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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

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Er hielt sie eine Weile sprachlos in den Armen.
Ob ich dich noch liebe? rief er endlich. Heilige Mut¬
ter Gottes! meinst du, es sei all mein Herzblut aus
der kleinen Wunde von mir gewichen? Fühlst du's
nicht da in meiner Brust hämmern, als wollt' es
heraus und zu dir? Wenn du's nur sagst, um mich
zu versuchen oder weil du Mitleiden mit mir hast,
so geh, und ich will auch das noch vergessen. Du
sollst nicht denken, daß du mir's schuldig bist, weil
du weißt, was ich um dich leide.

Nein, sagte sie fest und sah von seiner Schulter
auf und ihm mit den nassen Augen heftig ins Ge¬
sicht, ich liebe dich, und daß ich's nur sage, ich hab'
es lange gefürchtet und dagegen getrotzt. Und nun
will ich anders werden, denn ich kann's nicht mehr
aushalten, dich nicht anzusehn, wenn du mir auf der
Gasse vorüberkommst. Nun will ich dich auch küssen,
sagte sie, daß du dir sagen kannst, wenn du wieder
in Zweifel sein solltest: Sie hat mich geküßt, und
Laurella küßt Keinen, als den sie zum Manne will.

Sie küßte ihn dreimal und dann machte sie sich
los und sagte: Gute Nacht, mein Liebster! Geh nun
schlafen und heile deine Hand, und geh nicht mit
mir, denn ich fürchte mich nicht, vor Keinem, als
nur vor dir.

Damit huschte sie durch die Thür und verschwand
in den Schatten der Mauer. Er aber sah noch lange

Er hielt ſie eine Weile ſprachlos in den Armen.
Ob ich dich noch liebe? rief er endlich. Heilige Mut¬
ter Gottes! meinſt du, es ſei all mein Herzblut aus
der kleinen Wunde von mir gewichen? Fühlſt du's
nicht da in meiner Bruſt hämmern, als wollt' es
heraus und zu dir? Wenn du's nur ſagſt, um mich
zu verſuchen oder weil du Mitleiden mit mir haſt,
ſo geh, und ich will auch das noch vergeſſen. Du
ſollſt nicht denken, daß du mir's ſchuldig biſt, weil
du weißt, was ich um dich leide.

Nein, ſagte ſie feſt und ſah von ſeiner Schulter
auf und ihm mit den naſſen Augen heftig ins Ge¬
ſicht, ich liebe dich, und daß ich's nur ſage, ich hab'
es lange gefürchtet und dagegen getrotzt. Und nun
will ich anders werden, denn ich kann's nicht mehr
aushalten, dich nicht anzuſehn, wenn du mir auf der
Gaſſe vorüberkommſt. Nun will ich dich auch küſſen,
ſagte ſie, daß du dir ſagen kannſt, wenn du wieder
in Zweifel ſein ſollteſt: Sie hat mich geküßt, und
Laurella küßt Keinen, als den ſie zum Manne will.

Sie küßte ihn dreimal und dann machte ſie ſich
los und ſagte: Gute Nacht, mein Liebſter! Geh nun
ſchlafen und heile deine Hand, und geh nicht mit
mir, denn ich fürchte mich nicht, vor Keinem, als
nur vor dir.

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[122/0134] Er hielt ſie eine Weile ſprachlos in den Armen. Ob ich dich noch liebe? rief er endlich. Heilige Mut¬ ter Gottes! meinſt du, es ſei all mein Herzblut aus der kleinen Wunde von mir gewichen? Fühlſt du's nicht da in meiner Bruſt hämmern, als wollt' es heraus und zu dir? Wenn du's nur ſagſt, um mich zu verſuchen oder weil du Mitleiden mit mir haſt, ſo geh, und ich will auch das noch vergeſſen. Du ſollſt nicht denken, daß du mir's ſchuldig biſt, weil du weißt, was ich um dich leide. Nein, ſagte ſie feſt und ſah von ſeiner Schulter auf und ihm mit den naſſen Augen heftig ins Ge¬ ſicht, ich liebe dich, und daß ich's nur ſage, ich hab' es lange gefürchtet und dagegen getrotzt. Und nun will ich anders werden, denn ich kann's nicht mehr aushalten, dich nicht anzuſehn, wenn du mir auf der Gaſſe vorüberkommſt. Nun will ich dich auch küſſen, ſagte ſie, daß du dir ſagen kannſt, wenn du wieder in Zweifel ſein ſollteſt: Sie hat mich geküßt, und Laurella küßt Keinen, als den ſie zum Manne will. Sie küßte ihn dreimal und dann machte ſie ſich los und ſagte: Gute Nacht, mein Liebſter! Geh nun ſchlafen und heile deine Hand, und geh nicht mit mir, denn ich fürchte mich nicht, vor Keinem, als nur vor dir. Damit huſchte ſie durch die Thür und verſchwand in den Schatten der Mauer. Er aber ſah noch lange

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/134>, abgerufen am 18.04.2024.