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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

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nur, Mary, und werden bald ganz comfortabel am
Kamin sitzen, in der Sibylle, und wir erfrieren uns
die Nasen. Die Eure ist schon ganz roth, Mary;
dear me, wie seht Ihr aus, Kind! Der Wind ist
auch so scharf von dem Wasser herüber; Ihr sagtet
es gleich, Sir, und warntet; aber unser Kind hat
ihre Einfälle. Guter Gott! wir haben die Landschaft
ja im Herbst gesehn und gar im Sommer und ritten
damals sanft und bequem den Abhang nieder, den
wir jetzt hinabstolpern und -gleiten müssen.

Es ist nicht mehr weit, liebe Miß Betsy, sagte
das Mädchen lächelnd, dann wird die Straße gelin¬
der. Unser Freund bot Euch ja seinen Arm; warum
schlugt Ihr ihn aus?

Die kleine Person näherte sich ihr und sagte leise:
Mary! daß Ihr mich das fragt! Ihr kennt meine
Grundsätze, daß es unschicklich ist, bergunter sich von
einem unverheiratheten Manne führen zu lassen. Wenn
wir gleiten und uns an ihm halten, nimmt er jeden
Druck für eine Zärtlichkeit. Ihr setzt mich in Ver¬
legenheit, Kind.

Marie lächelte fast unmerklich. Sie ging dann
ernsthaft ihres Wegs; der Hut von schwarzem Sam¬
met verbarg ihr Gesicht dem jungen Manne bis auf
die vornickende braune Locke. -- Es war kein bloßes
Compliment, Sir, sagte sie dann und blickte ihn un¬
befangen an, als mein Vater Euch gestand, daß Ihr

nur, Mary, und werden bald ganz comfortabel am
Kamin ſitzen, in der Sibylle, und wir erfrieren uns
die Naſen. Die Eure iſt ſchon ganz roth, Mary;
dear me, wie ſeht Ihr aus, Kind! Der Wind iſt
auch ſo ſcharf von dem Waſſer herüber; Ihr ſagtet
es gleich, Sir, und warntet; aber unſer Kind hat
ihre Einfälle. Guter Gott! wir haben die Landſchaft
ja im Herbſt geſehn und gar im Sommer und ritten
damals ſanft und bequem den Abhang nieder, den
wir jetzt hinabſtolpern und -gleiten müſſen.

Es iſt nicht mehr weit, liebe Miß Betſy, ſagte
das Mädchen lächelnd, dann wird die Straße gelin¬
der. Unſer Freund bot Euch ja ſeinen Arm; warum
ſchlugt Ihr ihn aus?

Die kleine Perſon näherte ſich ihr und ſagte leiſe:
Mary! daß Ihr mich das fragt! Ihr kennt meine
Grundſätze, daß es unſchicklich iſt, bergunter ſich von
einem unverheiratheten Manne führen zu laſſen. Wenn
wir gleiten und uns an ihm halten, nimmt er jeden
Druck für eine Zärtlichkeit. Ihr ſetzt mich in Ver¬
legenheit, Kind.

Marie lächelte faſt unmerklich. Sie ging dann
ernſthaft ihres Wegs; der Hut von ſchwarzem Sam¬
met verbarg ihr Geſicht dem jungen Manne bis auf
die vornickende braune Locke. — Es war kein bloßes
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[139/0151] nur, Mary, und werden bald ganz comfortabel am Kamin ſitzen, in der Sibylle, und wir erfrieren uns die Naſen. Die Eure iſt ſchon ganz roth, Mary; dear me, wie ſeht Ihr aus, Kind! Der Wind iſt auch ſo ſcharf von dem Waſſer herüber; Ihr ſagtet es gleich, Sir, und warntet; aber unſer Kind hat ihre Einfälle. Guter Gott! wir haben die Landſchaft ja im Herbſt geſehn und gar im Sommer und ritten damals ſanft und bequem den Abhang nieder, den wir jetzt hinabſtolpern und -gleiten müſſen. Es iſt nicht mehr weit, liebe Miß Betſy, ſagte das Mädchen lächelnd, dann wird die Straße gelin¬ der. Unſer Freund bot Euch ja ſeinen Arm; warum ſchlugt Ihr ihn aus? Die kleine Perſon näherte ſich ihr und ſagte leiſe: Mary! daß Ihr mich das fragt! Ihr kennt meine Grundſätze, daß es unſchicklich iſt, bergunter ſich von einem unverheiratheten Manne führen zu laſſen. Wenn wir gleiten und uns an ihm halten, nimmt er jeden Druck für eine Zärtlichkeit. Ihr ſetzt mich in Ver¬ legenheit, Kind. Marie lächelte faſt unmerklich. Sie ging dann ernſthaft ihres Wegs; der Hut von ſchwarzem Sam¬ met verbarg ihr Geſicht dem jungen Manne bis auf die vornickende braune Locke. — Es war kein bloßes Compliment, Sir, ſagte ſie dann und blickte ihn un¬ befangen an, als mein Vater Euch geſtand, daß Ihr

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/151>, abgerufen am 28.03.2024.