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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

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Schnee am Sabinergebirge. Hinter ihm lag die
Stadt. Aber nicht fern von ihm begann eine Glocke
zu läuten, nur leise durch den widrigen Wind. Das
machte ihn unruhig. Als wolle er dem letzten Laut
des Lebens verwehren, zu ihm zu dringen, ging er
vorwärts. Er verließ bald den schmalen Pfad, die
Wellen der Ebne auf und ab kreuzend, schwang sich
über die Stangen, die im Sommer die weidenden
Rinder eingehegt hatten, und vertiefte sich mehr und
mehr in die einsame Dunkelheit.

Es war eine tiefe Stille dort, wie mitten auf
dem ruhigen Meer. Fast hörte man den Flügelschlag
der Krähen, die über den Boden hin hüpften. Keine
Grille sang, kein Ritornell eines heimwandernden
Weibes drang von der fernen Straße bis zu ihm.
Da ward ihm wohl. Er stieß den Stock mehrere
Male hart gegen den Boden und freute sich an dem
Ton, der ihm antwortete. -- Sie spricht nicht viel,
sagte er vor sich hin im Dialekt des gemeinen römi¬
schen Volks, aber sie meint es ehrlich und sorgt
im Stillen für ihre plappernden Kinder, die sie mit
Füßen treten. Daß ich sie nie wieder zu hören brauchte,
diese windigen Schufte! Meine Ohren sind wund
von ihren glatten Phrasen. Als wär' ich nichts, als
wüßt' ich es nicht besser, woran diese Dinge hängen,
von denen sie zu schwatzen wissen, während ich nichts
verstehe, als sie zu schaffen. Und doch leb' ich von

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Schnee am Sabinergebirge. Hinter ihm lag die
Stadt. Aber nicht fern von ihm begann eine Glocke
zu läuten, nur leiſe durch den widrigen Wind. Das
machte ihn unruhig. Als wolle er dem letzten Laut
des Lebens verwehren, zu ihm zu dringen, ging er
vorwärts. Er verließ bald den ſchmalen Pfad, die
Wellen der Ebne auf und ab kreuzend, ſchwang ſich
über die Stangen, die im Sommer die weidenden
Rinder eingehegt hatten, und vertiefte ſich mehr und
mehr in die einſame Dunkelheit.

Es war eine tiefe Stille dort, wie mitten auf
dem ruhigen Meer. Faſt hörte man den Flügelſchlag
der Krähen, die über den Boden hin hüpften. Keine
Grille ſang, kein Ritornell eines heimwandernden
Weibes drang von der fernen Straße bis zu ihm.
Da ward ihm wohl. Er ſtieß den Stock mehrere
Male hart gegen den Boden und freute ſich an dem
Ton, der ihm antwortete. — Sie ſpricht nicht viel,
ſagte er vor ſich hin im Dialekt des gemeinen römi¬
ſchen Volks, aber ſie meint es ehrlich und ſorgt
im Stillen für ihre plappernden Kinder, die ſie mit
Füßen treten. Daß ich ſie nie wieder zu hören brauchte,
dieſe windigen Schufte! Meine Ohren ſind wund
von ihren glatten Phraſen. Als wär' ich nichts, als
wüßt' ich es nicht beſſer, woran dieſe Dinge hängen,
von denen ſie zu ſchwatzen wiſſen, während ich nichts
verſtehe, als ſie zu ſchaffen. Und doch leb' ich von

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[129/0141] Schnee am Sabinergebirge. Hinter ihm lag die Stadt. Aber nicht fern von ihm begann eine Glocke zu läuten, nur leiſe durch den widrigen Wind. Das machte ihn unruhig. Als wolle er dem letzten Laut des Lebens verwehren, zu ihm zu dringen, ging er vorwärts. Er verließ bald den ſchmalen Pfad, die Wellen der Ebne auf und ab kreuzend, ſchwang ſich über die Stangen, die im Sommer die weidenden Rinder eingehegt hatten, und vertiefte ſich mehr und mehr in die einſame Dunkelheit. Es war eine tiefe Stille dort, wie mitten auf dem ruhigen Meer. Faſt hörte man den Flügelſchlag der Krähen, die über den Boden hin hüpften. Keine Grille ſang, kein Ritornell eines heimwandernden Weibes drang von der fernen Straße bis zu ihm. Da ward ihm wohl. Er ſtieß den Stock mehrere Male hart gegen den Boden und freute ſich an dem Ton, der ihm antwortete. — Sie ſpricht nicht viel, ſagte er vor ſich hin im Dialekt des gemeinen römi¬ ſchen Volks, aber ſie meint es ehrlich und ſorgt im Stillen für ihre plappernden Kinder, die ſie mit Füßen treten. Daß ich ſie nie wieder zu hören brauchte, dieſe windigen Schufte! Meine Ohren ſind wund von ihren glatten Phraſen. Als wär' ich nichts, als wüßt' ich es nicht beſſer, woran dieſe Dinge hängen, von denen ſie zu ſchwatzen wiſſen, während ich nichts verſtehe, als ſie zu ſchaffen. Und doch leb' ich von 9

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/141>, abgerufen am 23.04.2024.