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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

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Sie fuhr leicht zusammen und blitzte ihn mit den
Augen an.

Bringe mich um, wenn du's wagst, sagte sie
langsam.

Man muß nichts halb thun, sagte er, und seine
Stimme klang leiser. 's ist Platz für uns Beide im
Meer. Ich kann dir nicht helfen, Kind, -- und er
sprach fast mitleidig, wie aus dem Traum -- aber
wir müssen hinunter, alle Beide, und auf einmal,
und jetzt! schrie er überlaut und faßte sie plötzlich
mit beiden Armen an. Aber im Augenblick zog er
die rechte Hand zurück, das Blut quoll hervor, sie
hatte ihm heftig hineingebissen.

Muß ich thun, was du willst? rief sie und stieß
ihn mit einer raschen Wendung von sich. Laß sehn,
ob ich in deiner Macht bin! -- Damit sprang sie über
den Bord des Kahns und verschwand einen Augen¬
blick in der Tiefe.

Sie kam gleich wieder herauf; ihr Röckchen um¬
schloß sie fest, ihre Haare waren von den Wellen auf¬
gelös't und hingen schwer über den Hals nieder, mit
den Armen ruderte sie emsig und schwamm, ohne
einen Laut von sich zu geben, kräftig von der Barke
weg nach der Küste zu. Der jähe Schreck schien ihm
die Sinne gelähmt zu haben. Er stand im Kahn,
vorgebeugt, die Blicke starr nach ihr hingerichtet, als
begebe sich ein Wunder vor seinen Augen. Dann

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Sie fuhr leicht zuſammen und blitzte ihn mit den
Augen an.

Bringe mich um, wenn du's wagſt, ſagte ſie
langſam.

Man muß nichts halb thun, ſagte er, und ſeine
Stimme klang leiſer. 's iſt Platz für uns Beide im
Meer. Ich kann dir nicht helfen, Kind, — und er
ſprach faſt mitleidig, wie aus dem Traum — aber
wir müſſen hinunter, alle Beide, und auf einmal,
und jetzt! ſchrie er überlaut und faßte ſie plötzlich
mit beiden Armen an. Aber im Augenblick zog er
die rechte Hand zurück, das Blut quoll hervor, ſie
hatte ihm heftig hineingebiſſen.

Muß ich thun, was du willſt? rief ſie und ſtieß
ihn mit einer raſchen Wendung von ſich. Laß ſehn,
ob ich in deiner Macht bin! — Damit ſprang ſie über
den Bord des Kahns und verſchwand einen Augen¬
blick in der Tiefe.

Sie kam gleich wieder herauf; ihr Röckchen um¬
ſchloß ſie feſt, ihre Haare waren von den Wellen auf¬
gelöſ't und hingen ſchwer über den Hals nieder, mit
den Armen ruderte ſie emſig und ſchwamm, ohne
einen Laut von ſich zu geben, kräftig von der Barke
weg nach der Küſte zu. Der jähe Schreck ſchien ihm
die Sinne gelähmt zu haben. Er ſtand im Kahn,
vorgebeugt, die Blicke ſtarr nach ihr hingerichtet, als
begebe ſich ein Wunder vor ſeinen Augen. Dann

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[113/0125] Sie fuhr leicht zuſammen und blitzte ihn mit den Augen an. Bringe mich um, wenn du's wagſt, ſagte ſie langſam. Man muß nichts halb thun, ſagte er, und ſeine Stimme klang leiſer. 's iſt Platz für uns Beide im Meer. Ich kann dir nicht helfen, Kind, — und er ſprach faſt mitleidig, wie aus dem Traum — aber wir müſſen hinunter, alle Beide, und auf einmal, und jetzt! ſchrie er überlaut und faßte ſie plötzlich mit beiden Armen an. Aber im Augenblick zog er die rechte Hand zurück, das Blut quoll hervor, ſie hatte ihm heftig hineingebiſſen. Muß ich thun, was du willſt? rief ſie und ſtieß ihn mit einer raſchen Wendung von ſich. Laß ſehn, ob ich in deiner Macht bin! — Damit ſprang ſie über den Bord des Kahns und verſchwand einen Augen¬ blick in der Tiefe. Sie kam gleich wieder herauf; ihr Röckchen um¬ ſchloß ſie feſt, ihre Haare waren von den Wellen auf¬ gelöſ't und hingen ſchwer über den Hals nieder, mit den Armen ruderte ſie emſig und ſchwamm, ohne einen Laut von ſich zu geben, kräftig von der Barke weg nach der Küſte zu. Der jähe Schreck ſchien ihm die Sinne gelähmt zu haben. Er ſtand im Kahn, vorgebeugt, die Blicke ſtarr nach ihr hingerichtet, als begebe ſich ein Wunder vor ſeinen Augen. Dann 8

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/125>, abgerufen am 19.04.2024.