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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

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der Alten und der Neuen.

Ein ansehnlicher mit Waldung bekleideter Berg, der sich in der ganzen vorlie-
genden Gegend auszeichnet, fesselt schon in der Ferne die Aufmerksamkeit; und dieser
Berg ist eigentlich der paradisische von vielen Fremden jährlich besuchte Lustplatz, von
dem ich hier einen Schattenriß mittheile.

Man besteigt den Berg aus einem nahe an dem Wohngebäude des Besitzers
von dem adelichen Gute Aschberg liegenden Garten, der noch in der alten Manier
angelegt ist, Symmetrie, kurze Hecken, viel sumpfigtes Wasser in Canälen nach
holländischem Geschmack, in der Mitte einen guten Salon und verschiedene kleine
Lusthäuser hat. Die beste Partie im Garten ist am Hause eine Seitenallee von vier
Gängen von hohen und schattenreichen Linden, unter welchen man die Aussicht nach
dem Berge und auf den See vor sich und zur Seite hat; an der andern Seite der
Gebäude liegt ein schönes Gehölz in Verbindung mit Wasser.

Man vergißt bald diesen kleinen Kunstgarten, um auf dem Berge die freyen
und höhern Ergötzungen der Natur zu genießen. Der Berg ist nicht steil, aber rund
und breit, und überall mit einer schattenvollen Waldung bedeckt; zwischen Buchen,
Eichen und Eschen sind Tannen, Kastanienbäume, Kirschbäume und andere Anpflan-
zungen verstreut; zuweilen läuft eine Art von wilden Bäumen ohne Vermischung
eine Strecke fort. Indem man die Erhöhung zu besteigen anfängt, tritt man gleich
in den Schatten hoher und schöner Bäume, die mit niedrigem Buschwerk untermischt
sind. Doch ist der Boden an einigen Stellen zu sehr verwildert, mit Nesseln und
anderm kriechenden Gesträuch bedeckt. Die Holztaube, der Kuckuk, die Nachtigall,
der Buchfinke, die Weindrossel und andere Arten von singenden und flötenden Vö-
geln empfiengen uns mit einem Concerte von mannigfaltigen Stimmen.

Der Hauptweg, der den Berg hinaufführt, ist eben, bequem und schlängelnd;
überhaupt sind die Gänge mit einem guten Geschmack angelegt; sie richten sich immer
nach der Beschaffenheit des Bodens, und laufen in abwechselnden edlen Krümmungen,
ohne Ziererey, fort. Die Aussicht nach dem See ist gleich verschlossen. Indem man
fortsteigt, steigt auch die Erwartung der Eröffnung eines Prospects, und diese Er-
wartung wird nicht befriedigt. Der Weg läuft in der Runde um den Berg in einer
allmähligen Erhöhung. Von den hohen und dichten Bäumen fallen Schatten herab,
die alles erfüllen; nur hie und da brechen einige schwache Blicke der Sonne durch.
Man sieht auf der linken Seite in die Tiefe herunter, wo zwey schattigte Gänge neben
einander laufen; weiter hin begegnen sich in der Tiefe mehr Wege. Die Bäume
werden etwas dünner, doch erblickt man blos einigen Schimmer von Wasser oder
Ufer. Noch immer hebt sich die Erwartung der Anhöhe und der Aussicht auf den

See.
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der Alten und der Neuen.

Ein anſehnlicher mit Waldung bekleideter Berg, der ſich in der ganzen vorlie-
genden Gegend auszeichnet, feſſelt ſchon in der Ferne die Aufmerkſamkeit; und dieſer
Berg iſt eigentlich der paradiſiſche von vielen Fremden jaͤhrlich beſuchte Luſtplatz, von
dem ich hier einen Schattenriß mittheile.

Man beſteigt den Berg aus einem nahe an dem Wohngebaͤude des Beſitzers
von dem adelichen Gute Aſchberg liegenden Garten, der noch in der alten Manier
angelegt iſt, Symmetrie, kurze Hecken, viel ſumpfigtes Waſſer in Canaͤlen nach
hollaͤndiſchem Geſchmack, in der Mitte einen guten Salon und verſchiedene kleine
Luſthaͤuſer hat. Die beſte Partie im Garten iſt am Hauſe eine Seitenallee von vier
Gaͤngen von hohen und ſchattenreichen Linden, unter welchen man die Ausſicht nach
dem Berge und auf den See vor ſich und zur Seite hat; an der andern Seite der
Gebaͤude liegt ein ſchoͤnes Gehoͤlz in Verbindung mit Waſſer.

Man vergißt bald dieſen kleinen Kunſtgarten, um auf dem Berge die freyen
und hoͤhern Ergoͤtzungen der Natur zu genießen. Der Berg iſt nicht ſteil, aber rund
und breit, und uͤberall mit einer ſchattenvollen Waldung bedeckt; zwiſchen Buchen,
Eichen und Eſchen ſind Tannen, Kaſtanienbaͤume, Kirſchbaͤume und andere Anpflan-
zungen verſtreut; zuweilen laͤuft eine Art von wilden Baͤumen ohne Vermiſchung
eine Strecke fort. Indem man die Erhoͤhung zu beſteigen anfaͤngt, tritt man gleich
in den Schatten hoher und ſchoͤner Baͤume, die mit niedrigem Buſchwerk untermiſcht
ſind. Doch iſt der Boden an einigen Stellen zu ſehr verwildert, mit Neſſeln und
anderm kriechenden Geſtraͤuch bedeckt. Die Holztaube, der Kuckuk, die Nachtigall,
der Buchfinke, die Weindroſſel und andere Arten von ſingenden und floͤtenden Voͤ-
geln empfiengen uns mit einem Concerte von mannigfaltigen Stimmen.

Der Hauptweg, der den Berg hinauffuͤhrt, iſt eben, bequem und ſchlaͤngelnd;
uͤberhaupt ſind die Gaͤnge mit einem guten Geſchmack angelegt; ſie richten ſich immer
nach der Beſchaffenheit des Bodens, und laufen in abwechſelnden edlen Kruͤmmungen,
ohne Ziererey, fort. Die Ausſicht nach dem See iſt gleich verſchloſſen. Indem man
fortſteigt, ſteigt auch die Erwartung der Eroͤffnung eines Proſpects, und dieſe Er-
wartung wird nicht befriedigt. Der Weg laͤuft in der Runde um den Berg in einer
allmaͤhligen Erhoͤhung. Von den hohen und dichten Baͤumen fallen Schatten herab,
die alles erfuͤllen; nur hie und da brechen einige ſchwache Blicke der Sonne durch.
Man ſieht auf der linken Seite in die Tiefe herunter, wo zwey ſchattigte Gaͤnge neben
einander laufen; weiter hin begegnen ſich in der Tiefe mehr Wege. Die Baͤume
werden etwas duͤnner, doch erblickt man blos einigen Schimmer von Waſſer oder
Ufer. Noch immer hebt ſich die Erwartung der Anhoͤhe und der Ausſicht auf den

See.
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[77/0091] der Alten und der Neuen. Ein anſehnlicher mit Waldung bekleideter Berg, der ſich in der ganzen vorlie- genden Gegend auszeichnet, feſſelt ſchon in der Ferne die Aufmerkſamkeit; und dieſer Berg iſt eigentlich der paradiſiſche von vielen Fremden jaͤhrlich beſuchte Luſtplatz, von dem ich hier einen Schattenriß mittheile. Man beſteigt den Berg aus einem nahe an dem Wohngebaͤude des Beſitzers von dem adelichen Gute Aſchberg liegenden Garten, der noch in der alten Manier angelegt iſt, Symmetrie, kurze Hecken, viel ſumpfigtes Waſſer in Canaͤlen nach hollaͤndiſchem Geſchmack, in der Mitte einen guten Salon und verſchiedene kleine Luſthaͤuſer hat. Die beſte Partie im Garten iſt am Hauſe eine Seitenallee von vier Gaͤngen von hohen und ſchattenreichen Linden, unter welchen man die Ausſicht nach dem Berge und auf den See vor ſich und zur Seite hat; an der andern Seite der Gebaͤude liegt ein ſchoͤnes Gehoͤlz in Verbindung mit Waſſer. Man vergißt bald dieſen kleinen Kunſtgarten, um auf dem Berge die freyen und hoͤhern Ergoͤtzungen der Natur zu genießen. Der Berg iſt nicht ſteil, aber rund und breit, und uͤberall mit einer ſchattenvollen Waldung bedeckt; zwiſchen Buchen, Eichen und Eſchen ſind Tannen, Kaſtanienbaͤume, Kirſchbaͤume und andere Anpflan- zungen verſtreut; zuweilen laͤuft eine Art von wilden Baͤumen ohne Vermiſchung eine Strecke fort. Indem man die Erhoͤhung zu beſteigen anfaͤngt, tritt man gleich in den Schatten hoher und ſchoͤner Baͤume, die mit niedrigem Buſchwerk untermiſcht ſind. Doch iſt der Boden an einigen Stellen zu ſehr verwildert, mit Neſſeln und anderm kriechenden Geſtraͤuch bedeckt. Die Holztaube, der Kuckuk, die Nachtigall, der Buchfinke, die Weindroſſel und andere Arten von ſingenden und floͤtenden Voͤ- geln empfiengen uns mit einem Concerte von mannigfaltigen Stimmen. Der Hauptweg, der den Berg hinauffuͤhrt, iſt eben, bequem und ſchlaͤngelnd; uͤberhaupt ſind die Gaͤnge mit einem guten Geſchmack angelegt; ſie richten ſich immer nach der Beſchaffenheit des Bodens, und laufen in abwechſelnden edlen Kruͤmmungen, ohne Ziererey, fort. Die Ausſicht nach dem See iſt gleich verſchloſſen. Indem man fortſteigt, ſteigt auch die Erwartung der Eroͤffnung eines Proſpects, und dieſe Er- wartung wird nicht befriedigt. Der Weg laͤuft in der Runde um den Berg in einer allmaͤhligen Erhoͤhung. Von den hohen und dichten Baͤumen fallen Schatten herab, die alles erfuͤllen; nur hie und da brechen einige ſchwache Blicke der Sonne durch. Man ſieht auf der linken Seite in die Tiefe herunter, wo zwey ſchattigte Gaͤnge neben einander laufen; weiter hin begegnen ſich in der Tiefe mehr Wege. Die Baͤume werden etwas duͤnner, doch erblickt man blos einigen Schimmer von Waſſer oder Ufer. Noch immer hebt ſich die Erwartung der Anhoͤhe und der Ausſicht auf den See. K 3

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/91>, abgerufen am 28.03.2024.