Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

Bey Gott ist das einerley, erwiedert'
ich, nur bey den Finken nicht. -- Ich
glaube, Herr Candidat, bey unsern meisten
guten Handlungen ist ein Hünerey, anstatt
eines Finkeney's. --

Lieben Leser! seht da Minchen! Ists
möglich, daß der alte Herr so was erzäh-
len, und der alte Herr bleiben konnte? --

Minchen gieng einen schönen Morgen
ins Feld, und begegnet' einen Jungen mit bey-
den Händen in den Haaren und weinen bit-
terlich. Er hatt' einen Milchtopf zerbrochen,
und befürchtete von seiner Mutter darüber
geschlagen zu werden. Sey gutes Muths,
sagte Minchen, und nahm ihm die rechte
Hand von den Haaren, die linke Hand gab
sich von selbst. Er lies sich trösten. Je
näher er aber zum Dorfe kam, je langsamer
gieng er, und da er das Haus sah, fieng er
von neuem an zu weinen, und wolte durch-
aus wieder mit der rechten Hand in die Haa-
re -- die linke nach. -- Die Mutter des
Jungen kam ihnen entgegen, und ihr erstes
Wort war: der Topf. Minchen trat vor
und sagte: liebe Nachbarin, ich! ich! bin
den Topf schuldig. Seht! ich gieng schnell
zu, und da war der Topf hin. Meine

Mut-

Bey Gott iſt das einerley, erwiedert’
ich, nur bey den Finken nicht. — Ich
glaube, Herr Candidat, bey unſern meiſten
guten Handlungen iſt ein Huͤnerey, anſtatt
eines Finkeney’s. —

Lieben Leſer! ſeht da Minchen! Iſts
moͤglich, daß der alte Herr ſo was erzaͤh-
len, und der alte Herr bleiben konnte? —

Minchen gieng einen ſchoͤnen Morgen
ins Feld, und begegnet’ einen Jungen mit bey-
den Haͤnden in den Haaren und weinen bit-
terlich. Er hatt’ einen Milchtopf zerbrochen,
und befuͤrchtete von ſeiner Mutter daruͤber
geſchlagen zu werden. Sey gutes Muths,
ſagte Minchen, und nahm ihm die rechte
Hand von den Haaren, die linke Hand gab
ſich von ſelbſt. Er lies ſich troͤſten. Je
naͤher er aber zum Dorfe kam, je langſamer
gieng er, und da er das Haus ſah, fieng er
von neuem an zu weinen, und wolte durch-
aus wieder mit der rechten Hand in die Haa-
re — die linke nach. — Die Mutter des
Jungen kam ihnen entgegen, und ihr erſtes
Wort war: der Topf. Minchen trat vor
und ſagte: liebe Nachbarin, ich! ich! bin
den Topf ſchuldig. Seht! ich gieng ſchnell
zu, und da war der Topf hin. Meine

Mut-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0040" n="34"/>
        <p>Bey Gott i&#x017F;t das einerley, erwiedert&#x2019;<lb/>
ich, nur bey den Finken nicht. &#x2014; Ich<lb/>
glaube, Herr Candidat, bey un&#x017F;ern mei&#x017F;ten<lb/>
guten Handlungen i&#x017F;t ein Hu&#x0364;nerey, an&#x017F;tatt<lb/>
eines Finkeney&#x2019;s. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Lieben Le&#x017F;er! &#x017F;eht da Minchen! I&#x017F;ts<lb/>
mo&#x0364;glich, daß der alte Herr &#x017F;o was erza&#x0364;h-<lb/>
len, und der alte Herr bleiben konnte? &#x2014;</p><lb/>
        <p>Minchen gieng einen &#x017F;cho&#x0364;nen Morgen<lb/>
ins Feld, und begegnet&#x2019; einen Jungen mit bey-<lb/>
den Ha&#x0364;nden in den Haaren und weinen bit-<lb/>
terlich. Er hatt&#x2019; einen Milchtopf zerbrochen,<lb/>
und befu&#x0364;rchtete von &#x017F;einer Mutter daru&#x0364;ber<lb/>
ge&#x017F;chlagen zu werden. Sey gutes Muths,<lb/>
&#x017F;agte Minchen, und nahm ihm die rechte<lb/>
Hand von den Haaren, die linke Hand gab<lb/>
&#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t. Er lies &#x017F;ich tro&#x0364;&#x017F;ten. Je<lb/>
na&#x0364;her er aber zum Dorfe kam, je lang&#x017F;amer<lb/>
gieng er, und da er das Haus &#x017F;ah, fieng er<lb/>
von neuem an zu weinen, und wolte durch-<lb/>
aus wieder mit der rechten Hand in die Haa-<lb/>
re &#x2014; die linke nach. &#x2014; Die Mutter des<lb/>
Jungen kam ihnen entgegen, und ihr er&#x017F;tes<lb/>
Wort war: der Topf. Minchen trat vor<lb/>
und &#x017F;agte: liebe Nachbarin, ich! ich! bin<lb/>
den Topf &#x017F;chuldig. Seht! ich gieng &#x017F;chnell<lb/>
zu, und da war der Topf hin. Meine<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Mut-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0040] Bey Gott iſt das einerley, erwiedert’ ich, nur bey den Finken nicht. — Ich glaube, Herr Candidat, bey unſern meiſten guten Handlungen iſt ein Huͤnerey, anſtatt eines Finkeney’s. — Lieben Leſer! ſeht da Minchen! Iſts moͤglich, daß der alte Herr ſo was erzaͤh- len, und der alte Herr bleiben konnte? — Minchen gieng einen ſchoͤnen Morgen ins Feld, und begegnet’ einen Jungen mit bey- den Haͤnden in den Haaren und weinen bit- terlich. Er hatt’ einen Milchtopf zerbrochen, und befuͤrchtete von ſeiner Mutter daruͤber geſchlagen zu werden. Sey gutes Muths, ſagte Minchen, und nahm ihm die rechte Hand von den Haaren, die linke Hand gab ſich von ſelbſt. Er lies ſich troͤſten. Je naͤher er aber zum Dorfe kam, je langſamer gieng er, und da er das Haus ſah, fieng er von neuem an zu weinen, und wolte durch- aus wieder mit der rechten Hand in die Haa- re — die linke nach. — Die Mutter des Jungen kam ihnen entgegen, und ihr erſtes Wort war: der Topf. Minchen trat vor und ſagte: liebe Nachbarin, ich! ich! bin den Topf ſchuldig. Seht! ich gieng ſchnell zu, und da war der Topf hin. Meine Mut-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/40
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/40>, abgerufen am 24.04.2024.