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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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ich im gemeinen Leben erzählen höre, seh'
ich -- ich sehe den Erzähler steif an, recht
als schien ich es zu bedauren, daß ich diese
Geschichte nicht im Original gesehen, ich ver-
lange, der Erzähler soll sie nachhandeln: Soll,
was und wie es geschehen, leibhaftig zeigen.
Je mehr ein Erzähler zu sehen ist, je mehr
freu ich mich, je mehr sind ich die Kopie
getroffen. Oft' hab ich gedacht, daß es
eine Geschichte geben könne, (ob einen Ro-
man, weis ich nicht, wo man nicht höre,
sondern sehe, durch und durch sehe, wo
nicht Erzählung sondern Handlung wäre,
wo man alles oder wenigstens mehr sehe, als
höre. -- Man sieht freilich den Erzähler
im gemeinen Leben; allein die Wahrheit zu
sagen, man hört ihn mehr, und es würd'
Affektation seyn, wenn er mehr zu sehen,
als zu hören wäre. Ein Erzähler, wenn
er im Druck erscheint, wie wenig ist er zu se-
hen! wie weit weniger als im gemeinen Le-
ben! -- -- -- -- Dergleichen Geschichte,
wo, wie meine Mutter sagen würde, ge-
wandelt
und gehandelt wird, will man sie
eine redende, eine Geschichte mit eignen
Worten
nennen, meinthalben! Daß eine Ge-
schichte durchweg in Gesprächen, eine in

Frag

ich im gemeinen Leben erzaͤhlen hoͤre, ſeh’
ich — ich ſehe den Erzaͤhler ſteif an, recht
als ſchien ich es zu bedauren, daß ich dieſe
Geſchichte nicht im Original geſehen, ich ver-
lange, der Erzaͤhler ſoll ſie nachhandeln: Soll,
was und wie es geſchehen, leibhaftig zeigen.
Je mehr ein Erzaͤhler zu ſehen iſt, je mehr
freu ich mich, je mehr ſind ich die Kopie
getroffen. Oft’ hab ich gedacht, daß es
eine Geſchichte geben koͤnne, (ob einen Ro-
man, weis ich nicht, wo man nicht hoͤre,
ſondern ſehe, durch und durch ſehe, wo
nicht Erzaͤhlung ſondern Handlung waͤre,
wo man alles oder wenigſtens mehr ſehe, als
hoͤre. — Man ſieht freilich den Erzaͤhler
im gemeinen Leben; allein die Wahrheit zu
ſagen, man hoͤrt ihn mehr, und es wuͤrd’
Affektation ſeyn, wenn er mehr zu ſehen,
als zu hoͤren waͤre. Ein Erzaͤhler, wenn
er im Druck erſcheint, wie wenig iſt er zu ſe-
hen! wie weit weniger als im gemeinen Le-
ben! — — — — Dergleichen Geſchichte,
wo, wie meine Mutter ſagen wuͤrde, ge-
wandelt
und gehandelt wird, will man ſie
eine redende, eine Geſchichte mit eignen
Worten
nennen, meinthalben! Daß eine Ge-
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[6/0012] ich im gemeinen Leben erzaͤhlen hoͤre, ſeh’ ich — ich ſehe den Erzaͤhler ſteif an, recht als ſchien ich es zu bedauren, daß ich dieſe Geſchichte nicht im Original geſehen, ich ver- lange, der Erzaͤhler ſoll ſie nachhandeln: Soll, was und wie es geſchehen, leibhaftig zeigen. Je mehr ein Erzaͤhler zu ſehen iſt, je mehr freu ich mich, je mehr ſind ich die Kopie getroffen. Oft’ hab ich gedacht, daß es eine Geſchichte geben koͤnne, (ob einen Ro- man, weis ich nicht, wo man nicht hoͤre, ſondern ſehe, durch und durch ſehe, wo nicht Erzaͤhlung ſondern Handlung waͤre, wo man alles oder wenigſtens mehr ſehe, als hoͤre. — Man ſieht freilich den Erzaͤhler im gemeinen Leben; allein die Wahrheit zu ſagen, man hoͤrt ihn mehr, und es wuͤrd’ Affektation ſeyn, wenn er mehr zu ſehen, als zu hoͤren waͤre. Ein Erzaͤhler, wenn er im Druck erſcheint, wie wenig iſt er zu ſe- hen! wie weit weniger als im gemeinen Le- ben! — — — — Dergleichen Geſchichte, wo, wie meine Mutter ſagen wuͤrde, ge- wandelt und gehandelt wird, will man ſie eine redende, eine Geſchichte mit eignen Worten nennen, meinthalben! Daß eine Ge- ſchichte durchweg in Geſpraͤchen, eine in Frag

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/12>, abgerufen am 16.04.2024.