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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

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ihr nähere. Daß er ihr Schmerzen mache durch seine
Entsagung, wagte er nicht zu denken.

Er entschied sich immer unverhohlener. Am letzten
Tage, da er die Eltern umarmt hatte und hörte,
Marlene sei im Garten, ließ er ihr einen Gruß zu¬
rück und mit klopfendem Herzen schlug er den Dorf¬
weg ein und wendete sich dann seitwärts über die
Felder dem Walde zu. Auch der Garten öffnete sich
nach dem Felde, und der nächste Weg wäre durch
eine kleine Gitterthür gegangen. Er machte einen
weiten Bogen. Aber draußen angelangt, vermochte
er's nicht, auf dem Rain durch die junge Saat fort¬
zuwandern, ohne umzublicken. So stand er in der
milden Sonne still und überschaute die Hütten und
Häuser. Hinter der Hecke, die den elterlichen Garten
einfaßte, gewahrte er die schlanke Gestalt des Mäd¬
chens. Ihr Gesicht war ihm zugekehrt, aber sie ahnte
seine Nähe nicht. Es trat ihm heiß und heftig ins
Auge, er kämpfte das Weinen gewaltsam nieder. Dann
sprang er wie unsinnig über die Gräben und Wege
zurück zur Hecke. Sie fuhr zusammen. "Lebe wohl,
Marlene," sagte er mit klarer Stimme. "Ich gehe
fort, vielleicht auf ein Jahr." Er strich ihr mit der
flachen Hand leicht über Stirn und Scheitel. "Leb
wohl!" -- "Du gehst," sagte sie. "Was ich dich noch
bitten wollte, schreibe öfter an die Eltern. Deine
Mutter bedarf es. Laß mich auch einmal grüßen."

ihr nähere. Daß er ihr Schmerzen mache durch ſeine
Entſagung, wagte er nicht zu denken.

Er entſchied ſich immer unverhohlener. Am letzten
Tage, da er die Eltern umarmt hatte und hörte,
Marlene ſei im Garten, ließ er ihr einen Gruß zu¬
rück und mit klopfendem Herzen ſchlug er den Dorf¬
weg ein und wendete ſich dann ſeitwärts über die
Felder dem Walde zu. Auch der Garten öffnete ſich
nach dem Felde, und der nächſte Weg wäre durch
eine kleine Gitterthür gegangen. Er machte einen
weiten Bogen. Aber draußen angelangt, vermochte
er's nicht, auf dem Rain durch die junge Saat fort¬
zuwandern, ohne umzublicken. So ſtand er in der
milden Sonne ſtill und überſchaute die Hütten und
Häuſer. Hinter der Hecke, die den elterlichen Garten
einfaßte, gewahrte er die ſchlanke Geſtalt des Mäd¬
chens. Ihr Geſicht war ihm zugekehrt, aber ſie ahnte
ſeine Nähe nicht. Es trat ihm heiß und heftig ins
Auge, er kämpfte das Weinen gewaltſam nieder. Dann
ſprang er wie unſinnig über die Gräben und Wege
zurück zur Hecke. Sie fuhr zuſammen. „Lebe wohl,
Marlene,“ ſagte er mit klarer Stimme. „Ich gehe
fort, vielleicht auf ein Jahr.“ Er ſtrich ihr mit der
flachen Hand leicht über Stirn und Scheitel. „Leb
wohl!“ — „Du gehſt,“ ſagte ſie. „Was ich dich noch
bitten wollte, ſchreibe öfter an die Eltern. Deine
Mutter bedarf es. Laß mich auch einmal grüßen.“

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[53/0065] ihr nähere. Daß er ihr Schmerzen mache durch ſeine Entſagung, wagte er nicht zu denken. Er entſchied ſich immer unverhohlener. Am letzten Tage, da er die Eltern umarmt hatte und hörte, Marlene ſei im Garten, ließ er ihr einen Gruß zu¬ rück und mit klopfendem Herzen ſchlug er den Dorf¬ weg ein und wendete ſich dann ſeitwärts über die Felder dem Walde zu. Auch der Garten öffnete ſich nach dem Felde, und der nächſte Weg wäre durch eine kleine Gitterthür gegangen. Er machte einen weiten Bogen. Aber draußen angelangt, vermochte er's nicht, auf dem Rain durch die junge Saat fort¬ zuwandern, ohne umzublicken. So ſtand er in der milden Sonne ſtill und überſchaute die Hütten und Häuſer. Hinter der Hecke, die den elterlichen Garten einfaßte, gewahrte er die ſchlanke Geſtalt des Mäd¬ chens. Ihr Geſicht war ihm zugekehrt, aber ſie ahnte ſeine Nähe nicht. Es trat ihm heiß und heftig ins Auge, er kämpfte das Weinen gewaltſam nieder. Dann ſprang er wie unſinnig über die Gräben und Wege zurück zur Hecke. Sie fuhr zuſammen. „Lebe wohl, Marlene,“ ſagte er mit klarer Stimme. „Ich gehe fort, vielleicht auf ein Jahr.“ Er ſtrich ihr mit der flachen Hand leicht über Stirn und Scheitel. „Leb wohl!“ — „Du gehſt,“ ſagte ſie. „Was ich dich noch bitten wollte, ſchreibe öfter an die Eltern. Deine Mutter bedarf es. Laß mich auch einmal grüßen.“

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/65>, abgerufen am 19.04.2024.