Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

ligen, dte ihr neue Götter macht für das Volk und
im Herzen euch selbst anbetet. Eure Tage sind ge¬
zählt!" -- Er ging zur Thür, seine kahle Stirn war
geröthet, er sah Clemens nicht an, der bestürzt zu
Boden starrte. Plötzlich fühlte er die Hand des Va¬
ters auf seiner Schulter.

"Sage mir offen, mein Sohn, bist du schon so
weit wie Jene, von deren Treiben ich mit Schau¬
dern gelesen habe? Hältst du schon, wo die saubern
Materialisten halten, daß du der Wunder lachst und
der Geist dir ein Märchen ist, das die Dinge ein¬
ander erzählen und dem der Mensch zuhört? Hat
weder deine Jugend, noch die Saat der Dankbarkeit,
die Gott dir ins Herz gesät, das Unkraut ersticken
können? Antworte mir, Clemens!"

"Vater," sagte der junge Mann nach einigem Be¬
sinnen, "wie soll ich darauf antworten? Ein ganzes
Leben hab' ich darangesetzt, über diese Frage nach¬
zudenken. Ich habe sie von Männern, die ich ver¬
ehre, auf jede Weise beantworten hören. Unter mei¬
nen liebsten Freunden bekennen sich Einige zu jener
Ansicht, die du verdammst. Ich höre und lerne, und
wage noch nicht zu urtheilen."

"Wer nicht für mich ist, der ist wider mich, spricht
der Herr."

"Wie könnt' ich wider ihn sein? Wie könnt' ich
wider den Geist sein? Wer läugnet überhaupt den

ligen, dte ihr neue Götter macht für das Volk und
im Herzen euch ſelbſt anbetet. Eure Tage ſind ge¬
zählt!“ — Er ging zur Thür, ſeine kahle Stirn war
geröthet, er ſah Clemens nicht an, der beſtürzt zu
Boden ſtarrte. Plötzlich fühlte er die Hand des Va¬
ters auf ſeiner Schulter.

„Sage mir offen, mein Sohn, biſt du ſchon ſo
weit wie Jene, von deren Treiben ich mit Schau¬
dern geleſen habe? Hältſt du ſchon, wo die ſaubern
Materialiſten halten, daß du der Wunder lachſt und
der Geiſt dir ein Märchen iſt, das die Dinge ein¬
ander erzählen und dem der Menſch zuhört? Hat
weder deine Jugend, noch die Saat der Dankbarkeit,
die Gott dir ins Herz geſät, das Unkraut erſticken
können? Antworte mir, Clemens!“

„Vater,“ ſagte der junge Mann nach einigem Be¬
ſinnen, „wie ſoll ich darauf antworten? Ein ganzes
Leben hab' ich darangeſetzt, über dieſe Frage nach¬
zudenken. Ich habe ſie von Männern, die ich ver¬
ehre, auf jede Weiſe beantworten hören. Unter mei¬
nen liebſten Freunden bekennen ſich Einige zu jener
Anſicht, die du verdammſt. Ich höre und lerne, und
wage noch nicht zu urtheilen.“

„Wer nicht für mich iſt, der iſt wider mich, ſpricht
der Herr.“

„Wie könnt' ich wider ihn ſein? Wie könnt' ich
wider den Geiſt ſein? Wer läugnet überhaupt den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0059" n="47"/>
ligen, dte ihr neue Götter macht für das Volk und<lb/>
im Herzen euch &#x017F;elb&#x017F;t anbetet. Eure Tage &#x017F;ind ge¬<lb/>
zählt!&#x201C; &#x2014; Er ging zur Thür, &#x017F;eine kahle Stirn war<lb/>
geröthet, er &#x017F;ah Clemens nicht an, der be&#x017F;türzt zu<lb/>
Boden &#x017F;tarrte. Plötzlich fühlte er die Hand des Va¬<lb/>
ters auf &#x017F;einer Schulter.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Sage mir offen, mein Sohn, bi&#x017F;t du &#x017F;chon &#x017F;o<lb/>
weit wie Jene, von deren Treiben ich mit Schau¬<lb/>
dern gele&#x017F;en habe? Hält&#x017F;t du &#x017F;chon, wo die &#x017F;aubern<lb/>
Materiali&#x017F;ten halten, daß du der Wunder lach&#x017F;t und<lb/>
der Gei&#x017F;t dir ein Märchen i&#x017F;t, das die Dinge ein¬<lb/>
ander erzählen und dem der Men&#x017F;ch zuhört? Hat<lb/>
weder deine Jugend, noch die Saat der Dankbarkeit,<lb/>
die Gott dir ins Herz ge&#x017F;ät, das Unkraut er&#x017F;ticken<lb/>
können? Antworte mir, Clemens!&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Vater,&#x201C; &#x017F;agte der junge Mann nach einigem Be¬<lb/>
&#x017F;innen, &#x201E;wie &#x017F;oll ich darauf antworten? Ein ganzes<lb/>
Leben hab' ich darange&#x017F;etzt, über die&#x017F;e Frage nach¬<lb/>
zudenken. Ich habe &#x017F;ie von Männern, die ich ver¬<lb/>
ehre, auf jede Wei&#x017F;e beantworten hören. Unter mei¬<lb/>
nen lieb&#x017F;ten Freunden bekennen &#x017F;ich Einige zu jener<lb/>
An&#x017F;icht, die du verdamm&#x017F;t. Ich höre und lerne, und<lb/>
wage noch nicht zu urtheilen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Wer nicht für mich i&#x017F;t, der i&#x017F;t wider mich, &#x017F;pricht<lb/>
der Herr.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Wie könnt' ich wider <hi rendition="#g">ihn</hi> &#x017F;ein? Wie könnt' ich<lb/>
wider den <hi rendition="#g">Gei&#x017F;t</hi> &#x017F;ein? Wer läugnet überhaupt den<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[47/0059] ligen, dte ihr neue Götter macht für das Volk und im Herzen euch ſelbſt anbetet. Eure Tage ſind ge¬ zählt!“ — Er ging zur Thür, ſeine kahle Stirn war geröthet, er ſah Clemens nicht an, der beſtürzt zu Boden ſtarrte. Plötzlich fühlte er die Hand des Va¬ ters auf ſeiner Schulter. „Sage mir offen, mein Sohn, biſt du ſchon ſo weit wie Jene, von deren Treiben ich mit Schau¬ dern geleſen habe? Hältſt du ſchon, wo die ſaubern Materialiſten halten, daß du der Wunder lachſt und der Geiſt dir ein Märchen iſt, das die Dinge ein¬ ander erzählen und dem der Menſch zuhört? Hat weder deine Jugend, noch die Saat der Dankbarkeit, die Gott dir ins Herz geſät, das Unkraut erſticken können? Antworte mir, Clemens!“ „Vater,“ ſagte der junge Mann nach einigem Be¬ ſinnen, „wie ſoll ich darauf antworten? Ein ganzes Leben hab' ich darangeſetzt, über dieſe Frage nach¬ zudenken. Ich habe ſie von Männern, die ich ver¬ ehre, auf jede Weiſe beantworten hören. Unter mei¬ nen liebſten Freunden bekennen ſich Einige zu jener Anſicht, die du verdammſt. Ich höre und lerne, und wage noch nicht zu urtheilen.“ „Wer nicht für mich iſt, der iſt wider mich, ſpricht der Herr.“ „Wie könnt' ich wider ihn ſein? Wie könnt' ich wider den Geiſt ſein? Wer läugnet überhaupt den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/59
Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/59>, abgerufen am 18.04.2024.