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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

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jetzt, für immer einander unverlierbar, in der an¬
brechenden Frühe sich die Hände drückten und schieden.

Im Laufe des Tages kam ein Brief, den Wolf
noch in der Nacht vom nächsten Dorfe aus geschrie¬
ben hatte. Clemens solle es gut sein lassen, schrieb
er; er nehme Alles zurück, er wisse am besten, daß
es alberne Lügen seien. Der Aerger habe sie ihm
ausgepreßt und die Weinlaune. Er habe es ihm
freilich verdacht, wie er so kalt herumgegangen sei,
da es ihn nur ein Wort gekostet hätte, ein solches
Mädchen zu haben. Und wie er dann gesehn, daß
es Clemens Ernst sei, habe er gegen das gelästert,
was ihm selber für immer versagt bleibe. Er solle
ihn nicht für schlimmer halten als er sei, ihn auch
gegen das Mädchen und die Eltern entschuldigen
und sich nicht ganz und gar von ihm lossagen.

Als Clemens diese Zeilen Marlenen vorgelesen,
sagte sie bewegt: "Er dauert mich nun! Mir war
nicht wohl, als er da war, und wie viel hätte er sich
und uns ersparen können! Aber ich will nun ruhig
an ihn denken. Wie viel haben wir ihm zu verdanken!"


5 *

jetzt, für immer einander unverlierbar, in der an¬
brechenden Frühe ſich die Hände drückten und ſchieden.

Im Laufe des Tages kam ein Brief, den Wolf
noch in der Nacht vom nächſten Dorfe aus geſchrie¬
ben hatte. Clemens ſolle es gut ſein laſſen, ſchrieb
er; er nehme Alles zurück, er wiſſe am beſten, daß
es alberne Lügen ſeien. Der Aerger habe ſie ihm
ausgepreßt und die Weinlaune. Er habe es ihm
freilich verdacht, wie er ſo kalt herumgegangen ſei,
da es ihn nur ein Wort gekoſtet hätte, ein ſolches
Mädchen zu haben. Und wie er dann geſehn, daß
es Clemens Ernſt ſei, habe er gegen das geläſtert,
was ihm ſelber für immer verſagt bleibe. Er ſolle
ihn nicht für ſchlimmer halten als er ſei, ihn auch
gegen das Mädchen und die Eltern entſchuldigen
und ſich nicht ganz und gar von ihm losſagen.

Als Clemens dieſe Zeilen Marlenen vorgeleſen,
ſagte ſie bewegt: „Er dauert mich nun! Mir war
nicht wohl, als er da war, und wie viel hätte er ſich
und uns erſparen können! Aber ich will nun ruhig
an ihn denken. Wie viel haben wir ihm zu verdanken!“


5 *
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[67/0079] jetzt, für immer einander unverlierbar, in der an¬ brechenden Frühe ſich die Hände drückten und ſchieden. Im Laufe des Tages kam ein Brief, den Wolf noch in der Nacht vom nächſten Dorfe aus geſchrie¬ ben hatte. Clemens ſolle es gut ſein laſſen, ſchrieb er; er nehme Alles zurück, er wiſſe am beſten, daß es alberne Lügen ſeien. Der Aerger habe ſie ihm ausgepreßt und die Weinlaune. Er habe es ihm freilich verdacht, wie er ſo kalt herumgegangen ſei, da es ihn nur ein Wort gekoſtet hätte, ein ſolches Mädchen zu haben. Und wie er dann geſehn, daß es Clemens Ernſt ſei, habe er gegen das geläſtert, was ihm ſelber für immer verſagt bleibe. Er ſolle ihn nicht für ſchlimmer halten als er ſei, ihn auch gegen das Mädchen und die Eltern entſchuldigen und ſich nicht ganz und gar von ihm losſagen. Als Clemens dieſe Zeilen Marlenen vorgeleſen, ſagte ſie bewegt: „Er dauert mich nun! Mir war nicht wohl, als er da war, und wie viel hätte er ſich und uns erſparen können! Aber ich will nun ruhig an ihn denken. Wie viel haben wir ihm zu verdanken!“ 5 *

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/79>, abgerufen am 28.03.2024.