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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

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Von welcher?

Ob Menschen verschiedener Nation für einander
taugen?

Marie schwieg eine Weile. Je mehr die Menschen
von einander wollen, sagte sie dann, und je mehr sie
einander zu geben wünschen, desto verwandter, dünkt
mich, müßten sie sein. Und selbst dann -- ich habe
einen Engländer gekannt, der mit einer Creolin ver¬
heirathet war. Sie nahmen beide das Leben leicht
und äußerlich; er freute sich, eine schöne Frau zu
haben, und sie schien zufrieden, daß er sie mit Reich¬
thum überschüttete. Und doch war etwas zwischen
ihnen, etwas Klimatisches, wo sie nun auch leben
mochten. Sie wurden nicht recht froh mit einander.

Sie waren aus verschiedenen Zonen. Aber wenn
sie nordländisches Blut gehabt hätte --?

Es mag sein. Und doch -- ich spüre es an mir
selber. Ich bin im Gebirge aufgewachsen und habe
mich langsam an die weichen römischen Lüfte gewöh¬
nen müssen. Nun haben wir Winter. Droben liegt
der schöne klare Schnee. Wenn wir heut wieder bei
den Eltern sind, am Kamine sitzen, das Wasser im
Kessel singt, und ich Alles um mich habe, was zu
meinem Leben gehört, sollte ich billig ganz glücklich
sein können. Doch gestehe ich, daß mir dann erst
recht das Heimweh kommen könnte nach unserm Land¬
hause, wo die alten Ahornbäume vor den Fenstern

Von welcher?

Ob Menſchen verſchiedener Nation für einander
taugen?

Marie ſchwieg eine Weile. Je mehr die Menſchen
von einander wollen, ſagte ſie dann, und je mehr ſie
einander zu geben wünſchen, deſto verwandter, dünkt
mich, müßten ſie ſein. Und ſelbſt dann — ich habe
einen Engländer gekannt, der mit einer Creolin ver¬
heirathet war. Sie nahmen beide das Leben leicht
und äußerlich; er freute ſich, eine ſchöne Frau zu
haben, und ſie ſchien zufrieden, daß er ſie mit Reich¬
thum überſchüttete. Und doch war etwas zwiſchen
ihnen, etwas Klimatiſches, wo ſie nun auch leben
mochten. Sie wurden nicht recht froh mit einander.

Sie waren aus verſchiedenen Zonen. Aber wenn
ſie nordländiſches Blut gehabt hätte —?

Es mag ſein. Und doch — ich ſpüre es an mir
ſelber. Ich bin im Gebirge aufgewachſen und habe
mich langſam an die weichen römiſchen Lüfte gewöh¬
nen müſſen. Nun haben wir Winter. Droben liegt
der ſchöne klare Schnee. Wenn wir heut wieder bei
den Eltern ſind, am Kamine ſitzen, das Waſſer im
Keſſel ſingt, und ich Alles um mich habe, was zu
meinem Leben gehört, ſollte ich billig ganz glücklich
ſein können. Doch geſtehe ich, daß mir dann erſt
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[144/0156] Von welcher? Ob Menſchen verſchiedener Nation für einander taugen? Marie ſchwieg eine Weile. Je mehr die Menſchen von einander wollen, ſagte ſie dann, und je mehr ſie einander zu geben wünſchen, deſto verwandter, dünkt mich, müßten ſie ſein. Und ſelbſt dann — ich habe einen Engländer gekannt, der mit einer Creolin ver¬ heirathet war. Sie nahmen beide das Leben leicht und äußerlich; er freute ſich, eine ſchöne Frau zu haben, und ſie ſchien zufrieden, daß er ſie mit Reich¬ thum überſchüttete. Und doch war etwas zwiſchen ihnen, etwas Klimatiſches, wo ſie nun auch leben mochten. Sie wurden nicht recht froh mit einander. Sie waren aus verſchiedenen Zonen. Aber wenn ſie nordländiſches Blut gehabt hätte —? Es mag ſein. Und doch — ich ſpüre es an mir ſelber. Ich bin im Gebirge aufgewachſen und habe mich langſam an die weichen römiſchen Lüfte gewöh¬ nen müſſen. Nun haben wir Winter. Droben liegt der ſchöne klare Schnee. Wenn wir heut wieder bei den Eltern ſind, am Kamine ſitzen, das Waſſer im Keſſel ſingt, und ich Alles um mich habe, was zu meinem Leben gehört, ſollte ich billig ganz glücklich ſein können. Doch geſtehe ich, daß mir dann erſt recht das Heimweh kommen könnte nach unſerm Land¬ hauſe, wo die alten Ahornbäume vor den Fenſtern

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/156>, abgerufen am 29.03.2024.