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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

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Zweyter Abschnitt. Von den verschiedenen Charakteren
durch die Abwesenheit alles dessen, was Leben und Wirksamkeit ankündigen kann.
In einer solchen Gegend fallen sparsame Lichter nur durch, um den Einfluß der Dun-
kelheit vor dem Traurigen oder Fürchterlichen zu beschützen. Die Stille und die Ein-
samkeit haben hier ihre Heimath. Ein Vogel, der ungesellig umherflattert, ein un-
verständliches Geschwirre unbekannter Geschöpfe, eine Holztaube, die in dem hohlen
Gipfel einer entlaubten Eiche girrt, oder eine verirrte Nachtigall, die ihre Leiden der
Einöde klagt -- ist zur Ausstaffirung der Scene schon hinreichend. Eine Gegend
von dieser Art,

Wo alles ruht, wo Blätter nur sich regen,
Und jener Bach, der öde Wiesen tränkt -- --
Wo schwaches Laub, belebt vom Westenwinde,
Die matte Seel in sanfte Wehmuth bringt,
Und in dem Frost noch nie bestralter Gründe
Kein Leid mehr bleibt, das nicht die Stille zwingt;
von Haller.

hat nichts, das eine widrige Empfindung erwecken könnte; sie ist vielmehr für gewisse
Bedürfnisse des Herzens und des Geistes überaus erwünscht. Sie giebt den süßen
Genuß der Ruhe und der Einsamkeit; eine schmeichelhafte Vorstellung von Selbstge-
nügsamkeit, ein gelassenes Vergessen der Dinge, die unsern Frieden unterbrachen.
Sie lockt und labt die Seele, die, aus den Sorgen und Geschäften der Welt zurück-
gekehrt, sich einmal selbst genießen will. Sie, die Vertraute der Liebe, unterhält
die geheime Zärtlichkeit des Herzens, und schmeichelt dem Kummer, bis er stumm
wird. Der Geist übergiebt sich freyer Betrachtungen, die seiner würdig sind; alle
seine Kräfte sammeln sich und werden wirksamer. Und die Phantasie erhebt sich zu
einem ungewöhnlichen Flug in eine neue Sphäre von Bildern, unter welchen sie mit
einem geheimen Entzücken umherirrt. Wer sollte so wenig Philosoph oder Freund
von sich selbst seyn, der nicht in seinem ausgedehnten und heitern Garten eine sanft-
melancholische Gegend für sich erbauete? Wem können ihre Eindrücke ganz fremd
seyn, so fremd, daß er sie nie in der Natur wahrgenommen hätte, oder sie bey ihrem
Dichter nicht wieder fühlen sollte?

Dort, wo waldigte Höhen den blauen Rücken verbreiten,
Und ein frischerer West von ihrem Gipfel herabhaucht,
Dorthin lenke den Schritt. Folg immer dem kühleren Thale
Tief in der Berge beschatteten Schoos; bis laubigte Krümmen
Dich zu der wilden Natur einsamem Theater geleitet.
Hier,

Zweyter Abſchnitt. Von den verſchiedenen Charakteren
durch die Abweſenheit alles deſſen, was Leben und Wirkſamkeit ankuͤndigen kann.
In einer ſolchen Gegend fallen ſparſame Lichter nur durch, um den Einfluß der Dun-
kelheit vor dem Traurigen oder Fuͤrchterlichen zu beſchuͤtzen. Die Stille und die Ein-
ſamkeit haben hier ihre Heimath. Ein Vogel, der ungeſellig umherflattert, ein un-
verſtaͤndliches Geſchwirre unbekannter Geſchoͤpfe, eine Holztaube, die in dem hohlen
Gipfel einer entlaubten Eiche girrt, oder eine verirrte Nachtigall, die ihre Leiden der
Einoͤde klagt — iſt zur Ausſtaffirung der Scene ſchon hinreichend. Eine Gegend
von dieſer Art,

Wo alles ruht, wo Blaͤtter nur ſich regen,
Und jener Bach, der oͤde Wieſen traͤnkt — —
Wo ſchwaches Laub, belebt vom Weſtenwinde,
Die matte Seel in ſanfte Wehmuth bringt,
Und in dem Froſt noch nie beſtralter Gruͤnde
Kein Leid mehr bleibt, das nicht die Stille zwingt;
von Haller.

hat nichts, das eine widrige Empfindung erwecken koͤnnte; ſie iſt vielmehr fuͤr gewiſſe
Beduͤrfniſſe des Herzens und des Geiſtes uͤberaus erwuͤnſcht. Sie giebt den ſuͤßen
Genuß der Ruhe und der Einſamkeit; eine ſchmeichelhafte Vorſtellung von Selbſtge-
nuͤgſamkeit, ein gelaſſenes Vergeſſen der Dinge, die unſern Frieden unterbrachen.
Sie lockt und labt die Seele, die, aus den Sorgen und Geſchaͤften der Welt zuruͤck-
gekehrt, ſich einmal ſelbſt genießen will. Sie, die Vertraute der Liebe, unterhaͤlt
die geheime Zaͤrtlichkeit des Herzens, und ſchmeichelt dem Kummer, bis er ſtumm
wird. Der Geiſt uͤbergiebt ſich freyer Betrachtungen, die ſeiner wuͤrdig ſind; alle
ſeine Kraͤfte ſammeln ſich und werden wirkſamer. Und die Phantaſie erhebt ſich zu
einem ungewoͤhnlichen Flug in eine neue Sphaͤre von Bildern, unter welchen ſie mit
einem geheimen Entzuͤcken umherirrt. Wer ſollte ſo wenig Philoſoph oder Freund
von ſich ſelbſt ſeyn, der nicht in ſeinem ausgedehnten und heitern Garten eine ſanft-
melancholiſche Gegend fuͤr ſich erbauete? Wem koͤnnen ihre Eindruͤcke ganz fremd
ſeyn, ſo fremd, daß er ſie nie in der Natur wahrgenommen haͤtte, oder ſie bey ihrem
Dichter nicht wieder fuͤhlen ſollte?

Dort, wo waldigte Hoͤhen den blauen Ruͤcken verbreiten,
Und ein friſcherer Weſt von ihrem Gipfel herabhaucht,
Dorthin lenke den Schritt. Folg immer dem kuͤhleren Thale
Tief in der Berge beſchatteten Schoos; bis laubigte Kruͤmmen
Dich zu der wilden Natur einſamem Theater geleitet.
Hier,
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[212/0226] Zweyter Abſchnitt. Von den verſchiedenen Charakteren durch die Abweſenheit alles deſſen, was Leben und Wirkſamkeit ankuͤndigen kann. In einer ſolchen Gegend fallen ſparſame Lichter nur durch, um den Einfluß der Dun- kelheit vor dem Traurigen oder Fuͤrchterlichen zu beſchuͤtzen. Die Stille und die Ein- ſamkeit haben hier ihre Heimath. Ein Vogel, der ungeſellig umherflattert, ein un- verſtaͤndliches Geſchwirre unbekannter Geſchoͤpfe, eine Holztaube, die in dem hohlen Gipfel einer entlaubten Eiche girrt, oder eine verirrte Nachtigall, die ihre Leiden der Einoͤde klagt — iſt zur Ausſtaffirung der Scene ſchon hinreichend. Eine Gegend von dieſer Art, Wo alles ruht, wo Blaͤtter nur ſich regen, Und jener Bach, der oͤde Wieſen traͤnkt — — Wo ſchwaches Laub, belebt vom Weſtenwinde, Die matte Seel in ſanfte Wehmuth bringt, Und in dem Froſt noch nie beſtralter Gruͤnde Kein Leid mehr bleibt, das nicht die Stille zwingt; von Haller. hat nichts, das eine widrige Empfindung erwecken koͤnnte; ſie iſt vielmehr fuͤr gewiſſe Beduͤrfniſſe des Herzens und des Geiſtes uͤberaus erwuͤnſcht. Sie giebt den ſuͤßen Genuß der Ruhe und der Einſamkeit; eine ſchmeichelhafte Vorſtellung von Selbſtge- nuͤgſamkeit, ein gelaſſenes Vergeſſen der Dinge, die unſern Frieden unterbrachen. Sie lockt und labt die Seele, die, aus den Sorgen und Geſchaͤften der Welt zuruͤck- gekehrt, ſich einmal ſelbſt genießen will. Sie, die Vertraute der Liebe, unterhaͤlt die geheime Zaͤrtlichkeit des Herzens, und ſchmeichelt dem Kummer, bis er ſtumm wird. Der Geiſt uͤbergiebt ſich freyer Betrachtungen, die ſeiner wuͤrdig ſind; alle ſeine Kraͤfte ſammeln ſich und werden wirkſamer. Und die Phantaſie erhebt ſich zu einem ungewoͤhnlichen Flug in eine neue Sphaͤre von Bildern, unter welchen ſie mit einem geheimen Entzuͤcken umherirrt. Wer ſollte ſo wenig Philoſoph oder Freund von ſich ſelbſt ſeyn, der nicht in ſeinem ausgedehnten und heitern Garten eine ſanft- melancholiſche Gegend fuͤr ſich erbauete? Wem koͤnnen ihre Eindruͤcke ganz fremd ſeyn, ſo fremd, daß er ſie nie in der Natur wahrgenommen haͤtte, oder ſie bey ihrem Dichter nicht wieder fuͤhlen ſollte? Dort, wo waldigte Hoͤhen den blauen Ruͤcken verbreiten, Und ein friſcherer Weſt von ihrem Gipfel herabhaucht, Dorthin lenke den Schritt. Folg immer dem kuͤhleren Thale Tief in der Berge beſchatteten Schoos; bis laubigte Kruͤmmen Dich zu der wilden Natur einſamem Theater geleitet. Hier,

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/226>, abgerufen am 28.03.2024.