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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

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übels, an dem er litte; worauf denn der alte Herr
in großen Zorn gerieth, heftig auf den gottlosen
Neffen schalt, der ihm dergleichen schimpfliche Gebre¬
chen nachsage, und die Gründe offenbarte, weßhalb
er ihm nicht zur Reise nach Paris verhelfen wolle.
Der Hauptgrund war, Adam habe eben gefreit und
sei schon seines Weibes überdrüssig, das doch, wie
ganz Arras wisse, ein rechter Ausbund von Tugend
und Schönheit sei.

In steigender Unruhe hatte die arme Marion das
Alles mit angehört, und wer hätte diese Unruhe einer
tugendsamen Ehefrau verargt, die auf einmal all ihre
häusliche Noth dem lachenden Publicum preisgegeben
sah. Sie hatte kein Ohr für die zierlichen Verse und
lustigen Possen, mit denen die Reden der drei Per¬
sonen geschmückt waren und die alle Zuhörer ent¬
zückten. Aengstlich und alles Andre vergessend horchte
sie nun der Vertheidigung, zu der sich ihr Mann
dem Oheim gegenüber anschickte. Als aber Adam
dem Publicum trocken auseinandersetzte, daß ein
schönes Weib nicht immer ein kurzweiliges sei und
daß der Mund seiner Marion sich besser zum Küssen
als zum Plaudern schicke, durch Küssen aber kein
Mensch klüger würde, wohl aber durch witziges Ge¬
spräch, und er wolle Dem zwei Kronen schenken, der
ihm einen Witz von Marion erzählen könne: da
hielt sich die arme Horcherin nicht länger hinter den

übels, an dem er litte; worauf denn der alte Herr
in großen Zorn gerieth, heftig auf den gottloſen
Neffen ſchalt, der ihm dergleichen ſchimpfliche Gebre¬
chen nachſage, und die Gründe offenbarte, weßhalb
er ihm nicht zur Reiſe nach Paris verhelfen wolle.
Der Hauptgrund war, Adam habe eben gefreit und
ſei ſchon ſeines Weibes überdrüſſig, das doch, wie
ganz Arras wiſſe, ein rechter Ausbund von Tugend
und Schönheit ſei.

In ſteigender Unruhe hatte die arme Marion das
Alles mit angehört, und wer hätte dieſe Unruhe einer
tugendſamen Ehefrau verargt, die auf einmal all ihre
häusliche Noth dem lachenden Publicum preisgegeben
ſah. Sie hatte kein Ohr für die zierlichen Verſe und
luſtigen Poſſen, mit denen die Reden der drei Per¬
ſonen geſchmückt waren und die alle Zuhörer ent¬
zückten. Aengſtlich und alles Andre vergeſſend horchte
ſie nun der Vertheidigung, zu der ſich ihr Mann
dem Oheim gegenüber anſchickte. Als aber Adam
dem Publicum trocken auseinanderſetzte, daß ein
ſchönes Weib nicht immer ein kurzweiliges ſei und
daß der Mund ſeiner Marion ſich beſſer zum Küſſen
als zum Plaudern ſchicke, durch Küſſen aber kein
Menſch klüger würde, wohl aber durch witziges Ge¬
ſpräch, und er wolle Dem zwei Kronen ſchenken, der
ihm einen Witz von Marion erzählen könne: da
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[82/0094] übels, an dem er litte; worauf denn der alte Herr in großen Zorn gerieth, heftig auf den gottloſen Neffen ſchalt, der ihm dergleichen ſchimpfliche Gebre¬ chen nachſage, und die Gründe offenbarte, weßhalb er ihm nicht zur Reiſe nach Paris verhelfen wolle. Der Hauptgrund war, Adam habe eben gefreit und ſei ſchon ſeines Weibes überdrüſſig, das doch, wie ganz Arras wiſſe, ein rechter Ausbund von Tugend und Schönheit ſei. In ſteigender Unruhe hatte die arme Marion das Alles mit angehört, und wer hätte dieſe Unruhe einer tugendſamen Ehefrau verargt, die auf einmal all ihre häusliche Noth dem lachenden Publicum preisgegeben ſah. Sie hatte kein Ohr für die zierlichen Verſe und luſtigen Poſſen, mit denen die Reden der drei Per¬ ſonen geſchmückt waren und die alle Zuhörer ent¬ zückten. Aengſtlich und alles Andre vergeſſend horchte ſie nun der Vertheidigung, zu der ſich ihr Mann dem Oheim gegenüber anſchickte. Als aber Adam dem Publicum trocken auseinanderſetzte, daß ein ſchönes Weib nicht immer ein kurzweiliges ſei und daß der Mund ſeiner Marion ſich beſſer zum Küſſen als zum Plaudern ſchicke, durch Küſſen aber kein Menſch klüger würde, wohl aber durch witziges Ge¬ ſpräch, und er wolle Dem zwei Kronen ſchenken, der ihm einen Witz von Marion erzählen könne: da hielt ſich die arme Horcherin nicht länger hinter den

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/94>, abgerufen am 25.04.2024.