Ver-
letzung der Simplicitaͤt ſeyn.

Ein Wald, der eine Anhoͤhe hinaufſteigt, und oben den blauen Horizont zur
Graͤnze hat, faͤllt in dieſer Lage groͤßer ins Auge. Allein er verliert viel von ſeiner
Wirkung, wenn die nackte Spitze des Berges uͤber ihn emporragt; er muß ſie ganz
einnehmen. Er kann ihr ſelbſt eine edle Erhoͤhung mittheilen, wenn ſie gerade
mit ſolchen Baͤumen, die am meiſten aufſchießen, bepflanzt wird.

Noch mehr hebt ſich die Pracht des Waldes, wenn ſich zu ſeinen Fuͤßen ein
heller See verbreitet. Und dieſe Scene wird ungemein durch das aufſteigende Mor-
genlicht und die ſinkende Abendroͤthe verſchoͤnert, indem die Dunkelheit des Waldes
zwiſchen dem geroͤtheten Himmel und dem Waſſer, auf deſſen Fluth ſich der gebroche-
ne Abglanz ſtreut, einen herrlichen Contraſt bildet, den die milden Widerſcheine mit
einem neuen Reiz umgeben.

Auch zeichnet ſich bey einem aufſteigenden Walde die Schoͤnheit ſeiner Oberflaͤ-
che beſſer aus. Dieſe kann nicht ohne Mannichfaltigkeit gedacht werden; die Un-
gleichheiten des Bodens, und die Verſchiedenheiten des Wuchſes und der Belaubung
der Baͤume, erzeugen ſie in der Natur. Eine Sammlung von Baͤumen, die alle oben
auf ihren Haͤuptern eine glatte Flaͤche vorſtellen, giebt einen unnatuͤrlichen und unan-
genehmen Anblick; daher nichts mehr Ekel erweckt, als die Ueberſicht von einer An-
hoͤhe uͤber einen altfranzoͤſiſchen Garten mit lauter geſchornen Hecken. Indem hie und
da Baͤume uͤber die andern emporragen, ſo wird dadurch fuͤr das Auge eine anmuthi-
ge Schattirung hervorgebracht, wozu ſelbſt die Abwechſelungen des Gruͤns nicht we-
nig beytragen. Die Schoͤnheit einer wellenfoͤrmigen Oberflaͤche eines Waldes wird
am gluͤcklichſten durch Baͤume von ſtarken Zweigen und einer reichen Belaubung, wie
unſere Eichen und Buchen ſind, erreicht, indem Baͤume, die duͤnnes Laub und Aeſte
oder ſpitzige Gipfel haben, ſich weniger dazu ſchicken. Sie wird nirgends mehr, als
in einer gewiſſen Entfernung, beſonders von einer kleinen gegenuͤberliegenden Anhoͤhe,
empfunden.

Weil der Wald ein Ganzes ausmachen muß, ſo muͤſſen alle ſeine Theile, die
verſchiedenen Klumpen, die ihn bilden, zuſammenhaͤngen, und ihre Verbindung auch
in der Anſicht deutlich wahrgenommen werden; denn ohne dieſen Zuſammenhang wuͤr-
de er nicht mehr ein Wald, ſondern ein unordentlicher Haufe von Gruppen und Pflan-
zungen ſeyn. Auch muß er in der Ausſicht ſich als ein einfacher Gegenſtand auszeich-
nen; er muß alſo abgeſondert von den uͤbrigen Theilen der Landſchaft vor dem Auge
daliegen.

Wo
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[42/0046] Zweyter Abſchnitt. die Freyheit und angenehme Nachlaͤſſigkeit haben, wodurch die Natur ſo ſehr gefaͤllt; er muß mannichfaltig ohne Verwirrung, groß ohne Verſchwendung, edel ohne Ver- letzung der Simplicitaͤt ſeyn. Ein Wald, der eine Anhoͤhe hinaufſteigt, und oben den blauen Horizont zur Graͤnze hat, faͤllt in dieſer Lage groͤßer ins Auge. Allein er verliert viel von ſeiner Wirkung, wenn die nackte Spitze des Berges uͤber ihn emporragt; er muß ſie ganz einnehmen. Er kann ihr ſelbſt eine edle Erhoͤhung mittheilen, wenn ſie gerade mit ſolchen Baͤumen, die am meiſten aufſchießen, bepflanzt wird. Noch mehr hebt ſich die Pracht des Waldes, wenn ſich zu ſeinen Fuͤßen ein heller See verbreitet. Und dieſe Scene wird ungemein durch das aufſteigende Mor- genlicht und die ſinkende Abendroͤthe verſchoͤnert, indem die Dunkelheit des Waldes zwiſchen dem geroͤtheten Himmel und dem Waſſer, auf deſſen Fluth ſich der gebroche- ne Abglanz ſtreut, einen herrlichen Contraſt bildet, den die milden Widerſcheine mit einem neuen Reiz umgeben. Auch zeichnet ſich bey einem aufſteigenden Walde die Schoͤnheit ſeiner Oberflaͤ- che beſſer aus. Dieſe kann nicht ohne Mannichfaltigkeit gedacht werden; die Un- gleichheiten des Bodens, und die Verſchiedenheiten des Wuchſes und der Belaubung der Baͤume, erzeugen ſie in der Natur. Eine Sammlung von Baͤumen, die alle oben auf ihren Haͤuptern eine glatte Flaͤche vorſtellen, giebt einen unnatuͤrlichen und unan- genehmen Anblick; daher nichts mehr Ekel erweckt, als die Ueberſicht von einer An- hoͤhe uͤber einen altfranzoͤſiſchen Garten mit lauter geſchornen Hecken. Indem hie und da Baͤume uͤber die andern emporragen, ſo wird dadurch fuͤr das Auge eine anmuthi- ge Schattirung hervorgebracht, wozu ſelbſt die Abwechſelungen des Gruͤns nicht we- nig beytragen. Die Schoͤnheit einer wellenfoͤrmigen Oberflaͤche eines Waldes wird am gluͤcklichſten durch Baͤume von ſtarken Zweigen und einer reichen Belaubung, wie unſere Eichen und Buchen ſind, erreicht, indem Baͤume, die duͤnnes Laub und Aeſte oder ſpitzige Gipfel haben, ſich weniger dazu ſchicken. Sie wird nirgends mehr, als in einer gewiſſen Entfernung, beſonders von einer kleinen gegenuͤberliegenden Anhoͤhe, empfunden. Weil der Wald ein Ganzes ausmachen muß, ſo muͤſſen alle ſeine Theile, die verſchiedenen Klumpen, die ihn bilden, zuſammenhaͤngen, und ihre Verbindung auch in der Anſicht deutlich wahrgenommen werden; denn ohne dieſen Zuſammenhang wuͤr- de er nicht mehr ein Wald, ſondern ein unordentlicher Haufe von Gruppen und Pflan- zungen ſeyn. Auch muß er in der Ausſicht ſich als ein einfacher Gegenſtand auszeich- nen; er muß alſo abgeſondert von den uͤbrigen Theilen der Landſchaft vor dem Auge daliegen. Wo

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780/46>, abgerufen am 19.04.2024.