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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

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Ihr seid hier übel verwahrt, erwiederte der gut¬
müthige kleine Herr und wischte sich die Brillengläser,
die beschlagen waren. Meine Frau soll Euch noch
eine Decke schicken; und morgen seh' ich wieder nach.
Der Schlaf wird kommen, und dieser Arzt steckt uns
Alle in die Tasche. Gute Nacht.

Der junge Mann begleitete ihn hinaus und sie
sprachen im Flur eine Weile. Ich kenne ihn dem
Namen nach, sagte der Arzt. Er geht so seine selt¬
samen menschenscheuen Wege, verkehrt in den Kneipen
mit dem letzten Facchin am liebsten, und was er hat,
verthut er. Es ist aber Keiner in Rom, der's ihm
gleich thäte in Cameen. Er hat's von seinem Vater,
Giovanni Bianchi, der lange todt ist.

Sind die Wunden im Ernst ungefährlich?

Wenn er sich schont und mit dem Eis nichts ver¬
säumt wird. Er hat Glieder wie von Eisen, sonst
hätt' er auch den Bestien nicht so lange Stand ge¬
halten. Fünf, sagt Ihr! der tollkühne Mann! Aber
das ist so einer von seinen Streichen. Nun nun,
er wird schlafen; seid unbesorgt, Sor Teodoro!

Er schlief schon, als Theodor wieder zu ihm ein¬
trat, obwohl er das Gesicht nach dem hellen Feuer
gewendet hatte. Theodor betrachtete ihn lange. Er
war völlig schön, nur die Nase ein wenig hager, das
Haar schon hie und da verblichen, der Bart unge¬
pflegt; aus dem athmend halbgeöffneten Munde glänz¬

Ihr ſeid hier übel verwahrt, erwiederte der gut¬
müthige kleine Herr und wiſchte ſich die Brillengläſer,
die beſchlagen waren. Meine Frau ſoll Euch noch
eine Decke ſchicken; und morgen ſeh' ich wieder nach.
Der Schlaf wird kommen, und dieſer Arzt ſteckt uns
Alle in die Taſche. Gute Nacht.

Der junge Mann begleitete ihn hinaus und ſie
ſprachen im Flur eine Weile. Ich kenne ihn dem
Namen nach, ſagte der Arzt. Er geht ſo ſeine ſelt¬
ſamen menſchenſcheuen Wege, verkehrt in den Kneipen
mit dem letzten Facchin am liebſten, und was er hat,
verthut er. Es iſt aber Keiner in Rom, der's ihm
gleich thäte in Cameen. Er hat's von ſeinem Vater,
Giovanni Bianchi, der lange todt iſt.

Sind die Wunden im Ernſt ungefährlich?

Wenn er ſich ſchont und mit dem Eis nichts ver¬
ſäumt wird. Er hat Glieder wie von Eiſen, ſonſt
hätt' er auch den Beſtien nicht ſo lange Stand ge¬
halten. Fünf, ſagt Ihr! der tollkühne Mann! Aber
das iſt ſo einer von ſeinen Streichen. Nun nun,
er wird ſchlafen; ſeid unbeſorgt, Sor Teodoro!

Er ſchlief ſchon, als Theodor wieder zu ihm ein¬
trat, obwohl er das Geſicht nach dem hellen Feuer
gewendet hatte. Theodor betrachtete ihn lange. Er
war völlig ſchön, nur die Naſe ein wenig hager, das
Haar ſchon hie und da verblichen, der Bart unge¬
pflegt; aus dem athmend halbgeöffneten Munde glänz¬

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[137/0149] Ihr ſeid hier übel verwahrt, erwiederte der gut¬ müthige kleine Herr und wiſchte ſich die Brillengläſer, die beſchlagen waren. Meine Frau ſoll Euch noch eine Decke ſchicken; und morgen ſeh' ich wieder nach. Der Schlaf wird kommen, und dieſer Arzt ſteckt uns Alle in die Taſche. Gute Nacht. Der junge Mann begleitete ihn hinaus und ſie ſprachen im Flur eine Weile. Ich kenne ihn dem Namen nach, ſagte der Arzt. Er geht ſo ſeine ſelt¬ ſamen menſchenſcheuen Wege, verkehrt in den Kneipen mit dem letzten Facchin am liebſten, und was er hat, verthut er. Es iſt aber Keiner in Rom, der's ihm gleich thäte in Cameen. Er hat's von ſeinem Vater, Giovanni Bianchi, der lange todt iſt. Sind die Wunden im Ernſt ungefährlich? Wenn er ſich ſchont und mit dem Eis nichts ver¬ ſäumt wird. Er hat Glieder wie von Eiſen, ſonſt hätt' er auch den Beſtien nicht ſo lange Stand ge¬ halten. Fünf, ſagt Ihr! der tollkühne Mann! Aber das iſt ſo einer von ſeinen Streichen. Nun nun, er wird ſchlafen; ſeid unbeſorgt, Sor Teodoro! Er ſchlief ſchon, als Theodor wieder zu ihm ein¬ trat, obwohl er das Geſicht nach dem hellen Feuer gewendet hatte. Theodor betrachtete ihn lange. Er war völlig ſchön, nur die Naſe ein wenig hager, das Haar ſchon hie und da verblichen, der Bart unge¬ pflegt; aus dem athmend halbgeöffneten Munde glänz¬

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/149>, abgerufen am 18.04.2024.