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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

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regierend begleitete er eine Strecke weit den Wagen.
Alsdann blieb er zurück, ritt langsamer und ließ den
Tag an sich vorüberziehen. Die Nacht überholte ihn.
Er spornte nun wieder das Pferd, und in der Mei¬
nung, einen Umweg abzuschneiden, ritt er quer über
die Heidefläche. So war er in Bianchi's Nähe ge¬
kommen.

Er schüttelte sich jetzt, warf Holz nach in die
Glut und starrte mit seinen schwarzen Augen ernst¬
haft hinein. Was werden sie denken, sagte er bei
sich selbst, daß ich ausgeblieben bin! Was wird sie
denken. Es ist nun zu spät, einen Boten zu schicken,
und wen hätte ich auch? Sie wird zu Haus sitzen
und nicht wissen, was dieser Tag bedeuten mag. Oder
-- Chi sa se mai! --

Dann wartete er wieder seines Dienstes bei dem
Kranken, ging auf und ab und vertiefte sich in den
Medusenkopf, den der Feuerschein warm anflog, der
Farbe des schwindenden Lebens täuschend gleich, wo
das widerwillige Blut mit dem Todesschrecken kämpft.
Das ergriff ihn mit Gewalt. Er mußte endlich die
Augen abwenden und entdeckte nun erst auf dem dun¬
keln Sims des Kamins einige freche Figürchen, theils
nach verrufenen pompejanischen Bronzen, theils von
neuer Hand, in die Wette mit jenen zügellos und
lebendig. Daneben lag ein zerrissenes, verstaubtes
Exemplar des Ariost. Danach griff er und las be¬

regierend begleitete er eine Strecke weit den Wagen.
Alsdann blieb er zurück, ritt langſamer und ließ den
Tag an ſich vorüberziehen. Die Nacht überholte ihn.
Er ſpornte nun wieder das Pferd, und in der Mei¬
nung, einen Umweg abzuſchneiden, ritt er quer über
die Heidefläche. So war er in Bianchi's Nähe ge¬
kommen.

Er ſchüttelte ſich jetzt, warf Holz nach in die
Glut und ſtarrte mit ſeinen ſchwarzen Augen ernſt¬
haft hinein. Was werden ſie denken, ſagte er bei
ſich ſelbſt, daß ich ausgeblieben bin! Was wird ſie
denken. Es iſt nun zu ſpät, einen Boten zu ſchicken,
und wen hätte ich auch? Sie wird zu Haus ſitzen
und nicht wiſſen, was dieſer Tag bedeuten mag. Oder
Chi sa se mai! —

Dann wartete er wieder ſeines Dienſtes bei dem
Kranken, ging auf und ab und vertiefte ſich in den
Meduſenkopf, den der Feuerſchein warm anflog, der
Farbe des ſchwindenden Lebens täuſchend gleich, wo
das widerwillige Blut mit dem Todesſchrecken kämpft.
Das ergriff ihn mit Gewalt. Er mußte endlich die
Augen abwenden und entdeckte nun erſt auf dem dun¬
keln Sims des Kamins einige freche Figürchen, theils
nach verrufenen pompejaniſchen Bronzen, theils von
neuer Hand, in die Wette mit jenen zügellos und
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[148/0160] regierend begleitete er eine Strecke weit den Wagen. Alsdann blieb er zurück, ritt langſamer und ließ den Tag an ſich vorüberziehen. Die Nacht überholte ihn. Er ſpornte nun wieder das Pferd, und in der Mei¬ nung, einen Umweg abzuſchneiden, ritt er quer über die Heidefläche. So war er in Bianchi's Nähe ge¬ kommen. Er ſchüttelte ſich jetzt, warf Holz nach in die Glut und ſtarrte mit ſeinen ſchwarzen Augen ernſt¬ haft hinein. Was werden ſie denken, ſagte er bei ſich ſelbſt, daß ich ausgeblieben bin! Was wird ſie denken. Es iſt nun zu ſpät, einen Boten zu ſchicken, und wen hätte ich auch? Sie wird zu Haus ſitzen und nicht wiſſen, was dieſer Tag bedeuten mag. Oder — Chi sa se mai! — Dann wartete er wieder ſeines Dienſtes bei dem Kranken, ging auf und ab und vertiefte ſich in den Meduſenkopf, den der Feuerſchein warm anflog, der Farbe des ſchwindenden Lebens täuſchend gleich, wo das widerwillige Blut mit dem Todesſchrecken kämpft. Das ergriff ihn mit Gewalt. Er mußte endlich die Augen abwenden und entdeckte nun erſt auf dem dun¬ keln Sims des Kamins einige freche Figürchen, theils nach verrufenen pompejaniſchen Bronzen, theils von neuer Hand, in die Wette mit jenen zügellos und lebendig. Daneben lag ein zerriſſenes, verſtaubtes Exemplar des Arioſt. Danach griff er und las be¬

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/160>, abgerufen am 19.04.2024.