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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

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Erster Abschnitt. Aussicht in die Gärten
man sie gern, um wieder in das Innere der Canäle und der Spaziergänge zurückzu-
gehen, durch welche eine hölzerne Brücke von beträchtlicher Länge hindurchgeht.
Durch die Lage der drey Inseln, die niedriger sind, als der übrige Boden, wird diese
Brücke bis zu der Höhe des Wipfels der Bäume erhoben, und die Gesträuche, die
sie umkränzen, werfen einen Sch[a]tten, der diesen Uebergang in eine bedeckte Allee
verwandelt. Man kann hier spazieren gehen, ohne sich vor der Sommerhitze fürch-
ten zu dürfen; und man trifft hier von einer Stelle zur andern, je nachdem die ver-
schiedenen Canäle ihre Richtung nehmen, Aussichten an, die diese seltene Situation
unendlich malerisch machten. Auch erweitert sich nach und nach über den Canälen die
Brücke, so daß Platz zu Sitzen vorhanden ist, um auszuruhen, die Kühlung zu ge-
nießen, und sich an reizenden Aussichten zu weiden.

Von hier aus entdeckt man besonders die angenehmen Krümmungen, die das
Wasser in seinem freyen Laufe macht, und die so reizenden und getreuen Vorstellun-
gen, die der Widerschein der darin sich malenden Gegenstände hervorbringt.

Es war natürlich, von diesen schönen Wirkungen mit denen, welchen sie ge-
fallen können, einen Augenblick zu reden. Hier ist das, was man zu ihnen sagt:

Ici l'onde, avec liberte,
Serpente & reflechit l'objet qui l'environne.
De sa franchise elle tient sa beaute;
Son crystal plait, & ne flatte personne.

Eine Mühle zeigt sich an einem der äußersten Enden dieser Brücke. Ihr An-
blick zieht allemal diejenlgen an sich, die selten solche Maschinen in der Nähe beob-
achtet haben. Man tritt hinzu, und man findet sich höher als das Rad; das Ge-
räusch, das es erregt, die abgemessenen Schläge und die sich immer gleiche Bewe-
gung laden einige Augenblicke zum Nachdenken ein. Man betrachtet mit einer theil-
nehmenden Aufmerksamkeit die Radschaufeln, deren eine nach der andern aus dem
Wasser hervorgeht, nach und nach bis zur höchsten Stufe ihres Umkreises sich erhebt,
um wieder herabzusteigen, unterzusinken und zu verschwinden. Dieser Gegenstand
kann in der That zu Betrachtungen veranlassen; aber solche, deren Schattirungen zu
dunkel wären, würden dem Colorit des Gemäldes minder angemessen seyn, als diese:

Ah! connoissez le prix du tems,
Tandis que l'onde s'ecoule,
Que la roue obeit a ses prompts mouvemens.
De vos beaux jours le fuseau roule.
Jouissez, jouissez, ne perdez pas d'instans.
Sie

Erſter Abſchnitt. Ausſicht in die Gaͤrten
man ſie gern, um wieder in das Innere der Canaͤle und der Spaziergaͤnge zuruͤckzu-
gehen, durch welche eine hoͤlzerne Bruͤcke von betraͤchtlicher Laͤnge hindurchgeht.
Durch die Lage der drey Inſeln, die niedriger ſind, als der uͤbrige Boden, wird dieſe
Bruͤcke bis zu der Hoͤhe des Wipfels der Baͤume erhoben, und die Geſtraͤuche, die
ſie umkraͤnzen, werfen einen Sch[a]tten, der dieſen Uebergang in eine bedeckte Allee
verwandelt. Man kann hier ſpazieren gehen, ohne ſich vor der Sommerhitze fuͤrch-
ten zu duͤrfen; und man trifft hier von einer Stelle zur andern, je nachdem die ver-
ſchiedenen Canaͤle ihre Richtung nehmen, Ausſichten an, die dieſe ſeltene Situation
unendlich maleriſch machten. Auch erweitert ſich nach und nach uͤber den Canaͤlen die
Bruͤcke, ſo daß Platz zu Sitzen vorhanden iſt, um auszuruhen, die Kuͤhlung zu ge-
nießen, und ſich an reizenden Ausſichten zu weiden.

Von hier aus entdeckt man beſonders die angenehmen Kruͤmmungen, die das
Waſſer in ſeinem freyen Laufe macht, und die ſo reizenden und getreuen Vorſtellun-
gen, die der Widerſchein der darin ſich malenden Gegenſtaͤnde hervorbringt.

Es war natuͤrlich, von dieſen ſchoͤnen Wirkungen mit denen, welchen ſie ge-
fallen koͤnnen, einen Augenblick zu reden. Hier iſt das, was man zu ihnen ſagt:

Ici l’onde, avec liberté,
Serpente & réfléchit l’objet qui l’environne.
De ſa franchiſe elle tient ſa beauté;
Son cryſtal plait, & ne flatte perſonne.

Eine Muͤhle zeigt ſich an einem der aͤußerſten Enden dieſer Bruͤcke. Ihr An-
blick zieht allemal diejenlgen an ſich, die ſelten ſolche Maſchinen in der Naͤhe beob-
achtet haben. Man tritt hinzu, und man findet ſich hoͤher als das Rad; das Ge-
raͤuſch, das es erregt, die abgemeſſenen Schlaͤge und die ſich immer gleiche Bewe-
gung laden einige Augenblicke zum Nachdenken ein. Man betrachtet mit einer theil-
nehmenden Aufmerkſamkeit die Radſchaufeln, deren eine nach der andern aus dem
Waſſer hervorgeht, nach und nach bis zur hoͤchſten Stufe ihres Umkreiſes ſich erhebt,
um wieder herabzuſteigen, unterzuſinken und zu verſchwinden. Dieſer Gegenſtand
kann in der That zu Betrachtungen veranlaſſen; aber ſolche, deren Schattirungen zu
dunkel waͤren, wuͤrden dem Colorit des Gemaͤldes minder angemeſſen ſeyn, als dieſe:

Ah! connoiſſez le prix du tems,
Tandis que l’onde s’écoule,
Que la roue obéit à ſes prompts mouvemens.
De vos beaux jours le fuſeau roule.
Jouiſſez, jouiſſez, ne perdez pas d’inſtans.
Sie
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[46/0060] Erſter Abſchnitt. Ausſicht in die Gaͤrten man ſie gern, um wieder in das Innere der Canaͤle und der Spaziergaͤnge zuruͤckzu- gehen, durch welche eine hoͤlzerne Bruͤcke von betraͤchtlicher Laͤnge hindurchgeht. Durch die Lage der drey Inſeln, die niedriger ſind, als der uͤbrige Boden, wird dieſe Bruͤcke bis zu der Hoͤhe des Wipfels der Baͤume erhoben, und die Geſtraͤuche, die ſie umkraͤnzen, werfen einen Schatten, der dieſen Uebergang in eine bedeckte Allee verwandelt. Man kann hier ſpazieren gehen, ohne ſich vor der Sommerhitze fuͤrch- ten zu duͤrfen; und man trifft hier von einer Stelle zur andern, je nachdem die ver- ſchiedenen Canaͤle ihre Richtung nehmen, Ausſichten an, die dieſe ſeltene Situation unendlich maleriſch machten. Auch erweitert ſich nach und nach uͤber den Canaͤlen die Bruͤcke, ſo daß Platz zu Sitzen vorhanden iſt, um auszuruhen, die Kuͤhlung zu ge- nießen, und ſich an reizenden Ausſichten zu weiden. Von hier aus entdeckt man beſonders die angenehmen Kruͤmmungen, die das Waſſer in ſeinem freyen Laufe macht, und die ſo reizenden und getreuen Vorſtellun- gen, die der Widerſchein der darin ſich malenden Gegenſtaͤnde hervorbringt. Es war natuͤrlich, von dieſen ſchoͤnen Wirkungen mit denen, welchen ſie ge- fallen koͤnnen, einen Augenblick zu reden. Hier iſt das, was man zu ihnen ſagt: Ici l’onde, avec liberté, Serpente & réfléchit l’objet qui l’environne. De ſa franchiſe elle tient ſa beauté; Son cryſtal plait, & ne flatte perſonne. Eine Muͤhle zeigt ſich an einem der aͤußerſten Enden dieſer Bruͤcke. Ihr An- blick zieht allemal diejenlgen an ſich, die ſelten ſolche Maſchinen in der Naͤhe beob- achtet haben. Man tritt hinzu, und man findet ſich hoͤher als das Rad; das Ge- raͤuſch, das es erregt, die abgemeſſenen Schlaͤge und die ſich immer gleiche Bewe- gung laden einige Augenblicke zum Nachdenken ein. Man betrachtet mit einer theil- nehmenden Aufmerkſamkeit die Radſchaufeln, deren eine nach der andern aus dem Waſſer hervorgeht, nach und nach bis zur hoͤchſten Stufe ihres Umkreiſes ſich erhebt, um wieder herabzuſteigen, unterzuſinken und zu verſchwinden. Dieſer Gegenſtand kann in der That zu Betrachtungen veranlaſſen; aber ſolche, deren Schattirungen zu dunkel waͤren, wuͤrden dem Colorit des Gemaͤldes minder angemeſſen ſeyn, als dieſe: Ah! connoiſſez le prix du tems, Tandis que l’onde s’écoule, Que la roue obéit à ſes prompts mouvemens. De vos beaux jours le fuſeau roule. Jouiſſez, jouiſſez, ne perdez pas d’inſtans. Sie

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/60>, abgerufen am 25.04.2024.